Die große Wahlkampfshow

Müde von Wahlarenen, Triellen und unzähligen Interviews macht unser Kolumnist Heinrich Schmitz einen Vorschlag für ein spannendes Wahlkampfformat.


Bild von Hebi B. auf Pixabay

Haben Sie auch die Nase voll von Wahlkampfsendungen im Fernsehen? Immer dieselben Nasen mit immer denselben Textbausteinen, die Sie schon x-mal gehört haben? Hat das für Sie einen Informations- oder wenigstens einen Unterhaltungswert? Für mich eher nicht.

Langweilig

Denn was die einzelnen Parteien wollen bzw. behaupten zu wollen und versprechen, kann man ihren Programmen entnehmen. Und man kann ziemlich sicher sein, dass die Wahlversprechen nach der Wahl in den meisten Fällen von den Koalitionsmühlsteinen zermahlen werden oder aus Finanzierungsgründen zurückgenommen werden. Ob jemand sich tatsächlich durch die Wahlkampfsendungen wesentlich zu einer anderen Wahlpräferenz bewegen lässt, wage ich zu bezweifeln. Jeder hört das, was er hören will und jeder sieht seinen Kandidaten anders als die Kandidaten der anderen. Der Unterhaltungswert ist genauso niedrig wie der Erkenntniswert. Das ist langweilig.

Da es nicht nur um Parteiprogramme, sondern durchaus auch um Spitzen- oder gar KanzlerkandidatInnen geht, wäre es doch nett, wenn man die Bewerbenden mal etwas näher kennenlernen könnte. Und dafür gäbe es TV-Formate, die sowohl unterhalten wie auch informieren würden.

Trash matters

Als bekennender Trash-TV-Seher fielen mir da einige ein.

Würde man die, sagen wir mal,  15 Spitzenkandidaten der 15 aussichtsreichen Parteien für 14 Tage in ein Big Brother Haus stecken, dann ließen sich aus deren Verhalten jede Menge Schlüsse ziehen.

Ist der Kanditat teamfähig? Ist die Kandidatin stressresistent? Kann der Kandidat rechnen? Kennt sie die Grundrechte, ohne in ein Buch zu schauen? Wie sieht es mit den Regierungschefs der 50 größten Staaten aus: wer kennt die meisten? Wie mit Geschichtskenntnissen? Hat der Kandidat Sitzfleisch usw.

Man könnte auch Sätze aus den jeweiligen Parteiprogrammen zeigen und fragen, aus welchem Programm das stammt. Kennt der Bewerber das eigene Programm? Wie wären Fragen zu Sätzen aus früheren Interviews zu aktuellen Themen?

Charakterfrage

Bereits das 14-tägige „Einsperren“ der Kandidaten brächte da einen erheblichen Erkenntnisgewinn über die jeweilige Persönlichkeit. Denn wer 24 Stunden am Tag in einer Gruppe zusammenleben muss und dabei nonstop von Kameras beobachtet wird, kann sich auf Dauer nicht wirklich verstellen. Das klappt ein paar Tage, aber irgendwann wird dann doch der wahre Charakter sichtbar.

Und das Format ließe sich ja aus vielen Unterhaltungssendungen speisen. So könnte man jeden Tag eine Stunde von einer anderen Quizsendung gestalten lassen. Bei „Gefragt – Gejagt“ müssten die Kandidaten gegen die berüchtigten „Jäger“ antreten und zeigen, was sie so an Allgemeinbildung mitbringen. Oder man lässt sie, wie beim „Kampf der Realitystars“, dämliche Spielchen machen.

Bei „Schlag den Star“ könnten sie zeigen, ob sie auch über mehrere Stunden und unterschiedlichste Spiele die notwendige Konzentration und Kondition haben.

Auf dem „Heißen Stuhl“ müssten sie sich jeweils eine halbe Stunde den Fragen von Zuschauern stellen, und auch die „Kinderreporter“ könnten sie grillen. Und weit und breit kein Wahlkampfteam, das eine Rückmeldung leistet. Jeder ist auf sich gestellt.

Fragen wie, was ist ihr Lieblingsgedicht, mögen zwar gemein sein, aber man könnte ja auch ehrlich antworten, dass man kein Lieblingsgedicht hat und nur Lieder auswendig kennt, die auf dem Index stehen. Die Frage, was ein Liter Milch kostet, kann man entweder richtig beantworten, oder aber sagen, dass man selbst gar keine Zeit zum Einkaufen hat und das dem Partner überlässt. Und ob man die Frage, wie man sich vor 5 Jahren zur Ehe für alle geäußert hat, wahrheitsgemäß oder bewusst falsch beantwortet, oder ob der Kandidat unter beginnenden Gedächtnisstörungen leidet, wäre doch auch recht aufschlussreich fürs Publikum zu wissen.

Bedarfsgemeinschaft

Wie wäre es, wenn die Kandidaten ein dem Hartz-IV-Satz für Bedarfsgemeinschaften entsprechendes Budget erhalten und sehen müssen, dass sie damit so wirtschaften, dass niemand Hunger leidet? Jeder muss mal mit dem Tagesbudget einkaufen und dann wird zusammen gekocht. Blöde Idee? Finde ich nicht. In einer solchen Wohngemeinschaft auf Zeit ließe sich erkennen, ob die KandidatInnen teamfähig sind. Ob sie bereit sind, andere Meinungen zu akzeptieren, ob sie in der Lage sind, zum Nutzen der Gemeinschaft eigene Ansprüche zurückzustellen. Will einer immer der Bestimmer sein oder kann man sich vernünftig verständigen? Wie ist die Gesprächskultur, wenn keine Uhr die einzelnen Redeanteile reguliert? Blökt einer immer rum oder kann jemand versöhnen, wenn es Streit gibt? Ist jemand nett, aber doof oder ein anderer schlau, aber ein Soziopath?

Wie reagieren die TeilnehmerInnen, wenn sie auf einer Überraschungsparty mit Alkohol „belohnt“ werden? Zwischen welchen Kandidaten kommt es zu Streit (Streit gibt es immer) und zwischen welchen Kandidaten gibt es ernsthafte Gespräche? Gibt es Verbindendes oder nur Abgrenzung?

Popcorn

Ich wette eine Tüte Popcorn, dass die Kandidaten in einem solchen Format mehr von ihrer Persönlichkeit preisgeben müssen, als sie dies im durchgebrieften Wahlkampf jemals tun müssen. Nach ein paar Tagen werden sie ihre Wahlkampftextbausteine abgefeuert haben und sich selber albern vorkommen, wenn sie sich nicht – unter den Augen der interessierten Öffentlichkeit – mit den anderen wirklich unterhalten. Auch über Persönliches. Über Probleme oder alte Geschichten. Nun mögen sie sagen, dass das für einen Politiker nicht wichtig ist, dass der nur eine Rolle in der Öffentlichkeit spielt und mich sein Privatleben und sein Verhalten im Alltag gar nichts angehen. Ja, mag sein. Aber es würde mehr über die kandidierenden Menschen aussagen als doofe Fragestunden. Und es würde mich vermutlich recht gut unterhalten.

Dass allerdings auch nur ein Politiker bereit wäre, in einem solchen Format die „Hosen runter“ zu lassen und den Mut hätte, sich einem solchen Wahltest zu unterziehen, kann man – glaube ich – vergessen. Aber, wer weiß?

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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