Freiheit – das höchste Gut?

Finanzminister Lindner hielt auf dem Dreikönigstreffen der FDP eine Rede. In der bezeichnete er die Freiheit als höchstes Gut der Verfassung. Ist das so? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild aus Pixabay (gemeinfrei)

Weiterhin geht es uns Freien Demokraten deshalb darum, den konsequenten Gesundheitsschutz einerseits mit möglichst viel gesellschaftlicher Freiheit andererseits zu erhalten. Der Schutz der Gesundheit ist ein hohes Gut, aber das höchste Gut unserer Verfassung, das ist und bleibt die Freiheit.

So sprach der FDP-Vorsitzende auf dem Dreikönigstreffen seiner Partei und der Applaus der Parteifreunde  war ihm sicher.

Nun ist Freiheit sicherlich ein hohes Gut, auch im Katalog der Grundrechte. Dass es aber das höchste Gut unserer Verfassung wäre, ist ein weit verbreiteter Irrtum, dem nicht nur Christian Lindner unterliegt, sondern auch unter anderem viele Spaziergänger, die ihre Freiheit für höherwertiger halten, als die Gesundheit ihrer Mitmenschen.

Art 2

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

So steht es gleich an zweiter Stelle im Grundgesetz. Und ja, die Freiheit findet sich gleich an einigen Stellen im Grundrechtekatalog. Da ist nicht nur die allgemeine Handlungsfreiheit und die Freiheit der Person aus Art. 2 GG, sondern noch die Meinungsfreiheit, die Kunstfreiheit, die Religionsfreiheit, die Versammlungsfreiheit, die Freiheit Vereinigungen zu bilden, die Berufsfreiheit usw. Man könnte also tatsächlich auf die Idee kommen, das Grundgesetz stelle die Freiheit über alles. Tut es aber gar nicht.

Supergrundrechte?

Es gab immer wieder – meistens Innen – Minister, die z.B. meinten, die Sicherheit der Bürger sei das höchste Gut, eine Art Supergrundrecht. Das ist natürlich Unfug. Supergrundrechte gibt es nicht. Aber es ist genauso ein Unfug, nun die Freiheit als höchstes und damit über den anderen Grundrechten stehendes Gut zu bezeichnen.

Bei genauerem Hinsehen kann man das auch schon dem Text des Art. 2 GG entnehmen. Denn die Freiheit ist keineswegs grenzenlos. Das mag sie über den Wolken sein, aber selbst das ist nur ein subjektiver Eindruck, denn auch da gelten die Regeln des Luftverkehrsrechts.

In der Systematik des Grundgesetzes ist die Freiheit eben nicht das Totschlagsgrundrecht, das gegen alle anderen Grundrechte sticht, sondern es ist eines unter vielen. Die Freiheit mag, wie das Philosophenpaar Roy Black und Anita

apostrophiert hat, das Schönste im Leben sein und zum Hurra rufen animieren; sie ist aber eben nicht der höchste Wert unserer Verfassung. Sorry, setzen, sechs.

Sie und natürlich auch Herr Lindner können Ihre Persönlichkeit frei entfalten, aber eben nur „soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt“.

Ist ja auch irgendwie klar, dass Sie ihre Freiheit nicht auf Kosten der Rechte anderer ausleben können. Im Klartext bedeutet das zum Beispiel, dass Sie nicht wie ein Irrer durch die Stadt rasen dürfen, nur weil Sie sich einen Porsche gekauft haben. Sie dürfen sich auch keineswegs einfach den Porsche eines anderen nehmen, nur weil Sie meinen, die Freiheit erlaube das alles. Und Sie brauchen einen Führerschein, damit Sie sich überhaupt mit dem Auto im Straßenverkehr bewegen dürfen. Sie dürfen auch nicht mit einer Waffe um sich schießen, sofern es dafür keinen rechtfertigenden Grund gibt, ja, Sie dürfen nicht einmal eine scharfe Waffe besitzen, wenn Sie die Berechtigung dazu nicht haben.

Schon an diesen einfachen Beispielen sehen Sie, dass das Grundgesetz die Freiheit nicht schrankenlos garantiert. Nur wenn alle sich halbwegs an die verfassungsmäßigen Gesetze halten, ist ein gedeihliches Zusammenleben möglich. Und verfassungsmäßige Gesetze bedeuten dabei nicht, dass nur die in der Verfassung selbst enthaltenen Regeln die Freiheit einschränken können, nein,  das kann jedes einfache Gesetz, das nicht verfassungswidrig ist.

Kein grenzenloser Egotrip

Das Grundgesetz garantiert eben nicht den grenzenlosen Egotrip, sondern ein gesellschaftliches Zusammenleben, das bei größtmöglicher Freiheit des Einzelnen auch die übrigen Grundwerte zu ihrem Recht kommen lässt.

Zwischen den einzelnen Grundrechten und Grundwerten besteht eine ständige Wechselwirkung, die der Gesetzgeber bei geplanten Maßnahmen stets gründlich abzuwägen hat. Tut er das nicht, gibt’s beim Bundesverfassungsgericht ein paar auf die Mütze. Und vorher schrei ich ja meistens schon mal laut hier rum.

Nun ist es ja in Ordnung, wenn Christian Lindner die Freiheit als seinen höchsten Wert oder auch den höchsten Wert seiner Partei benennt. Da spricht ja nichts gegen, schon gar nicht bei einer Partei, die die Freiheit im Namen führt. Aber sie es ist eben nicht der höchste Wert unserer Verfassung, sie ist eben nicht unantastbar.

Es gibt nur einen wirklich unantastbaren Wert innerhalb der Werteordnung des Grundgesetzes, und das wird auch schon durch seine Stellung an erster Stelle verdeutlicht.

Art 1

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

 

Die Menschenwürde und nur die Menschenwürde ist der bestimmende Wert unserer Verfassung und kann mit Recht als höchster Wert bezeichnet werden. Diesem Wert hat sich alles andere unterzuordnen.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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