Vier Datteln für den Rechtsstaat

Das OVG Münster erklärte den Bebauungsplan Datteln 4 für unwirksam. Eine Klatsche für die Stadt und das Land NRW. Der Anfang vom Ende für das Kraftwerk und ein Sieg des Rechtsstaats. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von razia Richman auf Pixabay

Planungsrecht ist eine schwierige Materie. Einen rechtswirksamen Bebauungsplan hinzubekommen, ist gar nicht so einfach. Und wenn man es, nachdem es bereits einmal gründlich misslungen ist, mit der Brechstange erneut versucht, geht das meistens so richtig in die Hose und dann guckt man blöde aus der Wäsche.

Aber der Reihe nach.

Aus mir nicht näher bekannten Gründen wollte die Stadt Datteln am jetzigen Standort von Datteln 4 unbedingt ein Steinkohlekraftwerk haben. Und so wurde das dann in der Vergangenheit munter geplant. 2007 gab es die ersten Klagen und bereits am 3.9.2009 stellte das Oberverwaltungsgericht Münster fest, dass der damalige Bebauungsplan diverse Mängel hatte und unwirksam sei.

Damals hieß es u.a. in recht unverdaulichem Juristendeutsch:

Der Bebauungsplan Nr. 105 – E.ON Kraftwerk – der Antragsgegnerin ist unwirksam. Er ist entgegen § 1 Abs. 4 BauGB nicht den Zielen der Raumordnung angepasst (dazu I.). Der Landesentwicklungsplan NRW (LEP) enthält in seiner zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bebauungsplanes geltenden Fassung verbindliche, von der planenden Gemeinde zu beachtende Zielvorgaben (§ 4 Abs. 1 ROG) in Gestalt von zeichnerisch bestimmten Flächen für energetische Großvorhaben. Diesen Vorgaben der Landesplanung sind weder der Regionalplan Münster – Teilabschnitt Emscher-Lippe – in der Fassung seiner 4. Änderung noch der Flächennutzungsplan noch der hier umstrittene Bebauungsplan angepasst worden (I.1.). Darüber hinaus missachtet der Bebauungsplan die Vorgaben des § 26 LEPro NRW und der Plansätze des LEP (I.2.). Selbst wenn diese Abweichungen nicht zur Unwirksamkeit des Regionalplanes führten, hätte die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Bauleitplanung in Rechnung stellen müssen, dass hier unterschiedliche Zielvorgaben der übergeordneten Raumplanung bestanden. An einer solchen abwägenden Berücksichtigung fehlt es (I.3.). Unabhängig davon ist der Bebauungsplan Nr. 105 den Zielen des geltenden Regionalplans auch dann nicht angepasst, wenn dessen Wirksamkeit – entsprechend dem Vortrag der Antragsgegnerin und der Beigeladenen – zu unterstellen wäre (I.4.). Der Bebauungsplan ist zudem unter mehreren Gesichtspunkten abwägungsfehlerhaft und verstößt deshalb gegen § 1 Abs. 7 BauGB (II.). Der Plangeber hat bei dem Satzungsbeschluss vom 15. Januar 2007 die für die Abwägungsgerechtigkeit des städtebaulichen Konzepts maßgeblichen Gesichtspunkte zumindest teilweise nicht erkannt, sodass es insoweit zu einem nahezu vollständigen Abwägungsausfall gekommen ist (II. 1.). Jedenfalls hat der Rat bei seiner Abwägungsentscheidung die maßgeblichen Belange falsch gewichtet, so dass das Abwägungsergebnis fehlerhaft ist. Der Satzungsgeber hat die Bedeutung des § 50 BImSchG grundlegend verkannt (II.2.). Darüber hinaus verletzt der Bebauungsplan Nr. 105 durch die nahezu vollständige Verlagerung der durch die Planverwirklichung absehbaren Konflikte in das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren das Gebot der planerischen Konfliktbewältigung (II.3.). Die möglichen Auswirkungen der Planung auf das FFH-Gebiet „Lippeauen“ sind nicht ausreichend untersucht und bewertet worden (II.4.). Das Integritäts- und Kompensationsinteresse von Natur und Landschaft wurde nicht hinreichend gewürdigt (II.5.). Die Abwägungsfehler sind offensichtlich und ergebnisrelevant (II.6.). Angesichts dieser schwerwiegenden Mängel konnte der Senat offen lassen, ob der Bebauungsplan nach § 1 Abs. 3 BauGB städtebaulich erforderlich ist (II.7.) und ob er unter weiteren Mängeln leidet, die für sich genommen oder in der Summe ebenfalls zu seiner Unwirksamkeit führen (II.8.). Der Frage, ob der Bebauungsplan an beachtlichen Form- oder Verfahrensmängeln leidet, war ebenfalls nicht weiter nachzugehen.

Klingt etwas kompliziert, sagt aber mit recht deutlichen Worten, dass die Stadt ziemlichen Mist gebaut hat. Einen nahezu vollständigen Abwägungsausfall vorgeworfen zu bekommen, ist schon heftig.

Nun wurde damals aber nicht nur der Bebauungsplan für unwirksam erklärt, sondern  in einer anderen Entscheidung  des OVG Münster im Jahr 2012 auf die Klage der Naturschutzorganisation BUND hin auch der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid aufgehoben (Urt. v. 12.06.2012, Az. 8 D 38/08.AK). Dass solche Verfahren gefühlt ewig dauern, ist bei der Verwaltungsgerichtsbarkeit leider normal. Aber immerhin, besser spät als nie.

Karlssonscher Geist

Als Antragsgegner wäre ich vermutlich im Boden versunken und hätte künftig für alle Zeiten etwas anderes gemacht als Bebauungspläne. Aber, warum auch immer, solche Niederlagen vor Gericht stören doch keinen großen Geist. Die offenbar vom Herr-Karlsson-Geist beseelte Stadt Datteln ließ sich durch solche Kleinigkeiten nicht weiter irritieren und versuchte krampfhaft, Datteln 4 irgendwie zu retten. Also musste ein neuer Bebauungsplan her. Kann man ja mal machen.

Allerdings kann man so etwas nur machen, wenn einem die Landesregierung dabei hilfreich unter die Arme greift. Und bevor nun jemand zu früh jubelt und der aktuellen Regierung den schwarzgelben Peter in die Schuhe schieben möchte, das war damals eine rotgrüne Regierung. Shame on you.

Und die beschloss in einem nicht nachvollziehbaren Anfall von galoppierendem Wahnsinn einfach mal eine Zielabweichungsentscheidung. Schönes Wort für: was nicht passt wird passend gemacht. Warum die rotgrüne Regierung damals nicht die Chance ergriffen hat, das Projekt einfach abzublasen, weiß ich nicht. Allerdings stellte sich auch die Laschet-Regierung seit der Amtsübernahme wie ein Steiger hinter Datteln 4 und da steht sie jetzt, mit Kohle im Gesicht, halt rum und sieht dabei nicht gut aus.

Pläne machen

Aber nun konnte sich die Stadt Datteln endlich wieder  daran machen, einen neuen Bebauungsplan aufzustellen. Pläne machen ist ja grundsätzlich etwas Schönes, mit Vorfreude und so.  Aber schon mein Großvater sagte stets, et sinn at esu vill Plän kapottjejange. (Für Immies: Es sind schon so viele Pläne gescheitert).

Dabei war den Planern die Entscheidung des OVG ja durchaus bekannt und man hätte schon erwartet, dass sie nun im zweiten Anlauf wenigstens neue Fehler machen und nicht noch einmal dieselben wie vorher. Nun ja, shit happens. Und Murphys Gesetz folgend ging mal wieder alles schief, was schiefgehen konnte. Und so begab es sich im Jahr 2014, dass der Rat der Stadt einen schönen neuen Bebauungsplan verabschiedete. Gegen den dann postwendend erneut geklagt wurde. Konnte ja keiner mit rechnen.

Schaffe, schaffe Kraftwerk baue

Zwischenzeitlich wurde vom Betreiber munter weiter gebaut und – oh Wunder – im Jahr 2017 erhielt das schöne neue Kraftwerk, wie aus der Zeit gefallen, trotz der laufenden Verfahren und weiterhin bestehenden Bedenken tatsächlich eine Betriebsgenehmigung. So schafft man erst mal Fakten.

Es ging offensichtlich darum, den Standort Datteln nicht zu gefährden,

sagte der Vorsitzende Richter Klein Altstedde des OVG Senats schon in der mündlichen Verhandlung zum Bebauungsplan.

Das hat ja nun vorzüglich geklappt. Mehr gefährden als durch unwirksame Bauplanung, kann man eigentlich kein Projekt. Und wenn der Laden dann endlich irgendwann mal dicht sein wird, wird der Betreiber zu Recht eine fette Entschädigung verlangen, die Sie und ich dann wieder löhnen dürfen. Denn nach dem altbekannten Scheuerschen Grundsatz zahlen Politiker selbst nie für die Scheiße, die sie so anrühren. Die bekommen höchstens lukrative Posten in der Industrie. Und sehen wir es mal positiv, so oder so wird jede Menge Kohle verbrannt.

Nun bedeutet zwar die Unwirksamkeit des Bebauungsplanes noch nicht zwingend das Ende von Datteln 4, aber es dürfte kaum juristisch möglich sein, die Betriebsgenehmigung auf Dauer zu halten, wenn der zugrundeliegende Bebauungsplan unwirksam ist.

Keine Hoffnung

Die Hoffnung der Betreiber und der Stadt Datteln, dass das Bundesverwaltungsgericht die Entscheidung noch kippen könnte, halte ich für ziemlich blauäugig. Denn bereits bei der letzten Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht die Revision gar nicht erst zugelassen. Warum es das nun tun sollte, wüsste ich nicht.

Damit müsste wohl die Betriebsgenehmigung eigentlich schon von Amts wegen, also ohne dass ein Gericht das erledigen müsste, von der Genehmigungsbehörde zurückgenommen werden. Aber auch wenn das nicht geschieht, womit man rechnen darf, wird die wohl keine lange Lebensdauer mehr haben. Das Ende von Datteln 4 ist nah.

Denn auch gegen diese Betriebsgenehmigung wird bereits geklagt. Das Verfahren liegt zur Zeit nur auf Eis, weil der dafür zuständige Senat des OVG im Einvernehmen mit den Beteiligten erst die Entscheidung bezüglich des Bebauungsplanes abwarten wollte. Und die ist jetzt da und deutlich.  Es ist also nur eine Frage der Zeit, bis auch hier eine erneute Klatsche für die Beklagte droht.

Und da sage nun keiner, wir lebten in einer X-Diktatur (für X-beliebiges einsetzen), in der der kleine Mann nichts gegen die Mächtigen machen könne. Nein, wir leben in einem in der Regel ganz gut funktionierenden Rechtsstaat, in dem auch der Einzelne ein Großprojekt stoppen kann. Und das ist gut so.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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