Kolumnist ohne Karneval

Keine Züge, keine Kneipenbesuche, keine Bützchen. Karneval fällt aus. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Foto: Heinrich Schmitz

Es ist das erste Mal, seit ich denken kann – mancher wird nun behaupten: also noch nie –, dass ich in der Zeit von Weiberfastnacht bis Aschermittwoch ganz normal in meiner Kanzlei sitze und arbeite. Es ist das erste Mal, dass mein Kostüm im Schrank bleibt. Und es ist ein seltsames Gefühl.

Der Kalender sagt, es ist Karneval und die Nachrichten sagen, es ist Corona. Weiberfastnacht und kein Jeck auf der Straße. Alle Kneipen geschlossen. Am Stammquartier der IG Südstadt hängen am verlassenen Biergarten ein paar Luftballons. Die paar Menschen, die man sieht, tragen zwar Masken, aber es sind halt keine Hexen-, Monster- oder Clownsmasken, es sind FFP2- oder OP-Masken. Ja, die haben wir früher im Rosenmontagszug auch schon mal gesehen, wenn Pflegerinnen und Pfleger gutgelaunt mit einem ausrangierten Krankenhausbett als Fußgruppe mitgingen und Schnaps aus Infusionsflaschen dabei hatten. Jetzt trägt jeder sie, und wir werden sie wohl noch lange tragen müssen, bis dieser böse Spuk vorbei ist.

Prinzengardeuniform

Meine erste – und letzte – Prinzengardeuniform bekam ich mit fünf Jahren. Die wurde maßgeschneidert und war eine exakte Kopie der Uniform für die erwachsenen Gardisten. Mein Vetter war in der Prinzengarde und deshalb war der Schneider bereit, mir so ein edles Teil zu schneidern. Ich erinnere mich noch gut an das Atelier, besonders an die gegenüberliegenden Spiegel, in denen ich mich fast ins Unendliche vervielfältigte. Dann gab es noch den Dreispitz mit den weißen Löckchen, der im Hutgeschäft meiner Großmutter, Tante und Mutter ebenfalls maßgefertigt gefertigt wurde. Es gab Make-up, Rouge und einen Schönheitsfleck auf die Wange und dann hüpfte ich am Weibertag im Kindergarten mit den Hexen, Jägern, Indianern, Feen und Prinzessinnen im Kreis herum, bis ich rote Wangen hatte, also noch rotere als vom Rouge. Es gab Kakao, Berliner und Muuzemändelche. Irgendwann kam der Prinz mit Gefolge vorbei und beschenkte uns mit Kamellen. Am Abend war ich platt und glücklich.

Südstadtzoch

Samstags ging der Südstadtzug in meiner Heimatstadt Euskirchen, bei dem jedes Jahr ein Prinzenbaum gepflanzt wurde. Der wurde Jahr für Jahr von der Baumschule meines Großvaters und meines Vaters gestiftet. Der LKW wurde mit buntem Krepppapier geschmückt, der Baum bekam bunte Bänder in die Krone und wurde dann in einem Umzug von tausenden Jecken zur St. Matthias-Kirche und in späteren Jahren zum Schillerpark begleitet, wo er für den Rest seines Bäumelebens stehen durfte. Der Baum war der Höhepunkt des Zuges, nicht etwa der Prinz. Und so fuhr ich dann, stolz wie Oskar, auf dem Beifahrersitz mit meinem Vater durch unser Veedel und winkte und warf Strüßjer. Jahr für Jahr, bis ich irgendwann den Führerschein hatte und den LKW selbst fahren durfte. Danach ging es zum Feiern in die Pfarrgemeinde.

Schlüsselübergabe

Sonntags gab es früher die Schlüsselübergabe am alten Rathaus. Der Bürgermeister übergab den Schlüssel des Rathauses an den Prinzen, und unter dem Balkon spielten die Musikkorps der Garden, die Tanzkorps tanzten nebst Mariechen und mit Stippeföttche. Am Ende sangen alle die Ortshymne und man ging in die nächste Kneipe, um dort weiter zu feiern. Die Erwachsenen tranken, lachten und sangen, die Kinder hüpften herum und hatten ihren Spaß. Bis auf ganz wenige Ausnahmen blieb der Alkoholgenuss im Rahmen, was beim geringen Alkoholgehalt von Kölsch kein Wunder ist.

Ich will gar nicht verhehlen, dass es auch Schlägereien und Alkoholexzesse gab, aber die waren eben nicht typisch für den Karneval, sondern passierten auch auf jeder Kirmes und jedem Schützenfest.

Ruusemondaach

Montags war dann der große Tag. Der „große“ Rosenmontagszug in der Stadt. Als ich fünf war, hatten meine Eltern und deren Freunde einen festen Tisch im Hotel Joisten, einem wunderschönen alten Hotel mit Restaurant an der Ecke Neustraße/Alter Markt, das in den 70ern dem Betonbauwahn unterlag. Ich durfte da auf dem Fenstersims sitzen, damit ich den Zug besser sehen konnte. Als am Endes des Zuges die Prinzengarde vorbei kam und mich in der Originaluniform da sitzen sah, fragte einer der Gardisten meine Eltern, ob sie mich mitnehmen dürften. Da ich das wollte, erlaubten es meine Eltern. Und so hob mich ein „stolzer“ Gardist auf den Prinzenwagen, wo ich mit vollen Händen Kamelle und Strüßjer ins närrische Volk werfen durfte. Hach, so etwas vergisst man nie.

In der Grundschule gingen wir natürlich auch mit dem Südstadtzug und als wir auf dem Gymnasium waren, organisierten wir erst mal eine eigene Fußgruppe, und später bauten wir eigene Wagen. Einmal setzte ich aus, weil mein Opa kurz vorher gestorben war, obwohl ich sicher bin, er hätte es okay gefunden, wenn ich mitgegangen wäre. Aber ich fand das irgendwie unpassend.

Warum erzähle ich Ihnen das hier alles? Kein Rechtsthema, nichts von Verbrechern?

Wie Weihnachten

Nun, Karneval ist ein Stück meiner DNA geworden, wie das bei so vielen Rheinländern der Fall ist. Der gehört zum Jahresablauf, wie Weihnachten, Ostern und Allerheiligen, nur schöner. Es ist nicht das, was die Fernsehsender daraus zu machen versuchen. Es sind nicht die großen Fernsehsitzungen, die eh zusammengeschnitten werden, dass es einen graust. Da spielt dann jede Band angeblich ein Lied und man versteht überhaupt nicht, warum das Publikum in Ekstase ist. Wer aber einmal live bei einer Sitzung war, auf der die großen Kölner Bands wie Bläck Fööss, Höhner, Brings, Kasalla oder Cat Ballou den Saal rocken, der wird das so schnell nicht mehr vergessen.

Et Veedel

Das Herz und die Seele des Karnevals sind aber die kleinen Dinge, es sind die Aktivitäten im Veedel. Mit 15, 16 Jahren fragte mich ein Bekannter, ob ich an Weiberfastnacht in einem Altenheim Klavier spielen wollte. Ich fragte, was denn da so gewünscht sei und er meinte, ach spiel halt was von Ostermann oder Jupp Schmitz. Ich borgte mir bei meinem Vater die Noten aus, übte ein wenig und ging von einem Debakel aus. Aber schon nach den ersten Tönen von „Och wat wor dat fröher schön doch en Colonia“ sangen die vielen alten Damen und wenigen alten Herren mit Freudentränen in den Augen mit.

 

Es fiel gar nicht mehr auf, dass ich irgendwann nur noch die Akkorde spielte und wahrscheinlich hätten die nicht mal gemerkt, wenn ich mich still vergnügt auf den Heimweg gemacht hätte. Nee, das war nicht die Macht meiner eher bescheidenen Klavierkünste und auch nicht allgemein die Magie der Musik. Das war vermutlich so etwas Ähnliches wie bei mir, wenn ich an mein bisheriges Karnevalsleben denke, eine große Portion Melancholie, schwelgen in Erinnerungen und die Freude, etwas davon mit anderen teilen zu können. Ich weiß noch, dass ich mein Repertoire mit „Am Aschermittwoch ist alles vorbei“

beendete und einen minutenlangen Applaus und einen Hut voller Geldstücke erntete, die mir eine der Ordenschwestern, die das Heim betrieben, gleich zum Teil wieder abschwatzte. Fand ich aber okay. Mein Lohn war die Freude, die ich da gebracht hatte.

Kulturerbe

Wäre ich Unterhaltungskünstler, dann würde ich das ganz anders sehen. Wer sein Geld mit Unterhaltung verdient, macht im Moment ganz furchtbare Zeiten durch. Abhängig von Hartz IV, wenn es nicht gerade die großen Stars sind, die ordentlich was auf die Seite legen konnten. Gerade die Karnevalskünstler sind auf die Einnahmen der Session angewiesen. Dass der Staat meint, die wären weniger wichtig als riesige Reise- und Autokonzerne ist eine Schande, ein Armutszeugnis.

Und es ist nicht nur der finanzielle Ausfall der Künstler, es ist auch ein Verlust für uns alle. Karneval ist nicht nur regionale Kultur für ein paar Jecken, sondern seit 2014 ist der Rheinische Karneval mit all seinen lokalen Varianten sogar im bundesweiten Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes gelistet.

Jecke sinn kenn Doofe

Dass nun die Jecken oder wie man anderswo sagt, die Narren keine Idioten sind, sieht man daran, dass sie schon frühzeitig alle Züge und Veranstaltungen freiwillig abgesagt haben. Da brauchte es keinen politischen oder gesetzgeberischen Druck. Die Jecken sind eben nicht die Doofen, für die manche Zeitgenossen sie halten. Sie übernehmen freiwillig die Verantwortung, die man bei anderen vermisst. Es wäre vermutlich sogar rechtlich möglich gewesen, einen kleinen Karnevalszug als politische Demonstration anzumelden. Hat aber niemand gemacht. Sollen doch die Covidioten durch die Straßen ziehen und ihre gottverdammte Blödheit offen zur Schau stellen. Die Jecken sind lebensbejahend, wie es der gesamte Karneval ist. Und sie haben Möglichkeiten gefunden, jett Spass un Freud zu den Menschen zu bringen, indem sie z.B. mit einem großen LKW in den Hof eines Altenheimes fahren, um da die Alten und Kranken, für die es der letzte Karneval sein könnte, mit den vertrauten Melodien zu beglücken.

All zesamme

Ja, es macht mich traurig, dieses Jahr nicht zum ersten Mal mit meinen beiden Enkelkindern zum Zoch gehen zu können, mit ihnen „Kamelle“ zu rufen, mit ihnen zu schunkeln und ihnen zu zeigen, dass auf der Straße keine Unterschiede zwischen arm und reich, schwarz und weiß, alt und jung existieren. Denn auch das lehrt der rheinische Karneval wie kaum ein anderes Event: Drink doch ene mit,

ist nicht der Aufruf zum Saufen, sondern der Weg, keinen am Rand stehen zu lassen.

Ich hoffe, dass wir nur ein einziges Mal auf den Karneval verzichten müssen und uns nächstes Jahr alle wieder auf der Straße und in den Kneipen treffen können. In diesem Sinne: Dreimol Öskerche Alaaf!

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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