Impfpflicht?

Die Impfungen gegen Covid-19 haben begonnen. Doch was passiert, wenn sich nicht genügend Freiwillige impfen lassen? Wäre eine Impfpflicht rechtlich machbar? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von Angelo Esslinger auf Pixabay

Endlich ist das elende Coronajahr 2020 vorbei. 2021 kann ein Jahr der Hoffnung werden. Mehrere Impfstoffe stehen zur Verfügung, die Impfungen haben begonnen und wenn es gelingt, rund 70% der Bevölkerung von der Sinnhaftigkeit dieser Impfung zu überzeugen und entsprechend Impfstoff zu beschaffen und zu verimpfen – ja, dann kann 2021 dazu führen, dass ich wieder jeden Samstag mit meinen Freunden zum Frühstück auf dem Alter Markt in Euskirchen oder im Café Wohnzimmer sitze. Sie glauben nicht, wie ich gerade dieses gemeinsame Frühstück im letzten Jahr immer wieder vermisst habe. Ich könnte auch wieder Urlaub machen, meinen Geburtstag feiern, Essen gehen oder Karneval 2022 feiern. Wenn, ja wenn.

Impfangst

Erstaunlicherweise scheint die Impfbereitschaft der Bevölkerung nicht so groß zu sein, wie ich das erwartet hatte. Die Gründe dafür sind vielfältig. Die einen fürchten sich vor den unmittelbaren Nebenwirkungen einer Impfung, die anderen haben Angst vor Spätschäden, wieder andere unterliegen immer noch dem Wahn, die Impfung sei mit der Injektion eines Chips und daran anknüpfender Überwachung verbunden, manche meinen, es handele sich bei der ganzen Pandemie um eine Erfindung von Big Pharma (gerne auch Big Farmer geschrieben) und andere möchten sich in ihr wunderbares Immunsystem nicht durch Manipulationen eingreifen lassen oder schwören auf Ingwertee oder Bachblüten und Homöopathie. Impfangst scheint die Angst vor dem Tod am Beatmungsgerät langsam zu toppen. Dabei stapeln sich schon die Särge vor dem ein oder anderen Krematorium. Nach einem Volk von Impfhelden sieht das nicht aus. Muss ich alles nicht verstehen, mag sein, dass ich das auch gar nicht will. Das Problem ist nur, dass die ganze Impferei eben nur einen Sinn hat, wenn sich auch genügend Menschen impfen lassen.

Es ist unbestreitbar so, dass nicht alle Menschen aus gesundheitlichen Gründen geimpft werden können. Bestimmte Allergien erhöhen das Risiko der Impfung. Auch wenn das nur ganz wenige Menschen betrifft, müssen die halt von der Impfung ausgenommen bleiben. Umso wichtiger aber, dass alle anderen sich impfen lassen, um auch die zu schützen, die nicht geimpft werden können.

Aua Arm

2020 habe ich mich zweimal impfen lassen. Als dicker, alter Sack, der bereits einen Herzinfarkt hatte, der Diabetiker ist und fast 50 Jahre lang konsequent an der Kippe gehangen hat, bis der Infarkt das etwas vermieste, steh ich eh immer mit einem Bein in der Kiste. Da muss mich nicht noch eine doofe Grippe oder eine Lungenentzündung aus dem Spiel nehmen. Die Grippeimpfung war völlig unproblematisch. Die Pneumokokken-Impfung täuschte zwei Tage lang völlig Harmlosigkeit vor, um dann umso heftiger wie ein Messer in meinen Arm zu fahren und den Arm ziemlich genau eine Woche mehr oder weniger lahm, aber dafür heftig brennend zu machen. Okay, war fies, war aber nach einer Woche auch erledigt und die nächste Impfung wäre dann erst in 6 Jahren – falls es dann noch was an mir zu impfen gibt. Lieber eine Woche Aua-Arm, als für den Rest des Lebens tot.

Herdenimmunität

Wächst nun der Widerstand gegen die Impfung in einen Bereich von 30- 40 % der Bevölkerung, dann wird es ganz eng mit der angestrebten Herdenimmunität. Dann lacht Corona sich in Fäustchen und Milliarden Euro sind verpulvert worden und weitere zigtausende Menschen werden in Deutschland an Covid19 sterben. Ja, das werden zunächst überwiegend Alte sein. Man könnte schon auf die Verschwörungstheorie kommen, das Virus sei von den Renten- und Krankenversicherungen erfunden worden, um Kosten zu sparen. Aber auch das ist grober Unfug.

Nur durch eine Impfung lässt sich der Siegeszug des Coronavirus stoppen. Ewig Zuhause hocken geht ja weder wirtschaftlich noch psychisch.

Impfpflicht

Irgendwann wird sich die Frage stellen, ob man der Pandemie nur durch eine Impfpflicht Herr werden kann. Bislang hat der Bundesgesundheitsminister das zwar immer wieder kategorisch ausgeschlossen, aber womöglich war das nicht so klug und außerdem heißt das ja nicht viel. Wie schon Adenauer in den Mund gelegt wurde: Was stört mich mein Geschwätz von gestern?

Mehrfach las ich in den vergangenen Wochen, eine Impfpflicht sei rechtlich gar nicht möglich. Sie greife in das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein.

Nun gestattet das allgemeine Persönlichkeitsrecht es dem Einzelnen ohne Weiteres, mit seiner Gesundheit Schindluder zu treiben, sich zu gefährden und sogar sich das Leben zu nehmen. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit schützt auch gegen Eingriffe in den Körper und selbst ein Haarschnitt ist eine Körperverletzung, in die der Kunde allerdings in der Regel eingewilligt hat. Geht also Zwangsimpfen gar nicht?

Pocken

Vielleicht gehören Sie zu den Menschen, die noch diese zwei Impfmale auf dem Oberarm tragen. Narben der obligatorischen Pockenimpfung, die von 1949 bis 1975 gesetzlich verpflichtend war und der zu verdanken ist, dass diese grässliche Erkrankung in Deutschland keine Gefahr mehr darstellt. Basis dieser Impfpflicht war damals das alte Reichsimpfgesetz von 1874. Das gilt zwar nun nicht mehr, aber es gibt auch heute eine Rechtsgrundlage, die eine Impfpflicht ermöglichen würde.

In § 20 Abs. 6 des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) heißt es:

(6) Das Bundesministerium für Gesundheit wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist. Personen, die auf Grund einer medizinischen Kontraindikation nicht an Schutzimpfungen oder an anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilnehmen können, können durch Rechtsverordnung nach Satz 1 nicht zu einer Teilnahme an Schutzimpfungen oder an anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe verpflichtet werden. § 15 Abs. 2 gilt entsprechend.

Die Tatbestandsvoraussetzungen „wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist“ dürften bei Covid19 durchaus erfüllt sein. Spahn könnte also mit Zustimmung des Bundesrates Nägel mit Köpfen machen, wenn es denn nötig wird.

Verfassungswidrig?

Bereits 1959 hat das Bundesverwaltungsgericht die grundsätzliche Vereinbarkeit einer Impfpflicht mit dem Grundgesetz bejaht:

Die Vereinbarkeit des Impfzwanges mit dem Grundgesetz ist zu bejahen. Die Impfung stellt zwar einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit dar. Er fällt jedoch unter den Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG. Der Wesensgehalt des Grundrechts der körperlichen Unversehrtheit wird nicht durch einen Eingriff angetastet, dessen Zielsetzung gerade die Erhaltung der Unversehrtheit ist. Auch im Parlamentarischen Rat war man sich bei der Schaffung dieses Grundrechts darüber einig, daß der Impfzwang ihm nicht widerspricht (vgl. Jahrbuch des öffentlichen Rechts, Bd. 1 S. 60). Im übrigen sind dem Gericht bei der Prüfung der Frage, ob das Impfgesetz ein erforderliches Mittel zur Bekämpfung der Pockenseuche ist, enge Grenzen gezogen. Es handelt sich bei Art. 2 Abs. 2 Satz 1 nicht wie bei Art. 12 um ein Grundrecht, das in sich Bereiche schwächeren und stärkeren Freiheitsschutzes enthält und bei dem nach den vom Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 11. Juni 1958 (BVerfGE 7, 377 [409]) entwickelten Grundsätzen im Falle eines Eingriffs des Gesetzgebers jedesmal geprüft werden muß, ob gesetzliche Maßnahmen auf den vorausliegenden Stufen nicht ausgereicht hätten, ob also der tatsächliche Eingriff „zwingend geboten“ war. Bei einem Grundrecht, das in sich keine abgestuften Schutzbereiche enthält, ist der Gesetzgeber in der Wahl seiner Mittel freier gestellt. Erst die eindeutige Unangemessenheit der gesetzlichen Maßnahme im Verhältnis zu der tatsächlichen Situation, deren sie Herr werden soll, führt hier zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit (BVerfGE 2, 266 [280/281]).

BVerwG, 14.07.1959 – BVerwG I C 170.56, Rn. 19

Das Bundesverfassungsgericht hat im Mai 2020 Eilanträge in Bezug auf die Masernimpfpflicht zurückgewiesen.

Rechtlich wäre eine Impfpflicht demzufolge mit hoher Wahrscheinlichkeit machbar. Ob das politisch klug ist, steht auf einem anderen Blatt. Und ja, es wäre so sehr viel schöner und ein Zeichen für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt, wenn alle, bei denen eine Impfung möglich ist, sich auch freiwillig impfen ließen.

Ich werde es tun und ich hoffe, dass viele Menschen es ebenfalls tun. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein gutes Jahr 2021.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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