Stirb langsam
Das Bundesverfassungsgericht hat sich erneut zum Recht auf Suizid geäußert. Es wies eine Verfassungsbeschwerde eines Ehepaars zurück, das gemeinsam sterben will. Warum eigentlich? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz
Bild von TimKvonEnd auf Pixabay
Die 1937 und 1944 geborenen Eheleute, wandten sich gegen die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bestätigte Weigerung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), ihnen eine Erlaubnis gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG zum Erwerb jeweils einer tödlichen Dosis Natriumpentobarbital zum Zweck der Selbsttötung zu erteilen. Sie trugen als Begründung vor, dass die Ermöglichung ihres Wunsches nach einer selbstbestimmten Beendigung des eigenen Lebens durch Erteilung einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis nicht – wie vom Bundesverwaltungsgericht angenommen – davon abhängig gemacht werden dürfe, dass eine „extreme Notlage“ in Gestalt einer medizinischen Indikation bestehe.
Du darfst
Das deckte sich mit der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2020 ((BVerfG, Urt. v. 26.02.2020, Az. 2 BvR 2347/15; 2 BvR 651/16; 2 BvR 1261/16) mit dem dieses das in § 217 StGB ausgesprochene Verbot der geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig erklärte.
Gleichwohl nahm das Bundesverfassungsgericht nun die Sache der lebensmüden Eheleute nicht zur Entscheidung an. Kurioserweise ist die Basis dieser Entscheidung genau die Entscheidung aus dem Februar 2020.
Denn:
Die Verfassungsbeschwerde genügt angesichts des Urteils des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 nicht mehr den aus der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) sich ergebenden Anforderungen. Vielmehr sind die Beschwerdeführer in Anbetracht der durch dieses Urteil grundlegend veränderten Situation gehalten, ihr verfassungsgerichtlich anerkanntes Recht, ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende zu setzen, durch aktive Suche nach suizidhilfebereiten Personen im Inland, durch Bemühungen um eine ärztliche Verschreibung des gewünschten Wirkstoffs oder auf anderem geeignetem Weg konkret zu verfolgen.
Dazu muss man wissen, dass die Verfassungsbeschwerde immer nur das letzte Mittel ist, seine Interessen durchzusetzen. Wenn es einen anderen Weg gibt, dann muss der zuerst beschritten werden. Das nennt man Subsidiarität. Die Eheleute müssen also erst sämtliche nach Lage der Sache zumutbaren Möglichkeiten und Rechtsbehelfe auszuschöpfen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren abzuwenden oder zu beseitigen. Und da nun die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung nicht mehr verboten ist, müssen die Eheleute nun erst mal sehen, ob sie einen Arzt oder eine inländische Organisation finden, die ihnen die gewünschten Medikamente verschreiben bzw, verschaffen.
Auf ein Neues
Außerdem meint das Bundesverfassungsgericht, die Eheleute könnten nun nach Änderung der Rechtslage unter Umständen auch einen Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO, entsprechende Bemühungen gegenüber den zuständigen Behörden, also dem BfArM stellen.
Die Behauptung, eine legale Sterbehilfe sei im Inland nicht zu bekommen, weist das Gericht zurück, unter anderem unter Hinweis darauf, dass an den letzten Verfahren auch mehrere Ärzte beteiligt gewesen seien.
Die Möglichkeit der Beschwerdeführer, ihren Wunsch nach einem selbstbestimmten Lebensende zu verwirklichen, ist infolge der Entscheidung des Zweiten Senats wesentlich verbessert. Infolge der Nichtigerklärung des § 217 StGB liegt nicht mehr auf der Hand, dass eine aktive, auch andere Bundesländer als das Land Hessen in den Blick nehmende Suche der Beschwerdeführer nach medizinisch kundigen Suizidbeihelfern und verschreibungswilligen und -berechtigten Personen aussichtslos wäre. Unter strafrechtlichem Blickwinkel dürfte eine solche Leistung vielmehr angeboten werden. Nicht zuletzt an dem Umstand, dass das Verfahren, das zur Aufhebung dieser Strafnorm führte, auch von mehreren Ärzten betrieben wurde, zeigt sich, dass ein Kreis medizinisch kundiger Personen existiert, der zu entsprechenden Verschreibungen und anderen Unterstützungshandlungen bereit und dazu – in strafrechtlicher und betäubungsmittelrechtlicher Hinsicht – nunmehr auch befugt wäre. Damit ist vorliegend nicht erkennbar, dass die Beschwerdeführer alle ihnen zumutbar zu Gebot stehenden Möglichkeiten, ihr Recht auf ein selbstbestimmtes Lebensende zu verwirklichen, ausgeschöpft haben.
Das ist aber offenbar nicht der einzige Grund. Womöglich wichtiger erscheint der Hinweis des Gericht am Ende seiner Entscheidung.
Schließlich würde eine verfassungsgerichtliche Sachentscheidung zum jetzigen Zeitpunkt – ohne vorangehende Klärung der rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten in Ansehung der geänderten Umstände – den vom Zweiten Senat anerkannten politischen Gestaltungsspielraum bei der Erarbeitung eines übergreifenden legislativen Schutzkonzepts (vgl. dazu BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 26. Februar 2020 – 2 BvR 2347/15 u.a. -, Rn. 338 ff.) weitgehend einschränken und die Gestaltungsentscheidung faktisch vorwegnehmen.
Spielraum
Das bedeutet im Klartext, dass das Gericht hier den gestalterischen Spielraum des Gesetzgebers nicht ohne Not einschränken will, kann der ja um Missbrauch der Sterbehilfe zu verhindern durchaus noch konkrete Regelungen zum Beispiel im Hinblick auf eine zwingend notwendige vorherige Beratung schaffen.
Denn der Gesetzgeber darf, und muss wohl auch zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des zur Selbsttötung Entschlossenen, durchaus zu verhindern versuchen, dass aus dem Recht auf den Suizid eine Pflicht wird, wenn z.B. Angehörige dazu drängen, um das Vermögen – ergo das Erbe – nicht für Pflegeheimkosten schwinden zu sehen. In der Entscheidung vom letzten Februar führte das Gericht dazu aus:
Zwar kann Willensfreiheit nicht damit gleichgesetzt werden, dass der Einzelne bei seiner Entscheidung in vollkommener Weise frei von äußeren Einflüssen ist. Menschliche Entscheidungen sind regelmäßig von gesellschaftlichen und kulturellen Faktoren beeinflusst; Selbstbestimmung ist immer relational verfasst. Da der Schutz des Lebens dem Einzelnen von der Verfassung als nicht rechtfertigungsbedürftiger Selbstzweck zugesagt ist und er auf der unbedingten Anerkennung der Person in ihrer bloßen Existenz beruht, darf und muss der Gesetzgeber aber gesellschaftlichen Einwirkungen wirksam entgegentreten, die als Pressionen wirken können und das Ausschlagen von Suizidangeboten von Seiten Dritter rechtfertigungsbedürftig erscheinen lassen. Entsprechend kann er Vorkehrungen treffen, dass Personen nicht in schweren Lebenslagen in die Situation gebracht werden, sich mit solchen Angeboten auch nur näher befassen oder sich hierzu explizit verhalten zu müssen.
Wäre schon krass, wenn die Firma McDeath im Pflegeheim eine Infoveranstaltung durchführen würde und die Teilnehmer darüber informiert, wie viel Geld sie ihren Angehörigen einsparen würden, wenn sie freiwillig den Löffel abgäben. Oder wenn es Kaffeefahrten gäbe, bei denen die neuesten Suizidmedikamente zu Sonderpreisen verhökert würden, vielleicht kombiniert mit der Besichtigung eines Krematoriums oder eines Friedwalds. Nichts gegen geschäftsmäßige Sterbehilfe, aber eine Werbung für den Suizid wäre eher makaber.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber hier durchaus Möglichkeiten eingeräumt:
Die verfassungsrechtliche Anerkennung des Einzelnen als zur Selbstbestimmung befähigten Menschen verlangt eine strikte Beschränkung staatlicher Intervention auf den Schutz der Selbstbestimmung, der durch Elemente der medizinischen und pharmakologischen Qualitätssicherung und des Missbrauchsschutzes ergänzt werden kann.
Zum Schutz der Selbstbestimmung über das eigene Leben steht dem Gesetzgeber in Bezug auf das Phänomen organisierter Suizidhilfe ein breites Spektrum an Möglichkeiten offen. Sie reichen von der positiven Regulierung prozeduraler Sicherungsmechanismen, etwa gesetzlich festgeschriebener Aufklärungs- und Wartepflichten, über Erlaubnisvorbehalte, die die Zuverlässigkeit von Suizidhilfeangeboten sichern, bis zu Verboten besonders gefahrträchtiger Erscheinungsformen der Suizidhilfe entsprechend dem Regelungsgedanken des § 217 StGB. Sie können mit Blick auf die Bedeutung der zu schützenden Rechtsgüter auch im Strafrecht verankert oder jedenfalls durch strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen abgesichert werden (vgl. dazu bereits Rn. 268 ff.).
Muss nicht sein
Es mag also in Zukunft ein TüV-Zertifikat für Suizidhilfevereine, Wartefristen und Vorgaben für die zu verabreichenden Medikamente geben. Solange das nicht der Fall ist, sind die Todeskandidaten halt noch auf Ärzte und andere Helfer angewiesen, wenn sie nicht zu unsicheren Do-it-yourself-Suiziden von zweifelhaften Webseiten greifen wollen. Das selbst geplante Sterben wird leichter, aber es kann dauern. Vielleicht gar nicht so schlecht.
Sollten Sie gerade mit dem Gedanken spielen, Ihr Leben zu beenden, tun Sie mir den Gefallen und rufen erst mal bei der Telefonseelsorge unter der bundeseinheitlichen kostenlosen Rufnummer 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 und im Internet unter www.telefonseelsorge.de an. Vielleicht gibt es eine bessere Lösung für Sie. Sie leben nach bisherigem Wissensstand nur einmal. Und tot sind Sie noch lange genug.