Alle Jläser huh! Corona und der 11.11.2021

Zum Beginn der „fünften Jahreszeit“ feierten die Menschen in Köln auf den Straßen und in den Kneipen als gäbe es kein Morgen. Trotz Corona. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


foto: alexa auf pixabay

Op die Liebe, op et Lävve, op die Freiheit und d’r Dud

Kumm mer drinke uch met denne die im Himmel sin

Alle Jläser huh

Am 11.11.2021 war ich in Köln, der Hauptstadt der Jecken. Angesichts der steigenden Coronazahlen wäre ich im Traum nicht auf die Idee gekommen, das dieses Jahr zu tun. Aber ein sehr kurzfristig angesetzter Termin beim Amtsgericht in Köln ließ mir keine andere Wahl. Und da kam ich nun auf dem Parkplatz des Amts-/Landgerichts an, stieg aus dem Auto und traute meinen Ohren nicht. Ich dachte erst, einer der Kollegen hätte sein Autoradio auf Überlautstärke an und höre den WDR, aber nein. Außer mir war niemand auf dem Parkplatz. Auf dem rund 500 Meter langen Weg zum Gericht wurde die Musik immer lauter. Es schien so, als sei das Gebäude des Gerichts eine riesige Box. Und als ich dann an der Luxemburger Straße angekommen war und auf die gegenüberliegende Wiese Richtung Zülpicher Straße  blickte, da sah ich sie. Tausende Jecken in bunten Kostümen, die sprangen, sangen, hüpften und schunkelten. Ja, superjeile Zick dachte ich und hörte ich. Und dachte erst mal, sind die denn alle völlig bekloppt? Haben die heute morgen nicht im Radio gehört, dass die Zahl der Neuinfektionen auf über 50.000 an einem Tag gestiegen ist?

The Masked Lawyer

Also Maske auf, rein ins Gericht, business as usual. Eine sehr Corona-bewusste Richterin ließ sich den Personalausweis meiner Mandantin aus fünf Metern Entfernung zeigen und tat so, als könne sie da was erkennen. Wir hockten bemasket in unseren Plexiglasboxen wie weiland die Kandidaten bei Wim Thoelke beim Großen Preis. Und wir hörten auch da noch, dass wir in der „Stadt met K“ sind. Nach dem Termin wieder Richtung Parkplatz. Und da merkte ich dann doch eine gewisse Sehnsucht.

Normalerweise

Normalerweise bin ich am 11.11. in meiner Heimatstadt auf dem Alter Markt, feiere die Sessionseröffnung mit ein paar Freunde, singe die Heimathymne, trinke einen Kaffee und das ein oder andere Kölsch, schunkele mit wildfremden Menschen und freue mich über all die bunten Kostüme um ich herum. Letztes Jahr fiel das schon wegen Corona aus und dieses Jahr sollte doch alles besser werden. Tja, Pustekuchen. Die Entwicklung ist ernster als je zuvor und für mich wird es dieses Jahr wieder nichts mit dem Feiern in Menschenmassen. Ich möchte ja meine Enkel noch ein wenig aufwachsen sehen.

Dennoch kann ich verstehen, dass die Jecken noch mal raus wollen. Ob da wirklich jeder an den Sensenmann gedacht hat, der grinsend im Hintergrund der guten Laune steht und auf eine reiche Ernte lauert? Kann gut sein.

50.000

Nach Angaben der Stadt Köln sollen es insgesamt 50.000 Menschen gewesen sein, die sich insgesamt in Köln zum Feiern versammelt haben. Und solange das draußen und mit der sogenannten 2G-Regel passiert ist, ist das auch nicht schlimmer, als ein Stadion voller singender und schreiender Fußballfans. 50.000 Mann auf des toten Manns Kiste, hoho und die Köppe voll Kölsch,

Dass die nun alle einer Todessehnsucht unterliegen glaube ich weniger. Vielmehr könnte dieses mehr oder weniger zwanghafte Rudelverhalten zu Karneval auch angesichts Corona neben dem dringenden Wunsch noch einmal zu feiern auch mit der fatalistischen Lebensphilosophie der Rheinländer zusammenhängen, die sich im Kölschen Grundgesetz wieder findet. „Et es wie et es“ (Es ist wie es ist), „Et kütt wie et kütt“ (Es kommt wie es kommt), „Et hät noch immer jood jejange“ (Es ist noch immer gut gegangen), sind Weisheiten, die jedem Rheinländer ins Blut übergegangen sind. Der Prinz hat Corona, der Präsident des Festkomitees ist Beerdigungsunternehmer. Das ist das Leben. Scheissejal.

Den Tod weglachen

Das Verhältnis der Rheinländer zum Tod ist ein ebenfalls recht entspanntes. Wer als Westfale das Glück hat, einmal an einer rheinischen Beerdigung teilzunehmen, wird feststellen, dass spätestens dann, wenn „dat Fell versoffe wid“ (also beim Leichenschmaus) nach einer kurzen Andachtspause, spätestens beim dritten Schabau mehr gelacht wird als auf jeder westfälischen Karnevalsveranstaltung. Ja, es mag sein, dass es ein Fehler ist, das Leben und das Sterben so leicht zu nehmen, aber es lässt sich nicht leugnen, dass das so ist. Wir lachen uns die Trauer weg, denn “ Jet Spass und Freud* dat hät noch keenem Minsch jeschaad“.

„Nix bliev wie et wor“ (Nichts bleibt wie es war) und „Wat wellste maache“ (Was willst Du machen) tun ein Weiteres dazu, hier der Zukunft mit einem unverbrüchlichen Optimismus entgegen zu schauen.

Zu Corona fällt uns natürlich sofort „Wat soll dä Quatsch?“ ein und die Konsequenz „Kenne mer nit, bruche mer nit, fott domet“ (Kennen wir nicht, brauchen wir nicht, weg damit).

Vollidioten

Nun zieht manch einer den Schluß daraus, dass wir Rheinländer absolut grenzdebile Vollidioten sein müssen. Aber so ist das gar nicht. Und ich bin sicher, wenn unsere Politiker einmal verstehen würden, dass die Menschen alles machen, was ihnen nicht ausdrücklich verboten wurde – und verboten waren die Karnevalsveranstaltungen gerade nicht – dann würden sie früher auf die Wissenschaftler hören und sie würden tun was notwendig ist, um solche Menschenansammlungen zu verhindern. Den Menschen vorzugaukeln, mit 2G wären sie außer Gefahr und könnten sich zu Tausenden zu „Wetten dass“ in eine geschlossene Halle, zu Messen, zu Eishockeyspielen oder auch nur in proppenvolle Busse und Bahnen setzen ohne ein Risiko einzugehen, das ist die Sauerei, die ich anprangern möchte. Macht klare Regeln und klare Ansagen. Und macht vor allem Ansagen, die ein normaler Mensch verstehen kann. Warum muss man bei einer Massage mit Maske bis zur Liege gehen und darf die dann ausziehen, wenn man auf dem Bauch liegt? Warum durften viele Kindergartenkinder nicht zum Martinszug, der draußen und mit ein paar zig Kindern stattfindet?

Ich kann das keinem erklären und wenn ich etwas nicht erklären kann, bedeutet das nichts anderes, als dass ich es nicht verstehen kann.

Ob die Sessionseröffnung zu vielen neuen Infektionen geführt hat, sehen wir in ein paar Tagen. Ich wäre unter keinen Umständen da aufgelaufen, aber ich kann auch niemanden verdammen, der sich da geimpft oder genesen hinbegeben hat.

Auf Facebook hatte ich kommentiert:

Hück jilt die 4J-Rejel. Jeimpf, jenese, jebütz, jestorve. (Heute gilt die 4 J Regel. Geimpft, genesen, geküsst, gestorben.)

Ich hoffe sehr, dass ich damit nicht recht behalten. Und falls doch,  auf die Toten: Alle Jläser huh!

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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