Land unter

Eine ganze Region steht unter Wasser. Eine Kolumne aus dem überfluteten Euskirchen von Heinrich Schmitz


Fotos: Marlies Rokitta-Liedmann

Vorab, mir geht es gut. Wir haben Glück gehabt. Ein Rinnsal an einer Wand im Wohnzimmer, Tapete nass, eine Pfütze am Boden. Doof, aber kein Problem. Bei meiner Tochter und meinem Schwiegersohn nebst Enkelin Nummer 1, etwas weniger Glück. Keller vollgelaufen, mit Notstromaggregat und Schmutzwasserpumpe leergepumpt, Sachschäden an Haus und Sachen. Aber halt auch Glück. Meine Schwiegermutter hatte jedoch weniger Glück. Eine Schlammlawine hat ihr Haus und ihr Grundstück getroffen. Das Haus dürfte kaum zu retten sein. Aber auch sie hatte noch Glück, sie lebt. Glück ist relativ.

Glück ist relativ

Andere hatten weitaus weniger Glück. Bisher (Stand Freitag 18:00) sind 24 Tote im Raum Euskirchen gefunden worden, 40 werden vermisst. Und ich bin sicher, dass die Retter in den Häusern noch viele Tote finden werden.

Während die Nachbarn meiner Schwiegermutter morgens um 6 Uhr mit einem Schlauchboot evakuiert und damit gerettet wurden und die anderen Nachbarn sich über Nacht auf ein Garagendach retteten, ließ man die 87-jährige demente Frau in ihrem überfluteten Haus sitzen. Auf die Frage der geretteten Nachbarn, was denn mit den anderen Nachbarn sei, bekamen die zur Antwort, von denen läge kein Notruf vor. Jo, nicht so einfach ohne Strom, Festnetz oder Handyverbindung einen Notruf abzusetzen. Auch der Hausnotruf, den die Schwiegermutter hatte, funktioniert nur mit einer Festnetzverbindung. Kann man da nicht mal klopfen, wenn die Nachbarn darauf hinweisen, dass da eine alte Frau im Haus ist?

Saubermachen

Und obwohl die nur etwa einen Kilometer von uns entfernt lebte, haben wir 8 Stunden gebraucht, um über andere entlegene Orte und Schleichwege irgendwann durch das Wasser zu ihrem Haus zu kommen. Und da stand sie dann tapfer und völlig durchnässt im Schlamm, mit einem Schrubber in der Hand und wollte, bevor wir sie aus dem Haus holten, noch „schnell saubermachen“. Demenz kann ein Segen sein.

Dass ihr schöner freistehender Bungalow, in dem sie einen Großteil ihres Lebens verbracht hat, vermutlich nicht mehr zu retten ist, realisiert sie nicht. Sitzt nun auf unserem Sofa und sagt, dass sie schnell wieder nach Hause will. Pflegeplätze Fehlanzeige, weil bereits mehrere Pflegeeinrichtungen evakuiert werden mussten. Aber egal. Das ist alles irgendwie zu regeln. Sie lebt. Glück oder so.

Heimatstädtchen unfein

Meine Heimatstadt Euskirchen sieht aus wie nach einem Erdbeben oder einer Explosion. Kleine Bäche sind zu großen, reißenden Flüssen geworden und haben ganze Straßenzüge verwüstet. In der Fußgängerzone sind nahezu alle Geschäfte für Monate unbrauchbar, wenn sie überhaupt stehen bleiben können. Unter einer Bahnunterführung schwimmt ein großer Stadtbus. Straßen sind auf- und weggebrochen, Bürgersteige unterspült. Wasser steht an allen möglichen Stellen und fließt nicht mehr ab.

Die Ortshymne, die vom Heimatstädtchen fein singt, liegt zur Zeit komplett daneben. Hier ist nichts mehr fein.

Es ist ein großer Unterschied, ob man Katastrophen, die sich weit weg ereignen, mit wohligem Schauer in den Nachrichten betrachtet, ergriffen etwas spendet und dann zur Tagesordnung übergeht, oder ob man eben nicht nur dabei, sondern mittendrin ist. Da ergreift einen das blanke Entsetzen. Eine Frau wird von einem weggeschwemmten Glascontainer getötet, eine andere ertrinkt in ihrem Auto. Menschen sterben qualvoll, ertrinken oder rutschen in der glitschigen Pampe aus und zerschlagen sich den Kopf. Ja, es gibt Sachschäden in unabsehbarer Höhe hier und nichts ist mehr wie es war. Die Trauer überwiegt.

Trauer und Wut

Aber es gibt eben nicht nur Trauer, sondern auch die Wut. Denn auch wenn diese Schäden natürlich in erster Linie durch Niederschläge bis zu 240 Liter pro Quadratmeter verursacht wurden, ist das Ausmaß der Schäden auch zu einem gehörigen Teil auf eine ungesunde Baupolitik insbesondere in den 60er und 70er Jahren zurückzuführen.

Als ich ein Kind war, konnte ich gegenüber der Schmiede meines Onkel Willi auf einem großen Feld spielen. Noch innerhalb der historischen Stadtmauer. Auf diesem Feld wurde 1974 der Kaufhof gebaut und alles rundherum fein säuberlich versiegelt. Gras, Wiese, Sträucher? Pustekuchen.

Neben dem alten Krankenhaus, in dem ich 1958 geboren wurde und wo heute eine Galerie mit Kino steht, war ein kleiner Park. Mitten in der Stadt. Da wurde dann ein C&A gebaut und ebenfalls eine große Freifläche versiegelt. Nur ein kleines Alibi-Pärkchen blieb stehen.

Aber damit nicht genug. Während früher der Veybach offen durch Euskirchen zog, wurde der später in einen Kanal gezwungen und unter die Erde verlegt. Dasselbe geschah mit einem kleinen Bächlein namens Wisskirchener Fließ. Und zur Schaffung einer Bahnunterführung im Bereich der Marienschule Euskirchen wurde ein ziemlich großes Feuchtgebiet monatelang mit unzähligen Pumpen entwässert. Das ist jetzt wieder da, unfreiwillig.

Man konnte den Eindruck gewinnen, dass Wasser kein Problem sei. Dass es nicht erforderlich ist, dem Oberflächenwasser wenigstens eine Chance zu geben, irgendwo in Ruhe und langsam zu versickern. Stattdessen wurde es immer schneller gemacht. Das klappt ja auch, solange die Dimensionen des Kanalnetzes ausreichen, um die Wassermassen aufzunehmen. Aber es fliegt einem im wahrsten Sinne des Wortes um die Ohren, wenn das dann einmal nicht mehr der Fall ist.

Renaturierung

Mittlerweile hatte man schon begriffen, dass es Schwachsinn ist, Flüsse wie die Erft , die jetzt aussieht, als wäre sie der Rhein, zu begradigen und hat mit der Renaturierung begonnen. Man hat auch Rückhaltebecken eingerichtet und ist grundsätzlich auf einem guten Weg, was den Umgang mit den Bächen und Flüssen in der Umgebung der Stadt anbelangt.

Aber diese Katastrophe hat uns nun gezeigt, dass das noch nicht reicht und dass da viel mehr geschehen muss. Denn in Zukunft werden wir noch lange solche abartigen Wetterphänomene erleben dürfen, die von Forschern eindeutig mit der Klimaerwärmung in Verbindung gebracht werden.

Wichtiges

Ich sehne mich weder nach Flutkatastrophen noch nach Hitzeperioden und Trockenheit mit Waldbränden, aber vielleicht hat das hier jetzt auch dem letzten Klimawandelleugner klar gemacht, dass der Klimawandel kein Spaß ist. Mag ja sein, dass es Menschen gibt, für die bei der Wahlentscheidung wichtig ist, ob eine Kandidatin für ein Buch, dass sie womöglich auch noch hat schreiben lassen, nicht alle Quellen genannt hat. Mir ist nicht wichtig, ob jemand meint er sei ein Nachfahr Karls des Großen, der Ururuenkel von Frankenstein, des Erfinder von Kniffel oder Pinocchios; für mich ist wichtig, wem ich glaube, dass er das brennende Thema des Klimawandels konsequent anpacken wird. Und das ist garantiert nicht der amtierende, stets grinsende Ministerpräsident, dem beim Thema Klimapolitik ein dauerhaftes, „ja, aber“ aus dem Mund fließt. Dabei sei eure Rede ja, ja oder nein, nein, aber auf keinen Fall ja, aber. Zitat eines weisen Mannes, den der Chef einer Partei, die sich immer noch christlich nennt, kennen sollte. Ist doch ein frommer Mann mit Kontakten zum ober-frommen Opus Dei. Mir geht auch am Arsch vorbei, wenn der nun meint, er müsste sich im Katastrophengebiet sehen lassen. Kann er gerne tun, braucht hier aber wirklich niemand. Mittlerweile laufen hier schon genug Katastrophengaffer herum, die die Einsatzkräfte behindern und jeder, der hier nicht tatsächlich mit anpacken will, soll daheim bleiben. Landeshilfen kann man auch ohne werbewirksame Gummistiefelbilder beschließen.

Was heute gebraucht wird, sind erst mal genügend Rettungskräfte und Helfer, dann sehr viel schnelles Geld für den Wiederaufbau und ebenso klare Entscheidungen für eine wirksame Klimapolitik.

Wenn ein CSU-Mitglied bei Facebook postet:

Das Leid der Hochwasseropfer primitiv für „grünen“ Wahlkampf auszunutzen, ist beschämend, widerlich und traurig

dann ist das schon recht seltsam. Das würde den Verbrennerfans wohl so passen. Aber wenn ein Thema sich als derart bedeutend für die Zukunft unseres Landes und der Welt erweist, dann muss das auch im Wahlkampf das beherrschende Thema werden. Und wenn es das schon früher gewesen wäre, dann hätten wir vielleicht ein Problem weniger. Wichtiges ist wichtig und Unwichtiges ist unwichtig. Auch und gerade bei der Bundestagswahl. Und das wichtigste Thema auszublenden, weil der Beweis für die Bedeutung sich gerade in der  Schlammlawine realisiert, wäre schon irgendwie panne.

Und nochmal, ich habe das schon bei der Geburt meiner ersten Enkelin deutlich gemacht: Wir müssen jetzt handeln, damit unsere Enkel eine reelle Chance auf ein lebenswertes Leben haben können. Es geht nicht um alte Säcke wie mich und nicht mal mehr um die Zukunft meiner Kinder. Es geht um die EnkelInnen. Und ich wette, dass die meisten Opas und Omas das genauso gut begriffen haben wie die Mädchen und Jungen von Fridays for Future. Hoffentlich ist das bis zur Bundestagswahl nicht schon wieder vergessen.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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