Bes öm ellef

Mein Freund Paul ist tot. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Es gibt Regelmäßigkeiten, die zwar für sich genommen völlig bedeutungslos sind, aber dennoch zu einer lieben Gewohnheit, zu einem wichtigen Ritual werden. Wer meine Facebookseite kennt, der weiß, dass ich da seit Jahren jeden Samstag um 7 Uhr (genaugenommen um 6:50 Uhr, aber ich lasse mir da was Luft) meine aktuelle Kolumne poste. Und jeder, der das kennt, weiß auch, dass Sekunden nach dem Post ein Kommentar erschien, der stets lautete:

Joode Morje, Heinrich! Bes öm ellef

Ja, Guten Morgen Heinrich, bis um elf, war wichtig. Dann wusste ich, Paul geht es gut und wir sehen uns um 11 Uhr auf dem Alter Markt in Euskirchen zu unserer Teaparty mit unseren Freundinnen und Freunden unserer Kirchplatzgruppe. Seit Jahren lief das so.

Ein Facebookfreund schrieb gestern:

Das tut mir unendlich leid . Zaungast Eurer Seelenverwandtschaft durfte man jeden Samstag-Morgen werden, und allein diese 3 oder 4 Floskeln haben auch für einen Außenstehenden wie mir das Wochenende versöhnlich beginnen lassen, weil man an etwas Besonderem teilhaben durfte. Is verdammte Scheiße

Das trifft es auf den Punkt und es berührt mich, dass selbst Dritten aufgefallen ist, dass es da eine Seelenverwandtschaft gab und die Freundschaft zu Paul etwas ganz Besonderes war, ach was, ist. Die stirbt nie.

Rotkäppchen

Und wenn wir dann am Vormittag in die Stadt zogen, um uns zu anregenden Gesprächen, Diskussionen oder auch nur zum Klaaf zu treffen, dann sahen wir Paul und seine liebe Frau Brigitte immer schon von Weitem. Paul trug fast immer ein rotes Basecap, manchmal auch einen Strohhut, um seine Glatze vor Sonnenbrand zu schützen. Und wenn er die Mütze mal abnahm, gab es häufig ein Küsschen auf die Glatze. Nicht von mir, aber wer dabei war, weiß von wem.

Die beiden waren oft die Ersten, die zur Kaffeerunde da waren. Die wöchentlichen Treffen brachten eine gute Struktur in das Wochenende. Was man in der Stadt zu erledigen hatte, machte man vorher oder auch zwischendurch. Paul kam häufig vom Markt und sein Körbchen und die rote Mütze machten ihn ganz schnell zu unserem Rotkäppchen.

Später weiteten wir das Ritual auf den Sonntag aus und trafen uns bei trockenem Wetter bei uns im Garten. Und obwohl Paul nicht gerade der größte Hundefreund war, ließ er sich mit stoischer Ruhe von Chico, unserem Sennenhund, die Sonnencreme von den Füßen ablecken.

Corona

Durch Corona wurde diese schöne Gewohnheit zerstört und es ist lange her, dass wir das letzte Mal auf dem Markt saßen. Vor vier Wochen sah unser letzter Samstags Dialog so aus:

Ich kenne niemanden, der Paul nicht mochte. Obwohl wir nur wenige hundert Meter auseinander wohnten, lernte ich ihn leider erst vor einigen Jahren über den Kirchplatz kennen. Und da stimmte die Chemie sofort.

Eine gemeinsame Freundin schrieb gestern zum Tod von Paul:

„Es gibt Menschen, die dich mit einer Selbstverständlichkeit in ihre Herzen aufnehmen, daß dir schwindelig wird dabei.“ … Paul war so einer. Ich bin dankbar, ihn gekannt zu haben.

Genau so war das mit Paul.

Du hast Dich zu ihm gesetzt, mit ihm eine Zigarette geraucht und beim zweiten Treffen wusstest Du schon, dass du diesen wunderbaren Menschen immer als Freund haben wolltest.

Paul war Eifeler. In Schleiden geboren. Vor gut 72 Jahren. Und auch wenn man sich von Pauschalisierungen hüten sollte, in diesem Fall stimmt das Vorurteil, dass Eifeler – in etwa wie Ostfriesen – nicht unbedingt mehr reden als notwendig ist. Paul war kein Quatschkopp, kene Schwaadlappe,  aber wenn er etwas sagte, hatte das Hand und Fuß. Er war ein eher ruhiger Typ und aus dieser Ruhe strömte trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen stets eine beruhigende Kraft, die dem gesamten Freundeskreis gut tat.

Arsch huh

Paul trug sein „Arsch huh- Zäng ussenander!“ – Shirt oder sein FC-Trikot so selbstverständlich wie ein Teenie, und auch wenn 72 Jahre heute kein Alter sind, war sein wahres inneres Alter sicher Jahrzehnte jünger als der Scheiß, der in seinem Pass stand. Auch wenn er seit Jahren nicht mehr gut atmen und auch nicht mehr lange stehen konnte – wenn die AfD eine Veranstaltung in Euskirchen abhielt, war Paul selbstverständlich bei den Gegendemonstranten. Und nicht nur ich, sondern auch die Mädchen und Jungs von der Eifel-Antifa-Gruppe fanden das völlig normal. Man merkte Paul den alten Gewerkschafter an, der noch wusste, wann man auf die Straße gehen musste.

Paul war ein FC-Fan, wie der FC ihn sich nur wünschen konnte. Anders als andere FC-Fans, die bei Niederlagen oder Abstiegsgefahr ein großes Lamento anstimmen und sich despektierlich über Trainer und Spieler auslassen, blieb Paul immer gelassen.

Freud oder Leid, Zokunf un Verjangenhejt

E Jeföhl dat verbingk, FC Kölle

Ov vür ov zoröck, neues Spell heiß neues Jlöck

E Jeföhl dat verbingk, FC Kölle

Mer schwöre dir he op Treu un op Iehr

Mer stonn zo dir, FC Kölle

Un mer jon met dir wenn et sin muß durch et Füer

Halde immer nur zo dir, FC Kölle

waren für ihn keine leeren Worte.

Paul war vielseitig interessiert, las viel und liebte die Kunst. Der Künstler und Galerist Werner Kramer, dessen Werke er nicht nur schätzte, sondern gelegentlich auch erwarb, schrieb gestern, nachdem die Nachricht von Pauls Tod die Runde machte:

Leeven Paul , dinge Stohl ess jetz leer. Willy waat op dich evver do küss nitt mieh.

(Lieber Paul, Dein Stuhl ist jetzt leer. Willy wartet auf Dich aber Du kommst nicht mehr)

Ja, da saß er, wenn wir bei Werner auf einer Vernissage waren.

Der Tod von Paul hat mich fast sprachlos gemacht. Ich habe nicht nah am Wasser gebaut, aber die Nachricht, dass er es trotz aller Bemühungen und Operationen, die er in den letzten Wochen über sich ergehen lassen musste, nicht mehr geschafft hat, hat mir die Tränen in die Augen getrieben. Ich wollte Paul zu Ehren heute erstmals gar keine Kolumne schreiben. Und zu irgendeinem der in diesem Moment völlig belanglosen Dinge, über die ich sonst geschrieben hätte, wäre das auch nicht gegangen. Und deshalb dieser Text. Als kleines Dankeschön für einen wunderbaren Menschen, den niemand, der ihn kennenlernen durfte, jemals vergessen wird, auch wenn es nun nie mehr heißen wird:

Joode Morje, Heinrich. Bes öm ellef!

 

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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