Das BVerFFFG
Der Umwelthammer aus Karlsruhe hat unseren Kolumnisten überrascht. Von Heinrich Schmitz
Bild von Gerd Altmann auf Pixabay
Wer meine Kolumnen regelmäßig liest, weiß, dass ich recht viel von der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts halte. Mit dem Beschluss zum Klimaschutzgesetz hatte ich allerdings in dieser Form und Deutlichkeit nicht gerechnet. Es ist ein richtiger Umwelthammer und es zwingt die Politik dazu, endlich auf die Forderungen der jungen Leute von Fridays for Future einzugehen und die Folgen des Klimawandels nicht auf unsere Enkel und Urenkel abzuschieben.
Der Beschluss hat 270 Randnummern. Ich bin immer wieder erstaunt, wie einzelne Kommentatoren, einen solchen Brocken bereits am selben Tag kommentieren können. Schließlich muss man das erst mal lesen, dann verstehen und dann auch noch was halbwegs Kluges dazu schreiben. Ich kann das nicht, ich brauche da schon ein, zwei Tage für.
Also schauen wir mal, was das Bundesverfassungsgericht da entschieden hat.
Die Basis
Basis der Entscheidung sind die Art. 20a und 2 Abs. 2 Satz 1 GG.
Art. 20a
Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.
Art. 2
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) 1Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. 2Die Freiheit der Person ist unverletzlich. 3In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
Aus diesen beiden Grundrechten zieht das Bundesverfassungsgericht folgenden Schluss:
Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schließt den Schutz vor Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter durch Umweltbelastungen ein, gleich von wem und durch welche Umstände sie drohen. Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Sie kann eine objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen.
Alleine diese Feststellung wird künftig der Politik ordentlich Feuer unter dem Arsch machen. Denn der Satz umfasst ja zum einen nicht nur den Klimaschutz, sondern alle Umweltbelastungen „gleich von wem und durch welche Umstände sie drohen.“ und zum anderen sagt er aus, dass die aktuelle Politik sich keinen Gemütlichen auf Kosten künftiger Generationen machen kann.
Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Klimaschutz. Dies zielt auch auf die Herstellung von Klimaneutralität.
Auch das eine klare Festlegung, die dem Staat kein Lavieren mehr möglich macht.
safety first
Nun kennen wir alle das Phänomen, dass es in der Wissenschaft unterschiedliche Sichtweisen gibt. Zur Zeit erleben wir ja auch Wissenschaftler, die z.B. die Gefährlichkeit des SARS CoV 2- Virus leugnen oder merkwürdige Heilmittel empfehlen. Gibt‘s immer und auf allen Gebieten. Aber in diesem Fall sagt das Bundesverfassungsgericht nun übersetzt, Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, wenn es entscheidet:
Besteht wissenschaftliche Ungewissheit über umweltrelevante Ursachenzusammenhänge, schließt die durch Art. 20a GG dem Gesetzgeber auch zugunsten künftiger Generationen aufgegebene besondere Sorgfaltspflicht ein, bereits belastbare Hinweise auf die Möglichkeit gravierender oder irreversibler Beeinträchtigungen zu berücksichtigen.
Man muss also nicht abwarten, bis das letzte Lebewesen aufgrund der Klimakatastrophe den Löffel abgibt, sondern man muss bei wissenschaftlicher Ungewissheit über umweltrelevante Ursachenzusammenhänge vom Worst-case-Szenario ausgehen, ehe man riskiert, mit einer abwartenden Haltung das Problem zu verschlimmern. Im Zweifel für den Klimaschutz.
Nun hört man natürlich auch immer wieder das Argument, dass nationaler Klimaschutz doch eh dummes Zeug ist, wenn der Rest der Welt nicht mitspielt. Aber auch da schlägt der Hammer noch mal zu:
Als Klimaschutzgebot hat Art. 20a GG eine internationale Dimension. Der nationalen Klimaschutzverpflichtung steht nicht entgegen, dass der globale Charakter von Klima und Erderwärmung eine Lösung der Probleme des Klimawandels durch einen Staat allein ausschließt. Das Klimaschutzgebot verlangt vom Staat international ausgerichtetes Handeln zum globalen Schutz des Klimas und verpflichtet, im Rahmen internationaler Abstimmung auf Klimaschutz hinzuwirken. Der Staat kann sich seiner Verantwortung nicht durch den Hinweis auf die Treibhausgasemissionen in anderen Staaten entziehen.
Ein echtes Grundrecht
Und all denen, die den Art. 20a GG seit seiner Einführung mehr für eine Art grünes Feigenblatt ohne tiefere Bedeutung gehalten haben, haut der Hammer mal kräftig auf den Daumen:
Art. 20a GG ist eine justiziable Rechtsnorm, die den politischen Prozess zugunsten ökologischer Belange auch mit Blick auf die künftigen Generationen binden soll.
Und hier ruft das Bundesverfassungsgericht in etwa dasselbe wie Fridays for Future: dass es nämlich nicht angeht, dass die herrschenden Alten den noch nicht herrschenden Jungen und künftigen Generationen die Zukunft klauen dürfen:
Das Grundgesetz verpflichtet unter bestimmten Voraussetzungen zur Sicherung grundrechtsgeschützter Freiheit über die Zeit und zur verhältnismäßigen Verteilung von Freiheitschancen über die Generationen. Subjektivrechtlich schützen die Grundrechte als intertemporale Freiheitssicherung vor einer einseitigen Verlagerung der durch Art. 20a GG aufgegebenen Treibhausgasminderungslast in die Zukunft. Auch der objektivrechtliche Schutzauftrag des Art. 20a GG schließt die Notwendigkeit ein, mit den natürlichen Lebensgrundlagen so sorgsam umzugehen und sie der Nachwelt in solchem Zustand zu hinterlassen, dass bereits jetzt lebende, nachfolgende Generationen diese nicht nur um den Preis radikaler eigener Enthaltsamkeit weiter bewahren könnten.
Es geht eben nicht, dass wir uns aktuell weitere Freiheiten gönnen und das Klima mehr oder weniger hemmungslos schädigen mit dem bedauerlichen Ergebnis, dass unsere Enkel die Scheiße dann ausbaden müssen. Karlsruhe goes FFF.
Die Beschwerdeführenden sind durch die Regelungen über die bis 2030 zulässigen Treibhausgasemissionen in § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 2 KSG in Verbindung mit Anlage 2 gegenwärtig in eigenen Grundrechten betroffen. Die durch anthropogene Treibhausgasemissionen verursachte Erderwärmung ist nach heutigem Stand zu weiten Teilen unumkehrbar (oben Rn. 32), und es erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen, dass der Klimawandel noch zu Lebzeiten der Beschwerdeführenden so voranschreitet, dass deren durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechte beeinträchtigt werden (vgl. Stürmlinger, EurUP 2020, 169 <179>; Kahl, JURA 2021, 117 <125>). Der Möglichkeit eines Verfassungsverstoßes kann hier nicht mit dem Hinweis entgegnet werden, das Risiko eines künftigen Schadens stelle nicht schon gegenwärtig einen Schaden und mithin keine Grundrechtsverletzung dar. Auch Regelungen, die erst im Laufe ihrer Vollziehung zu einer nicht unerheblichen Grundrechtsgefährdung führen, können selbst schon mit dem Grundgesetz in Widerspruch geraten (vgl. BVerfGE 49, 89 <141>). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der einmal in Gang gesetzte Verlauf nicht mehr korrigierbar ist (vgl. auch BVerfGE 140, 42 <58 Rn. 59> m.w.N.).
Ich empfehle Ihnen, sich die ganze Entscheidung einmal zu Gemüte zu führen, weil es zu weit führen würde, hier alles zu zitieren. Ein Appetithäppchen soll es aber hier noch sein:
Der anthropogene Klimawandel ist unmittelbar ursächlich auf die Konzentration menschlich verursachter Treibhausgase in der Erdatmosphäre zurückzuführen (zum wissenschaftlichen Erkenntnisstand oben Rn. 18 ff. und Rn. 32 ff.). Dabei haben CO2-Emissionen eine besondere Bedeutung. Einmal in die Erdatmosphäre gelangt, können sie dieser nach derzeitigem Stand kaum wieder entzogen werden. Entsprechend können auch die anthropogene Erderwärmung und Klimaveränderung vergangener Jahre später nicht mehr rückgängig gemacht werden. Zugleich steigt mit jeder weiteren CO2-Menge, die über eine kleine klimaneutrale Menge hinaus emittiert wird, die Erdtemperatur von dem bereits unumkehrbar erreichten Temperaturniveau aus weiter an und schreitet der Klimawandel ebenso unumkehrbar weiter fort. Soll die Erderwärmung bei einer bestimmten Temperaturschwelle angehalten werden, darf nur noch die dieser Schwelle entsprechend begrenzte Menge an CO2 emittiert werden; global verbleibt ein sogenanntes CO2-Restbudget. Wird über dieses Restbudget hinaus emittiert, wird die Temperaturschwelle überschritten.
(b) Ein unbegrenztes Fortschreiten von Erderwärmung und Klimawandel stünde aber nicht im Einklang mit dem Grundgesetz. Dem steht neben den grundrechtlichen Schutzpflichten vor allem das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG entgegen, welches die Gesetzgebung – verfassungsrechtlich maßgeblich – durch das Ziel konkretisiert hat, die Erwärmung der Erde auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen (näher unten Rn. 208 ff.). Dieser Temperaturschwelle entspricht ein, wenn auch nicht eindeutig quantifizierbares, aus dem globalen Restbudget abgeleitetes nationales CO2-Restbudget (unten Rn. 216 ff.). Ist dieses nationale CO2-Budget aufgebraucht, dürften weitere CO2-Emissionen nur noch zugelassen werden, wenn das Interesse daran verfassungsrechtlich insbesondere gegenüber dem Klimaschutzgebot des Art. 20a GG überwiegt (siehe unten Rn. 198). Verhaltensweisen, die direkt oder indirekt mit CO2-Emissionen verbunden sind, wären also verfassungsrechtlich nur noch hinnehmbar, soweit sich die dahinterstehenden grundrechtlichen Freiheiten in der erforderlichen Abwägung durchsetzen könnten, wobei das relative Gewicht einer nicht klimaneutralen Freiheitsbetätigung in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter abnimmt. Indessen kommt Art. 20a GG im Hinblick auf eine Regulierung CO2-relevanter Verhaltensweisen zunehmend normatives Gewicht bereits zu, bevor das verfassungsrechtlich maßgebliche Budget vollends aufgebraucht ist, weil es, ungeachtet verfassungsrechtlicher Bedenken, weder verantwortlich noch realistisch wäre, CO2-relevante Verhaltensweisen zunächst unvermindert hinzunehmen, dann aber zum Zeitpunkt des vollständigen Verbrauchs des Restbudgets unvermittelt Klimaneutralität einzufordern. Je mehr vom CO2-Budget aufgebraucht ist, desto drängender werden die verfassungsrechtlichen Anforderungen des Klimaschutzes und desto gravierender könnten Grundrechtsbeeinträchtigungen in verfassungsrechtlich zulässiger Weise ausfallen (vgl. Kment, NVwZ 2020, 1537 <1540>). So sind die notwendigen Freiheitsbeschränkungen der Zukunft bereits in Großzügigkeiten des gegenwärtigen Klimaschutzrechts angelegt. Klimaschutzmaßnahmen, die gegenwärtig unterbleiben, um Freiheit aktuell zu verschonen, müssen in Zukunft unter möglicherweise noch ungünstigeren Bedingungen ergriffen werden, und würden dann identische Freiheitsbedürfnisse und -rechte weit drastischer beschneiden.
Und ja, es ist sicher ein Zufall, dass diese Entscheidung gerade jetzt fällt. Aber es ist offenbar kein Zufall, das gerade jetzt zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik der Schutz der Umwelt auch in der Bevölkerung ein derart starkes Gewicht bekommen hat, dass es möglich erscheint, diesen mit der ersten grünen Bundeskanzlerin zusammen anzugehen. Wer nach dieser Entscheidung noch meint, er könne den Umwelt- und Klimaschutz auf die lange Bank schieben, dem werden die nachwachsenden Wähler die rote Karte zeigen. Und ganz ehrlich: ich find‘s geil.