Die Ampel der Träume

SPD, Bündnis90/DieGrünen und die FDP wollen nun in offizielle Koalitionsverhandlungen einsteigen. Basis ist ein zwölfseitiges Papier, das zu schön ist, um wahr zu sein. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


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Es waren bemerkenswerte Sondierungsgespräche. Nicht, dass ich etwas über diese Gespräche wüsste, aber genau das macht sie so bemerkenswert. Ganz anders als bei früheren Koalitionsverhandlungen und bei einem Gespräch mit der Union sickerte dieses Mal nichts durch. Und das war eine Wohltat. Konnten doch so Medien und Öffentlichkeit die zartblühenden Pflänzchen der Verständigung zwischen den doch recht unterschiedlichen Teilnehmern nicht gleich wieder zertrampeln, bevor auch nur erkennbar werden kann, ob es Nutzpflanzen oder Wildkräuter werden.

Nun ist also dieser Abschnitt vorbei und wenn die jeweiligen Parteigremien das entschieden haben, kann es bald losgehen mit den Koalitionsverhandlungen.

Um was es gehen wird, verrät das Papier über das Ergebnis der Sondierungen zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP.

Das ist ein ganz erstaunliches Papier, zeigt es doch zum einen, dass die künftigen Koalitionspartner erkannt haben, in welche Richtung die gemeinsame Regierung gehen müsste, lässt es aber doch zum anderen daran zweifeln, dass die Blütenträume sich tatsächlich verwirklichen lassen.

Aber der Reihe nach.

Die neue Koalition will eine Fortschrittskoalition werden, d.h. sie will auf allen möglichen Gebieten modernisieren, investieren, ökologischer und digitaler werden, die Gesellschaft zusammenführen, die Rechte von Minderheiten, einschließlich der Porschefahrer, stärken, die Forschung unterstützen, die Pflege ausbauen, höhere Mindestlöhne durchsetzen, HartzIV durch ein Bürgergeld ersetzen und vieles mehr. Das ist schön. Das ist sogar sehr schön. Bloß kann ich dem Sondierungspapier nicht so recht entnehmen, mit welchen Mitteln das alles finanziert werden soll, wenn gleichzeitig auf jegliche Erhöhung von Einkommen-, Unternehmens- oder Mehrwertsteuer verzichtet wird und eine Vermögenssteuer erst gar nicht in dem Papier auftaucht. Und so etwas macht mich immer skeptisch. Papier ist geduldig, und ein schönes Papier ist nett, aber erst mal nur ein Papier. Es fliegt einem um die Ohren, wenn es nur ein schönes Papier und nett bleibt und im Nachhinein eine Absichtserklärung nach der anderen zunächst mit einem Finanzierungsvorbehalt versehen und letztlich dann kassiert wird.

Aber gut, vielleicht kommt ja noch eine Idee, wie die guten Gaben bezahlt werden sollen. Die Frage meines Namensvetters Jupp ist berechtigt.

Und der guten Gaben gibt es viele:

1. Moderner Staat und digitaler Aufbruch

Wir wollen einen grundlegenden Wandel hin zu einem ermöglichenden, lernenden und digitalen Staat, der vorausschauend für die Bürgerinnen und Bürger arbeitet. Es geht darum, das Leben einfacher zu machen. Staatliches Handeln soll schneller und effektiver werden und wirtschaftliche wie gesellschaftliche Innovationsprozesse befördern. Wir wollen eine neue Kultur der Zusammenarbeit etablieren, die auch aus der Kraft der Zivilgesellschaft heraus gespeist wird.

Ja toll. Wer könnte da was gegen haben? Die Verwaltung soll agiler werden, aha. Das glaube ich erst, wenn ich es sehe.

In meiner Referendarzeit war ich in der Verwaltungsstage in einer Kreisverwaltung im Rechtsamt. Dort hatte ich überwiegend Widersprüche von Bürgern gegen Verwaltungsakte einer Stadtverwaltung zu bearbeiten. Ein Fall, ich weiß schon gar nicht mehr, um was es dabei gegangen ist, zog sich schon über Jahre hin und mehrere Referendare hatten sich in dem Verfahren betätigt. In der Absicht, das Verfahren zu beschleunigen, machte ich meinem Ausbilder, einem Kreisrechtsrat einen kreativen Vorschlag, der das Verfahren mit einem für alle Beteiligten brauchbaren Ergebnis abgeschlossen hätte. Ich kam mir vor wie ein agiler Problemlöser, Aber der Ausbilder sah mich nur erheitert an und sprach ein paar Sätze, die ich nie vergessen werde. „Wir haben keine Eile. Der Bürger stirbt irgendwann, die Verwaltung lebt ewig.“ Ich fürchte, dass diese Denkweise in vielen Verwaltungen auch heute noch gepflegt wird und erlebe das als Bürger und Anwalt nahezu täglich. Und ich fürchte, dass sich der Verwaltungsapparat nicht freiwillig beschleunigen lassen wird. Und dass die künftige Regierung sagt:

Wir werden sie konsequent von der Bürgerin und dem Bürger her denken.

mag gut gemeint sein; jedoch mir fehlt der Glaube, dass das alleine hilft.

2. Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft

In diesem Punkt scheint die größte Einigkeit zu herrschen und da ist auch das schnellste Tempo erforderlich. Neben einem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien, nebst einer Pflicht zur Nutzung von Solaranlagen bei gewerblichen Neubauten und der Windenergie, soll gleichzeitig durch den Wegfall der EEG-Umlage der Strompreis reduziert werden. Klingt gut, muss aber auch irgendwie finanziert werden.

Die Artenvielfalt soll geschützt werden. Und ebenfalls in diesem Abschnitt des Papiers wird mitgeteilt, dass es kein Tempolimit geben wird. Naja, ein Zückerchen für Lindner darf schon sein.

3. Respekt und Chancen in der modernen Arbeitswelt

Die beste Grundlage für die Gestaltung guter Arbeit ist eine Arbeitswelt, die Sicherheit und Flexibilität bietet. Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind ebenso wie Unternehmerinnen und Unternehmer bereit, in der Zeit des Umbruchs neue Wege zu gehen – aber sie erwarten auch Sicherheit, um sich auf Lernprozesse einlassen zu können. Flexibilität ermöglicht, dass sich ein kreatives Klima für Innovationen entfalten kann. Eine historisch gewachsene Sozialpartnerschaft und die darauf gründende Fähigkeit zum Kompromiss sind zentrale Voraussetzungen dafür, dass dieser Veränderungsprozess gelingen kann.

Was auch immer das konkret bedeuten soll, warum nicht?

Wir wollen, dass Leistung anerkannt wird. Das heißt: Wer gut arbeitet, muss auch gut bezahlt werden und gute Arbeitsbedingungen haben. Wir wollen die Tarifautonomie, die Tarifpartner und die Tarifbindung stärken, damit faire Löhne in Deutschland bezahlt werden – dies befördert auch die nötige Lohnangleichung zwischen Ost und West. Die Mitbestimmung werden wir weiterentwickeln.

4. Soziale Sicherheit bürgerfreundlich gestalten

Wir wollen Sicherheit im Wandel schaffen, damit alle Bürgerinnen und Bürger in der Transformation ein selbstbestimmtes Leben führen können. Gegenseitiger Respekt erwächst nur, wenn niemand sich zurückgelassen fühlt. Wir wollen neue Wege gehen, so dass alle auch konkrete Chancen auf Teilhabe und berufliche Perspektiven haben und Lebensleistung anerkannt wird. Wir stehen für einen verlässlichen und aktivierenden Sozialstaat, der die Bürgerinnen und Bürger in den Stationen ihres Lebens unterstützt, Teilhabe ermöglicht, vor Armut schützt und Lebensrisiken absichert. Diese Zusage ist eine wichtige Basis dafür, Bürgerinnen und Bürger zu ermutigen, auch Neues zu wagen.

Ja, auch das klingt wunderbar und ja, das wird richtig Geld kosten, wenn es denn wahr werden soll.

Haben sie wohl auch gemerkt:

Um diese Zusage generationengerecht abzusichern, werden wir zur langfristigen Stabilisierung von Rentenniveau und Rentenbeitragssatz in eine teilweise Kapitaldeckung der Gesetzlichen Rentenversicherung einsteigen. Dazu werden wir in einem ersten Schritt der Deutschen Rentenversicherung im Jahr 2022 aus Haushaltsmitteln einen Kapitalstock von 10 Milliarden Euro zuführen. Wir werden der Deutschen Rentenversicherung auch ermöglichen, ihre Reserven am Kapitalmarkt reguliert anzulegen.

Gute Idee, aber das wird nicht reichen angesichts der künftigen Rentnermassen.

Folgendes gibt’s auch nicht für lau:

In der Gesundheitspolitik wollen wir Vorsorge und Prävention zum Leitprinzip machen. Wir wollen unser Gesundheitswesen stark machen, damit es für kommende Krisen, etwa eine neue Pandemie, gut vorbereitet ist. Dafür werden wir aus den Erkenntnisse der Pandemie lernen und den Öffentlichen Gesundheitsdienst digitalisieren und stärken.

Auch richtig und dringend erforderlich, aber eben auch scheißeteuer:

Wir wollen eine Offensive für mehr Pflegepersonal. Hochwertige Pflege gibt es nur mit gut ausgebildeten Pflegekräften, guten Arbeitsbedingungen und angemessenen Löhnen in der Pflege. Wir wollen mehr qualifizierte ausländische Pflegekräfte gewinnen und die nötigen Voraussetzungen dafür schaffen.

Pflegerinnen und Pfleger sollen mehr Zeit für ihre eigentliche Tätigkeit mit den Patientinnen und Patienten haben. Das wollen wir durch Entbürokratisierung, die Nutzung digitaler Potentiale und klare bundeseinheitliche Vorgaben bei der Personalbemessung gewährleisten.

Ja, alles richtig, alles wichtig. Da müssen dann aber auch die Krankenkassenbeiträge steigen.

5. Chancen für Kinder, starke Familien und beste Bildung ein Leben lang

Wir wollen Kindern und Jugendlichen bessere Chancen unabhängig von der sozialen Lage ihrer Eltern ermöglichen. Wir konzentrieren uns auf die Kinder, die am meisten Unterstützung brauchen. Wir wollen mehr Kinder aus Armut holen. In einem Neustart der Familienförderung sollen bisherige Leistungen in einem eigenen Kindergrundsicherungsmodell gebündelt und automatisiert ausgezahlt werden, so dass sie ohne bürokratische Hürden bei den Kindern ankommen.

Da bin ich mal gespannt, ob das endlich klappt. Gut, dass sie es angehen wollen.

Wir wollen starke Kinderrechte im Grundgesetz verankern.

Ginge schnell, würde nichts kosten, allerdings auch nicht so furchtbar viel bringen. Trotzdem gut und lange überfällig.

6. Innovation fördern und neue Wettbewerbsfähigkeit erreichen

Wir wollen die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland als Grundlage für nachhaltiges Wachstum, Wohlstand und hohe Beschäftigung in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft erhöhen. Wir werden Unternehmen und Beschäftigte bestmöglich unterstützen, Innovation fördern und neues Zutrauen in Gründergeist, Innovation und Unternehmertum schaffen. Dazu stärken wir die StartUp- und Gründerförderung und entbürokratisieren die Innovationsförderung und -Finanzierung.

Das wäre wünschenswert und geradezu notwendig, um die ganzen anderen Wohltaten eventuell aus einem gesteigerten Wachstum ohne Steuererhöhungen finanzieren zu können.

7. Offensive für bezahlbares und nachhaltiges Bauen und Wohnen

Wir wollen mehr bezahlbaren Wohnraum schaffen. Dazu ist es vordringlich, deutlich mehr Wohnungen zu bauen. Unser Ziel ist der Bau von 400.000 neuen Wohnungen pro Jahr, davon 100.000 öffentlich geförderte Wohnungen. Hierzu werden wir zu einem „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ mit allen wichtigen Akteuren einladen. In diesem Rahmen gewährleisten wir Planungssicherheit für die Bauindustrie zum Aufbau von Baukapazitäten.

Ganz dringend erforderlich und machbar.

8. Freiheit und Sicherheit, Gleichstellung und Vielfalt in der modernen Demokratie

Deutschland ist ein modernes Land, mit großer Vielfalt der Gesellschaft, in der unterschiedliche Lebensentwürfe, Lebensumstände und Herkunftsgeschichten zusammenkommen. Wir begreifen diese Vielfalt als Chance und wollen gerechte Teilhabe in allen Bereichen organisieren und Diskriminierung klar entgegentreten.

Wir wollen unsere Rechtsordnung der gesellschaftlichen Realität anpassen. Dazu werden wir u.a. das Staatsangehörigkeitsrecht, das Familienrecht, das Abstammungsrecht und das Transsexuellengesetz ebenso wie die Regelungen zur Reproduktionsmedizin anpassen und beispielsweise Verantwortungsgemeinschaften bzw. einen Pakt für Zusammenleben möglich machen.

Sinnvoll und relativ preiswert zu haben. Nützt allen und schadet niemandem, außer vielleicht dem Seelenheil einiger Stockkonservativer. Also los.

Wir wollen unser sicheres Land noch sicherer machen. Jede und jeder in Deutschland soll sich sicher fühlen – ob auf der Straße, zu Hause oder im Netz. Dafür kommt es vor allem auf mehr präventive Sicherheit an. Dazu brauchen wir motivierte, gut ausgebildete und ausgestattete Polizistinnen und Polizisten. Ihre Präsenz und Bürgernähe macht sie für uns zu einem unerlässlichen Partner. Rechtsstaatlichkeit und Verhältnismäßigkeit sind die Maßstäbe, nach denen sie ihren Dienst für alle tun. Wir wollen dafür sorgen, dass sie die verdiente Anerkennung und den Respekt für ihre wichtige Arbeit erfahren.

Dringend nötig, aber da Polizei bis auf die Bundespolizei Ländersache ist, vom Bund kaum zu erreichen. Und ebenfalls teuer.

 Wir wollen das Wahlrecht überarbeiten, um nachhaltig das Anwachsen des Deutschen Bundestages zu verhindern. Das Wahlalter für die Wahlen zum Deutschen Bundestag und Europäischen Parlament wollen wir auf 16 Jahre senken.

Ja, auch  das ist schon lange überfällig und findet meine uneingeschränkte Zustimmung. Kostet auch nichts außer ein bisschen Mut.

9. Zukunftsinvestitionen und nachhaltige Staatsfinanzen

Die 2020er Jahre wollen wir zu einem Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen machen. Wir verfolgen dazu eine Politik, die die Investitionen – privat, wie öffentlich – deutlich erhöht.

Wir werden im Rahmen der grundgesetzlichen Schuldenbremse die nötigen Zukunftsinvestitionen gewährleisten, insbesondere in Klimaschutz, Digitalisierung, Bildung und Forschung sowie die Infrastruktur. Damit die bereitgestellten Mittel auch eingesetzt werden, müssen Planungsprozesse und Genehmigungen deutlich beschleunigt werden; Investitionssicherheit muss herrschen. Kapitalsammelstellen sollen besser in Zukunftstechnologien investieren können.

Das wäre die Quadratur des Kreises. Fressen ohne dick zu werden, Saufen ohne besoffen zu werden, Geld ausgeben ohne arm zu werden. Zukunftsinvestitionen ohne neue Verschuldung? Wie mag das gehen?

10. Deutschlands Verantwortung für Europa und die Welt

Deutschland stellt sich seiner globalen Verantwortung. Keine der großen Aufgaben unserer Zeit können wir als Land alleine bewältigen.

Zweifellos. Was das nun konkret bedeuten wird, werden wir sehen.

Alles in Allem ist das eine schöne Perspektive und ich wünsche mir, dass diese Koalition der Wahlsieger nun auch die Hürde der Koalitionsverhandlungen übersteht und die neue Regierung bald ihre Arbeit aufnehmen kann. In dieser Absichtserklärung stecken sehr viele gute Ansätze, und dass in dem Papier nicht die schnelle Legalisierung von Haschisch und Marihuana auftaucht, könnte damit zusammenhängen, dass das eh unstreitig war. Da ließen sich insbesondere bei Polizei und Justiz eine Menge unnützer Arbeit und damit Geld sparen, und Millionen von friedlichen Kiffern hätten nicht mehr das Damoklesschwert der Kriminalisierung über sich hängen.

Es würde mich sehr beruhigen, wenn die Koalitionäre gelegentlich erklären würden, wie diese ganzen tollen Ideen bezahlt werden sollen. Dann könnte ich mich so richtig freuen auf das neue, moderne, ökologische und soziale Deutschland. So befürchte ich, dass allzu vieles von den Plänen sich in Luft auflösen wird, sofern nicht der Weihnachtsmann oder der Goldesel noch in die Regierung aufgenommen werden. Mein Großvater, ein weiser Mann, pflegte bei allzu großer Euphorie stets an seiner Pfeife zu ziehen und durch den Rauch zu murmeln:

Et sinn at suvill Plän kapott jejange (Es sind schon so viele Pläne gescheitert)

Und das würde ich sehr bedauern.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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