Die Retter der deutschen Sprache
Es gibt Menschen, die meinen, sie müssten die deutsche Sprache vor übertriebener Korrektheit retten. Dabei retten sie etwas ganz anderes. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz
Bild von Markus Winkler auf Pixabay
Wer wie ich in den 50er Jahren geboren wurde, für den gehörten all die N-,M-,Z-Worte zur normalen Alltagssprache. In der Kirche stand der Nick-N. Der sich mit einem Nicken für eine Spende für die hungernden Kinder in Afrika bedankte und dem die Kinder hier gerne ein paar Groschen spendeten, weil er so putzig nickte. Aß man seinen Teller nicht leer, was damals eine merkwürdige Verpflichtung war, die in erster Linie zu Fettleibigkeit führte, dann wurde einem vorgehalten, wie glücklich doch die armen N-Kinder wären, wenn sie so einen vollen Teller hätten. Dass die von dem ganzen zeitgemäß fetten Kram höchstens die Scheißerei bekommen hätten, bedachte niemand. Und wenn man brav war und sein Z-Schnitzel vollständig verspeist hatte, gab es noch eine Kalorienbombe extra in Form eines M-Kopfs, eines N-Kusses oder eines Eis-Ns.
Wenn Sie mit all diesen Kürzeln nichts anfangen können, brauchen Sie gar nicht weiter zu lesen, denn all diese Worte sind absolut entbehrlich, die müssen Sie nicht noch im Nachhinein in Ihren Sprachschatz aufnehmen.
Erst in den letzten Jahren müsste aber auch dem Dümmsten aufgefallen sein, dass diese Worte verletzen, diskriminieren und richtig weh tun können.
Boomer
Umso mehr wundert es, dass sich angesichts verschiedener Verwendungen dieser und anderer Begriffe in den letzten Wochen und Tagen immer wieder Menschen, ja vor allem alte, weiße Männer, gerne aus den 50/60ern, sogenannte Boomer, zu Wort melden, die meinen, das sei doch alles gar nicht so schlimm und man solle nicht so ein Gewese darum machen, wenn z.B. ein deutscher Olympiafunktionär seinen Sportler meint damit anfeuern zu müssen, dass er ihm zuruft, er solle sich die „Kameltreiber holen“.
Kann „im Eifer des Gefechts“ schon mal passieren, dass einem so was raus rutscht, meinen da die Verteidiger der rassistischen Ausdrucksweise, die sich als letzte Hüter der guten alten deutschen Ausdrucksweise darstellen, die aber ihrerseits flugs eine Anzeige erstatten, wenn man sie als Nazis bezeichnet. Komisch aber auch. Lustig ist es wohl nur, wenn es andere trifft.
Rausrutschen
Rausrutschen, heute auch gerne als Mausrutschen bezeichnet, kann eigentlich nur etwas, was auch drin ist. Dass einem der Penis aus der Sporthose rutscht, kann nur passieren, wenn man auch einen hat. Mir sind auch im Eifer des Gefechts noch nie chinesische, russische oder arabische Sätze entwichen, weil ich diese Sprachen gar nicht in meinem Gehirn habe. Da kann auch nichts rutschen. Nur wer in seinem Wortschatz ein Füllhorn an rassistischen Begriffen sein Eigen nennt, dem kann so etwas passieren.
Ein guter Mensch bringt Gutes hervor aus dem guten Schatz seines Herzens; und ein böser bringt Böses hervor aus dem Bösen. Denn wes das Herz voll ist, des geht der Mund über (Lukas 6,45)
Und ja, ich kenne all diese Worte auch noch von früher, aber es ist eben Jahrzehnte her, dass ich die selbst ganz arglos verwendet habe und ich sehe auch keinen Nutzen darin, die noch mal aus der Mottenkiste der Sprachentwicklung zu holen. Auch nicht im Eifer des Gefechts. Diese Worte gehören in den Giftschrank der Sprachgeschichte, aber nicht in den alltäglichen Gebrauch. Watt fott is, is fott.
Wer meint, er müsse nun unter dem Deckmantel der Rettung der deutschen Sprache zu einer Rettung rassistischer Begriffe aufrufen und diejenigen vehement verteidigen, die diese in diskriminierender Weise verwenden, der verteidigt tatsächlich das hinter diesen Begriffen stehende antiquierte, kolonialistische Weltbild, in dem der tolle Arier die Krone der Menschheitsentwicklung darstellt und alle die nicht weiß sind als irgendwie minderwertig betrachtet und beliebig gedisst werden dürfen.
Worte verletzen
Ich habe nichts gegen Kraftausdrücke und nenne ein Arschloch auch ein Arschloch oder einen Nazi einen Nazi, aber ich muss mich nicht dadurch erhöhen, dass ich Menschen anderer Herkunft mit Begriffen betitele, die sie herabsetzen und verletzen. Was soll das?
Nun gibt es aber Menschen, die das alles gar nicht so tragisch finden. Meist sind das die, die von den Begriffen nicht betroffen sind. Man solle sich doch nicht so haben, das sei doch alles nicht so gemeint, es sei doch lustig und im übrigen habe man ja selbst … (beliebigen Begriff einsetzen) Freunde oder wenigstens Bekannte, oder sei mit jemandem befreundet, der jemanden kennt, der so einen Bekannten hat. Das schließe ja nun aus, dass man selbst ein Rassist sei. Es sei in Wahrheit diese ominöse Sprachpolizei, die die Stimmung vergifte und darüber hinaus auch noch die schöne deutsche Sprache beschädige. Mimimi.
Das ist Käse. Zunächst einmal gibt es keine Sprachpolizei, denn eine Polizei wäre eine staatliche Einrichtung, die über die Sprache wacht. Hammer nit, bruchemer nit.
Was wir allerdings haben, sind teils heftige gesellschaftliche Reaktionen auf ekelhafte Äußerungen, die durchaus auch mit persönlichen Konsequenzen für den vermeintlich lustigen Typen enden können. Wer z.B. als Teilnehmer der deutschen Olympiamannschaft Sportler anderer Nationen rassistisch betitelt, der darf kaum darauf hoffen, weiter im Kader zu bleiben, auch wenn er nur im Trainerstab ist. Das ist gar nicht einmal so sehr eine Frage von politisch korrekter Sprache, sondern eher eine Frage des Anstands. Ob das nun gleich dazu führen muss, dass derjenige seinen Job grundsätzlich verliert, ist eine andere Frage. Das müsste dann gegebenenfalls ein Arbeitsgericht entscheiden und vermutlich reicht ein einmaliger Verstoß da nicht für eine fristlose Kündigung. Das mag hart sein, aber es ist aus meiner Sicht richtig.
Toleranz
Ja wo bleibt denn da die gesellschaftliche Toleranz, fragte eine Teilnehmerin einer Facebookdiskussion? Ernsthaft? Toleranz ist ja etwas sehr schönes, aber wird da wirklich verlangt, dass man ein menschenverachtendes, rassistisches Verhalten als Gesellschaft doch bitte sehr tolerieren soll? Mal mit der Schulter zucken und sagen, der Nordafrikaner soll sich mal nicht so anstellen? Ja warum denn?
Ach das ist nur die Empörung der Woken, höre ich dann wieder. Auch das ist lustig. Der Begriff „woke“ stammt aus den USA der 1940er Jahre und bezeichnet ein erwachtes Bewusstsein für mangelnde soziale Gerechtigkeit und Rassismus, also etwas rundum Positives. Mit dem Tod des von einem weißen Polizisten ermordeten George Floyd erlebte der Begriff woke einen ungeahnten Aufschwung.
Mittlerweile wird er aber vor allem in rechten Kreisen als sarkastisches Schimpfwort verwendet und soll diejenigen diskreditieren, die sich für soziale Gerechtigkeit und gegen Rassismus einsetzen. Da geht es dem Begriff ähnlich wie dem des Gutmenschen oder dem des Menschenfreunds. Die Trumpisten und die blaubraunen Rechtsextremen haben kapiert, dass die Umwidmung von Begriffen eine effektive Waffe sein kann.
Confiteor
Dass Übles auch was mit Sprache zu tun hat und das Sprache etwas mit Handlungen zu tun hat, habe ich schon als Messdiener gelernt. Wie jeder Messdiener musste auch ich das Confiteor, selbstverständlich auf Latein – man gönnt sich ja sonst nichts – lernen. Und in diesem Schuldbekenntnis heißt es (ich übersetze das gleich mal):
Ich bekenne… das ich gesündigt habe, in Gedanken, Worten und Werken
Und man mag nun von der römisch-katholischen Liturgie halten was man will, genau dieser Dreiklang trifft es. Zunächst sind da die Gedanken, die bekanntlich frei sind und solange nur einem selbst schaden können, wie sie ungeäußert bleiben. Dann folgen die Worte, die sich an andere richten und bereits verletzen oder anstacheln und auf üble Gedanken bringen können. Und dann folgen letztlich die Werke, wie die NSU-Morde, die Ermordung eines Schwarzen durch einen rassistischen Polizisten, islamistische Terroranschläge, Breivik oder was auch immer. Breivik wusste, was Worte auslösen können und hinterließ auch deshalb sein „Manifest“. Und alle die, die in den sozialen Netzwerken mit Worten Hass schüren, wissen ganz genau, dass sie damit Taten provozieren und damit auch Verantwortung für diese Taten tragen, zwar nicht unbedingt strafrechtlich, wenn es denn keine Anstiftung ist, aber zumindest doch moralisch. Aber was bedeutet den Hetzern schon Moral?
Arsch huh
Nein, ich bin nicht empört, wenn wieder jemand einen Rassistenspruch raus haut. Es gibt ja auch genug Idioten, die gar nicht raffen, was sie da tun. Aber ich reagiere. Mal so, mal so.
Zur Beerdigung meines Freunde Paul am Mittwoch „öm ellef“ hatte ich die Ehre, sein altes T-Shirt vom „Arsch huh Konzert“ tragen zu dürfen. Ja, Paul war zwar locker 40 Kilo leichter als ich, aber wie durch ein Wunder passte das Teil mir trotzdem. Und Arsch huh war und ist unser gemeinsames Bekenntnis gegen Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Hass.
In dem Lied von Wolfgang Niedecken und Vassilos Nikitakis heißt es:
Wie wör et wenn du dämm Blaumann jetz sähs,
dat du Rassistesprüch janit verdrähs?
Wenn du en vüür dä Lück blamiers,
endämm du‘n einfach oplaufe löhs?
Un övverhaup wemmer selver jet däät,
wemmer die Zäng ens ussenander kräät?
Wenn mir da Arsch nit huh krieje,
ess et eines Daachs zu spät.
(auf Hochdeutsch)
Wie wäre es , wenn Du dem Blaumann jetzt sagst,
dass Du Rassistensprüche gar nicht verträgst?
Wenn Du ihn vor den Leuten blamierst,
indem Du ihn einfach auflaufen lässt?
Und überhaupt, wenn man selber etwas täte,
wenn man die Zähne auseinander bekäme,
Wenn wir den Arsch nicht hoch bekommen,
ist es eines Tages zu spät.
Die Sprache entwickelt sich immer. Es kommen neue Worte und es verschwinden alte. Das ist ein natürlicher Prozess. Und wenn schon mal die Begriffe aus dem Wörterbuch des Unmenschen aus der Sprache komplett verschwinden würden, wäre das kein Schaden für die deutsche Sprache oder gar die Gesellschaft. Ganz im Gegenteil.
Anstand
Jedem Kind mit vernünftiger Erziehung wird beigebracht, dass es bestimmte Worte nie und nimmer in den Mund nehmen soll. Dann kommt die Phase, in der die Kinder die Grenzen austesten und gerade die Eltern genau mit der Verwendung dieser Worte provozieren. Und dann kommt irgendwann die Phase, in der sie erwachsen werden und von sich aus darauf achten, was sie so von sich geben. Und dann gibt es die, die nie reifen und sich auch als Erwachsene noch auf die Schenkel klopfen, wenn jemand die verbale Sau raus lässt. Die entweder nicht begreifen, dass sie andere mit ihrer Wortwahl verletzen oder genau das beabsichtigen. Wäre doch schön, wenn dann mal jemand etwas sagen würde. Gesellschaftliche Toleranz für Rassisten, och nö, bitte nicht. Und bei der Sprache fängt es an.