Das idiotische Ressentiment gegen den Selbstverlag

Auch wenn es früher schlimmer war: Unter Literaturfreunden, Autoren und Lektoren hält sich noch immer eine unschöne Tendenz, auf Selbstverleger herabzublicken, statt einen Text einfach für sich zu bewerten. Erbärmlich, findet Literaturkolumnist Sören Heim.


Das Ressentiment gegen den Selbstverlag, dem ich gerade wieder mal auf Twitter begegnete, ist ähnlich absurd wie eines gegen Straßenmusik wäre, nach dem Motto: Gute Musik ist nur, was von den großen Plattenfirmen veröffentlicht wird.

Klar leisten oder leisteten Verlage für eine gewisse Zeit (man könnte sagen zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem drohenden Dritten) eine gewisse Qualitätssicherung auf der technischen Seite und waren in besonders chaotischen Jahrzehnten sogar einmal ganz gut darin, herausragende Avantgarde-Autoren zu entdecken. Aber: Im Schnitt werden große Unternehmen dabei gleichzeitig natürlich auch immer normierend wirken, das Besondere wegschneiden, Kunst mainstreamen. Der Markt zielt stets auf den kleinsten gemeinsamen Nenner [einer Konsumentengruppe].

Interessanterweise scheint es derweil weder in Malerei und Bildender Kunst, noch in der Musik solch ein Ressentiment zu geben. Dass es in kleinen Galerien und Privatwerkstätten große Meisterwerke zu entdecken gibt, dass Musik nicht unbedingt besser wird, wenn ihr fünf Produzenten die Kanten abschleifen (aber natürlich durch gute Betreuung auch gewinnen kann), das scheinen die meisten zu wissen.

Ein paar mögliche Gründe – um mich kurz zu fassen – auf die Musik beschränkt:

1) Dieses angebliche Paradebeispiel einer „Kulturindustrie“ war doch selbst in seinen monopolistischen Zeiten durchlässiger für Außenseiter, als es der Literaturmarkt spätestens seit den 70ern wieder ist. Niemand käme auf die bekloppte Idee, Straßenmusiker oder Musiker, die durch kleine Kneipen tingeln, seien per se schlechter als die mit großen Verträgen. Und das eben vielleicht auch, weil viele der ganz Großen genau so angefangen haben, und man sie heute sogar gerne gegen die „Retortenmusiker“ in Stellung bringt.

2) Mit Literatur ist bekanntlich scheißwenig Geld zu verdienen. Da haben natürlich die, die für Verlage schreiben, einen starken außerliterarischen Antrieb, das was abseits so sprießt, schlecht zu machen.

3) Und dann sind da noch die Kritiker. Wenn die ihre Aufgabe ernstnehmen würden, müssten die sich ja längst tatsächlich regelmäßig durch die Untiefen der Selbstpublikationen wühlen, um da heraus die Perlen zu fischen. Bücher müssten ernsthaft gelesen werden. Es ist doch sehr viel einfacher, sich von den Verlagen mit Material versorgen zu lassen, jeweils vier von fünf hochleben und einen vielleicht mal durchfallen zu lassen und zwischendurch sich dann noch mal über Selbstverleger lustig machen.

Historisch freilich ist nicht der Verlag die Schmiede der großen Kunst, sondern der Selbstverlag. Ob Stefan George, ob Goethe, ob Cervantes, ob Lord Byron, ob Virginia Woolf. Sie alle haben teils oder gänzlich selbst verlegt, auch weil das lange Zeit einfach die Norm war. Aus Woolfs Selbstverlag bzw. aus dem Familienverlag, den sie gemeinsam mit ihrem Mann ins Leben rief, wurde mit der Zeit die hochrenommierte Hogarth Press. Ob man sich auch da heute über Selbstverleger lustig macht? So oder so: Der Trend geht weiterhin zum Selbstverlag, und je monolithischer sich liest, was sich noch immer selbst als „Deutsche Gegenwartsliteratur“ bei den großen Verlagen selbst feiert, desto sicherer dürften die Robert Walsers und Else Lasker Schülers unserer Zeit irgendwo in selbstverlegten Werken oder den Publikationen kleiner „Indy-Verlage“ zu finden sein, in denen oft einzelne VerlegerInnen am Rande der Armut um besondere Literatur kämpfen. Und wenn unsre Gesellschaft noch ein paar hundert Jahre durchhält, glaube ich kaum, dass man ausgerechnet die kurze Phase zwischen ca. 1920 und 2000, in der der Markt die Literatur oligopolisierte, als die Norm im Gedächtnis behalten wird, von der heraus es angesagt ist, auf die Kunstwelt außerhalb der Verlage herabzusehen.

Disclaimer: Nein, ich bin kein Selbstverleger. Es ist schön, mit einem Verlag arbeiten zu können, wenn es passt. Es ist aber erbärmlich, auf Menschen herabzusehen, die einen anderen Weg gehen. Lest, wenn ihr kritisieren wollt, die Texte oder schweigt.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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