Der Tesla hat’s gesehen
In einige Fällen führten die von der Bordelektronik von Tesla gespeicherten Daten zur Aufklärung von Verkehrsdelikten – auch zum Nachteil des Teslafahrers. Das ist nicht unbedenklich. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz
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Stellen Sie sich vor, Sie brausen mit Ihrem funkelnagelneuen Tesla durch die Stadt und plötzlich kracht’s. Zeugen sind weit und breit keine in Sicht. Und Sie meinen, der Unfallgegner hätte Ihnen die Vorfahrt genommen. Der Unfallgegner meint das auch, wofür zumindest spricht, dass er von rechts kam und eigentlich Vorfahrt hatte. Tja, da Sie den Tesla fahren, kann Ihnen geholfen werden. Denn dieser Computer auf vier Reifen und jeder Menge Videokameras kann Ihnen aus der Not helfen. Fein, meinen Sie. Ja, in diesem Fall ist das auch fein für Sie, weil die Staatsanwaltschaft sich die von Tesla aufgezeichneten Daten mit einem richterlichen Beschluss besorgen und dann glasklar nachgewiesen werden kann, dass das andere Fahrzeug mit weit überhöhter Geschwindigkeit und damit für Sie „unsichtbar“ von rechts angeschossen kam.
Da freuen Sie sich und der Unfallgegner ist dran.
Klappt aber auch umgekehrt. Sie waren zu schnell, der andere fuhr vorschriftsgemäß und ihr eigenes Auto liefert sie ans Messer. Sie selbst müssen sich natürlich nicht belasten. Ein eherner Grundsatz des Strafrechts. Es steht dem Angeklagten immer frei, sich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen.
§ 136
Vernehmung
(1) 1Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. 2Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. 3Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. 4Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. 5Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. 6In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.
Macht ein Angeklagter von diesem elementaren Schweigerecht Gebrauch, so darf dies nicht zu seinem Nachteil gewertet werden. Blöd ist dann, wenn das eigene Auto dann mal eben ein Geständnis abgibt. Aber bisher hat die Rechtsprechung damit kein Problem. Die nehmen aber eh immer gerne, was sie bekommen können.
Auf die Daten des Fahrzeugs können die Ermittlungsbehörden nämlich problemlos zugreifen.
§ 94 Sicherstellung und Beschlagnahme von Gegenständen zu Beweiszwecken
(1) Gegenstände, die als Beweismittel für die Untersuchung von Bedeutung sein können, sind in Verwahrung zu nehmen oder in anderer Weise sicherzustellen.
(2) Befinden sich die Gegenstände in dem Gewahrsam einer Person und werden sie nicht freiwillig herausgegeben, so bedarf es der Beschlagnahme.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für Führerscheine, die der Einziehung unterliegen.
(4) Die Herausgabe beweglicher Sachen richtet sich nach den §§ 111n und 111o.
Nun kann man zwar bei Tesla der Datenübermittlung ausdrücklich widersprechen. Die Frage ist aber wer das tatsächlich macht, wenn Tesla gleichzeitig mitteilt, dass dann aber eine „eingeschränkte Funktionalität, ernsthafte Schäden oder Funktionsunfähigkeit eintreten“. Mindestens komisch, dass man damit von hinten durch die Brust für die vollständige Funktionalität seines Autos mehr oder weniger gezwungen wird, sein Recht auf Selbstbelastungsfreiheit und den Schutz persönlicher Daten in die Tonne zu kloppen.
Der Wächtermodus
Besonders spannend ist der sogenannte Wächtermodus. Bei Tesla klingt das so:
Der Wächter-Modus ist eine Funktion, mit der Sie verdächtige Aktivitäten rund um Ihren Tesla erfassen können, wenn er an bestimmten Orten geparkt und abgeschlossen ist. Wenn verdächtige Bewegungen erkannt werden, reagiert Ihr Fahrzeug entsprechend der Schwere der Bedrohung.
Wird eine erhebliche Bedrohung erkannt, beginnen die Kameras in Ihrem Fahrzeug mit der Aufzeichnung, und die Alarmanlage wird aktiviert. Gleichzeitig erhalten Sie von Ihrer Tesla App eine Benachrichtigung, dass ein Vorfall stattgefunden hat.
Ja, klingt super. Aber das bedeutet halt auch, dass da munter Videos von der Umgebung gemacht werden und auch Personen, die überhaupt nicht die Absicht haben, die Karre zu klauen oder dort einzubrechen zu unfreiwilligen Videostars werden.
Nicht so schlimm?
Tesla hat offenbar keine Bedenken, die auf seinen Servern gespeicherten Daten und Videos ihrer Kunden an die Ermittlungsbehörden herauszugeben. Dabei ist die Tesla-Argumentation Folgende: Für die Einhaltung der geltenden Gesetze und Vorschriften sei der Fahrzeugbesitzer zuständig. Klar, stimmt ja auch, was sein Verhalten im Straßenverkehr angeht. Für die Einhaltung des Datenschutzes nach der DSGVO wird man das aber nicht behaupten können. Da macht sich Tesla einen etwas zu schmalen Fuß.
Hier werden Unmengen von Daten erhoben und dann auch noch nach Amerika, also ein Drittland ohne EU-Datenschutzstandards, auf die gigantischen Server übertragen.
Laufen unbeteiligte Personen im öffentlichen Raum an einem Tesla im Wächtermodus vorbei, dann werden sie gefilmt. Das ist eindeutig eine unzulässige Vorratsdatenspeicherung. Die Betroffenen haben keinen Schimmer davon, dass da ein perfektes Spionagemobil Aufnahmen macht und sind insoweit jedenfalls nicht informiert. Das aber ist nach Art. 13 DSGVO erforderlich:
Art. 13 DSGVO Informationspflicht bei Erhebung von personenbezogenen Daten bei der betroffenen Person
Werden personenbezogene Daten bei der betroffenen Person erhoben, so teilt der Verantwortliche der betroffenen Person zum Zeitpunkt der Erhebung dieser Daten Folgendes mit:
den Namen und die Kontaktdaten des Verantwortlichen sowie gegebenenfalls seines Vertreters;
gegebenenfalls die Kontaktdaten des Datenschutzbeauftragten;
die Zwecke, für die die personenbezogenen Daten verarbeitet werden sollen, sowie die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung;
wenn die Verarbeitung auf Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe f beruht, die berechtigten Interessen, die von dem Verantwortlichen oder einem Dritten verfolgt werden;
gegebenenfalls die Empfänger oder Kategorien von Empfängern der personenbezogenen Daten und
gegebenenfalls die Absicht des Verantwortlichen, die personenbezogenen Daten an ein Drittland oder eine internationale Organisation zu übermitteln, sowie das Vorhandensein oder das Fehlen eines Angemessenheitsbeschlusses der Kommission oder im Falle von Übermittlungen gemäß Artikel 46 oder Artikel 47 oder Artikel 49 Absatz 1 Unterabsatz 2 einen Verweis auf die geeigneten oder angemessenen Garantien und die Möglichkeit, wie eine Kopie von ihnen zu erhalten ist, oder wo sie verfügbar sind.
Zusätzlich zu den Informationen gemäß Absatz 1 stellt der Verantwortliche der betroffenen Person zum Zeitpunkt der Erhebung dieser Daten folgende weitere Informationen zur Verfügung, die notwendig sind, um eine faire und transparente Verarbeitung zu gewährleisten:
die Dauer, für die die personenbezogenen Daten gespeichert werden oder, falls dies nicht möglich ist, die Kriterien für die Festlegung dieser Dauer;
das Bestehen eines Rechts auf Auskunft seitens des Verantwortlichen über die betreffenden personenbezogenen Daten sowie auf Berichtigung oder Löschung oder auf Einschränkung der Verarbeitung oder eines Widerspruchsrechts gegen die Verarbeitung sowie des Rechts auf Datenübertragbarkeit;
wenn die Verarbeitung auf Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a oder Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a beruht, das Bestehen eines Rechts, die Einwilligung jederzeit zu widerrufen, ohne dass die Rechtmäßigkeit der aufgrund der Einwilligung bis zum Widerruf erfolgten Verarbeitung berührt wird;
das Bestehen eines Beschwerderechts bei einer Aufsichtsbehörde;
ob die Bereitstellung der personenbezogenen Daten gesetzlich oder vertraglich vorgeschrieben oder für einen Vertragsabschluss erforderlich ist, ob die betroffene Person verpflichtet ist, die personenbezogenen Daten bereitzustellen, und welche mögliche Folgen die Nichtbereitstellung hätte und
das Bestehen einer automatisierten Entscheidungsfindung einschließlich Profiling gemäß Artikel 22 Absätze 1 und 4 und – zumindest in diesen Fällen – aussagekräftige Informationen über die involvierte Logik sowie die Tragweite und die angestrebten Auswirkungen einer derartigen Verarbeitung für die betroffene Person.
Beabsichtigt der Verantwortliche, die personenbezogenen Daten für einen anderen Zweck weiterzuverarbeiten als den, für den die personenbezogenen Daten erhoben wurden, so stellt er der betroffenen Person vor dieser Weiterverarbeitung Informationen über diesen anderen Zweck und alle anderen maßgeblichen Informationen gemäß Absatz 2 zur Verfügung.
Die Absätze 1, 2 und 3 finden keine Anwendung, wenn und soweit die betroffene Person bereits über die Informationen verfügt.
Dr. Mabuse
Beim Tesla wird mit einer 360-Grad-Überwachung ein Bereich von rund 250 Metern erfasst. Sobald es mehr von diesen fahrenden tausend Augen des Dr. Mabuse gibt, würde irgendwann der komplette öffentliche Straßenbereich überwacht. Vielleicht behalte ich die Coronamaske künftig dauerhaft an und kombiniere sie mit einer Sonnenbrille und einer Kapuze.
Wer letztlich an diese Daten kommt, bleibt völlig im Dunkeln. Neben den Ermittlungsbehörden, werden auch die Geheimdienste ein großes Interesse an diesem Mittel haben. Orwell würde blass vor Neid.
Das ist nicht nur ein Risiko für die allgemeine Sicherheit von Persönlichkeitsrechten, sondern zusätzlich auch ein Risiko für den Halter dieser Datenschleudern, der – ohne es zu wissen – auch selbst gegen die DSGVO verstößt und mit einem Bußgeld rechnen muss.
Hier ist gesetzgeberischer Handlungsbedarf geboten. Es sollten nicht mehr Daten erfasst und schon gar nicht gespeichert werden, als für die unmittelbaren Sicherheitsfunktionen des Fahrzeuges zwingend erforderlich sind. Eine Weiterleitung der Daten auf amerikanische Server ist unbedingt zu verhindern. Es wäre jedenfalls schade, wenn die Umstellung des Verkehrs auf Elektrofahrzeuge zum Nutzen des Klimaschutzes mit einer Beerdigung des Datenschutzes und der Persönlichkeitsrechte einhergehen würde.
Fragen Sie doch mal Ihren Abgeordneten, ob ihm diese Problematik bewusst ist, insbesondere, wenn der selbst einen Tesla fährt. Ich wette, die meisten Abgeordneten haben davon noch nichts gehört.