Upskirting – Nur gucken, nicht knipsen

Am 3.7.2020 beschloss der Deutsche Bundestag den neuen § 184k StGB, mit dem das sogenannte Upskirting zur Straftat erklärt wird. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


Bild von isic auf Pixabay

„§ 184k

Bildaufnahme des Intimbereichs

(1)

Wer absichtlich eine Bildaufnahme des Intimbereichs einer anderen Person unbefugt herstellt, indem er unter deren Bekleidung fotografiert oder filmt, oder eine derartige Aufnahme überträgt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2)

Ebenso wird bestraft, wer eine durch eine Tat nach Absatz 1 hergestellte Bildaufnahme gebraucht oder einer dritten Person zugänglich macht.

(3)

Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, dass die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.

(4)

Die Bildträger sowie Bildaufnahmegeräte oder andere technische Mittel, die der Täter oder Teilnehmer verwendet hat, können eingezogen werden. § 74a ist anzuwenden.“

Da ist er nun, der neue Paragraph, der Spannerfotografen stoppen soll. Schön geschlechtsneutral formuliert, also nicht nur zum Schutz von Frauen, sondern auch von Männern, sofern deren Kleidung es zulässt, darunter zu fotografieren, Schotten zum Beispiel. Tatsächlich geht es selbstverständlich in erster Linie darum, dass vorwiegend Männer nicht mehr heimlich Frauen unter dem Rock fotografieren sollen. Dass sich das nicht „gehört“, sollte zwar Allgemeingut sein. Aber wie wir schon häufiger feststellen durften, alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, wird auch gemacht. Auf irgendwelche imaginären Anstandsregeln kann man sich nicht mehr verlassen, falls man das denn je konnte. Nun also ein neues Delikt.

Dass es dieses Delikt nicht schon von Anfang an im Strafgesetzbuch gab, hat in erster Linie mit technischen Problemen zu tun, die zu dieser Zeit noch bestanden. 1871 waren die Kameras einfach zu sperrig und die Röcke zu lang, um jemandem unter dem Rock zu fotografieren. Die Tatsache, dass ich hier ein wenig launig kolumniere, hat unmittelbar mit der Lektüre der Begründung des Gesetzesentwurfes zu tun, der mich, trotz des doch eher ernsten Themas, durchaus zum Schmunzeln angeregt hat.

A. Problem und Ziel

Das durch Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes (GG) geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht ist in der jüngeren Zeit besonderen Gefährdungen ausgesetzt. Diese Gefährdungen resultieren insbesondere daraus, dass sich Bildaufnahmegeräte in einem Umfang und in einer Form verbreitet haben, die es jedermann ermöglichen, an nahezu jedem Ort und zu jeder Zeit Bildaufnahmen von Dritten in hoher Qualität zu erstellen. Das geschieht häufig, ohne dass betroffene Personen dies bemerken und auf unbefugte Aufnahmen reagieren könnten. Durch die ständige Verfügbarkeit von Smartphones oder anderen technischen Geräten mit Bildaufnahmefunktion und deren unauffällige wie auch einfache Handhabbarkeit besteht die für Dritte unabsehbare Gefahr, ungewollt zum Gegenstand einer fremden Bildaufnahme zu werden. Bereits die Herstellung und nicht erst die Verbreitung derartiger Aufnahmen erweist sich gerade in den Fällen als tiefgreifender Rechtseingriff, in denen der Intimbereich betroffen ist.

Hach, „Bildaufnahmegeräte“ liest sich so herrlich antiquiert, dass man dem freundlichen älteren Herren aus dem vorletzten Jahrhundert noch gerne länger gelauscht hätte, bis er einem plötzlich knochentrocken das neumodische Smartphone vor den Latz knallt. Nun, die ersten Handys mit Kamera gibt es bereits seit 2000, also seit 20 Jahren und ich wette, dass es seit dem auch Upskirt-Fotos gibt. Neue Gesetze dauern halt.

Aber weiter mit der altehrwürdigen Gesetzesbegründung:

Gravierendes und auch strafwürdiges, bislang regelmäßig aber nicht strafbares Unrecht verwirklicht dabei derjenige, der absichtlich unter die Bekleidung einer anderen Person filmt oder fotografiert und auf diese Weise eine Bildaufnahme von deren Intimbereich herstellt oder überträgt. Durch dieses – zumeist heimlich vorgenommene – Verhalten wird der durch das Bekleidungsstück bezweckte Sichtschutz überwunden.

Stimmt, bisher war es nicht strafbar, den durch das Bekleidungsstück bezweckten Sichtschutz zu überwinden. Unabsichtlich bleibt das offenbar straflos. Wir kennen ja alle diese Fälle, wo wir vor einer Maid zu Boden fallen, und versehentlich auf den Auslöser unseres Bildaufnahmegerätes drücken, um dann zuhause erstaunt festzustellen, dass wir einen fremden Intimbereich abgelichtet haben, was wir dann umgehend all unseren Freunden samt Bildaufnahme mitteilen. Oder so.

Die Betroffenen können sich daher häufig nicht oder nur unzureichend wehren und müssen zumeist erdulden, dass sie hierdurch gegen ihren Willen zu Zwecken persönlicher Bedürfnisbefriedigung der Täter gleichsam instrumentalisiert werden. Entsprechende Verhaltensweisen haben, auch wenn sie bereits seit einiger Zeit festgestellt werden können, durch die massenhafte Verwendung von Bildaufnahmegeräten und die Möglichkeiten der Verbreitung entsprechender Aufnahmen im Internet eine Dimension erreicht, die angesichts ihrer Sozialschädlichkeit und des bislang defizitären Schutzes der Betroffenen einen strafgesetzgeberischen Handlungsbedarf hervorruft.

Wie soll man sich auch schon groß wehren, wenn man von der Tat gar nichts mitbekommt, weil die heimlich geschieht? Und solange also nur ein paar Freunde der Upskirtfotografie ihr Unwesen trieben, war das nicht so schlimm? Und schau an, auch auf dem Gebiet gilt America first, denn:

Im angloamerikanischen Rechtskreis, in dem zur Bekämpfung dieses Fehlverhaltens bereits vielerorts besondere Strafvorschriften geschaffen wurden, wird das Phänomen sehr prägnant mit dem Begriff „Upskirting“ erfasst.

Ein schönes deutsches Wort wie Unterrocken scheint es dafür nicht zu geben.

Durch dieses Verhalten wird nicht nur das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen verletzt, sondern speziell das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung.

Diesem ist das Recht des Einzelnen zuzuordnen, nicht gegen seinen Willen zum Objekt sexuellen Begehrens anderer gemacht zu werden (vergleiche Schönke/Schröder-Eisele, Strafgesetzbuch – StGB, 30. Aufl. 2019, vor §§ 174 ff. Rn. 1b). Dazu gehört auch das Recht, selbst darüber zu bestimmen, ob und in welcher Weise eine Person durch die Abbildung ihres Intimbereichs zum Gegenstand sexuell konnotierter Betrachtung durch andere werden will.

Ja, also wenn, dann muss man das vorher klären. Fragen Sie also einfach mal jemanden, ob er durch die Abbildung seines Intimbereichs zum Gegenstand sexuell konnotierter Betrachtung werden will. Das kommt bestimmt super an. Sollten Sie hinterher eine geschwollene Wange haben, beschweren Sie sich bitte nicht bei mir. Wie man bei einem Bild erkennen kann, ob das befugt oder unbefugt erstellt wurde weiß ich auch nicht, sofern im Intimbereich kein Schild mit der Aufschrift „Unbefugten ist das Ablichten dieses Bereichs untersagt“ steht.

Durch das „Upskirting“ missachtet der Täter dieses Recht, indem er sich und gegebenenfalls Dritten unerlaubt den Blick auf den Intimbereich verschafft und diesen Anblick in der Regel durch eine Speicherung der Aufnahme fixiert.

Wäre es nicht fixiert, wäre es wohl kaum ein Foto, sondern irgendein fluides Etwas.

Nicht selten werden die Aufnahmen über das Internet anderen zugänglich gemacht, was die Rechtsverletzung vertieft. In den meisten Fällen liegt der Tat eine sexuelle Motivation zugrunde, sei es, dass sich der Täter bereits durch die Aufnahmesituation sexuellen Lustgewinn verschaffen will, sei es, dass er selbst oder ein Dritter, dem die Aufnahme zugänglich gemacht wird, sich durch die Betrachtung der Aufnahme sexuellen Lustgewinn verschaffen will. Unabhängig vom konkreten Motiv des einzelnen Täters sehen sich die Opfer durch dieses Verhalten zum Gegenstand der sexuellen Phantasien anderer herabgewürdigt. Auch der allgemeinen Vorstellung vom Tatbild entspricht es, im „Upskirting“ einen Angriff auf das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen zu sehen.

Es wäre interessant zu erfahren, auf welche tatsächlichen Zahlen die Bundesregierung sich da bei ihrem „nicht selten“ gestützt hat. Wie oft kommen solche Verhaltensweisen tatsächlich vor, wer sind die Täter und wie viele Opfer gibt es? Unabhängig davon, dass ein solches Verhalten hochgradig ungehörig, beleidigend und lästig ist, sollte doch das Strafrecht bei der Regulierung des menschlichen Verhaltens die ultima ratio, also der Weisheit letzter Schluss sein. Und ob es hier des dicken Hammers des Strafrechts bedurfte und nicht etwa eine Ordnungswidrigkeit mit einem sportlichen Bußgeld ausgereicht hätte, kann ich nicht wirklich beurteilen. Da wäre schon wichtig gewesen, erst einmal zu erfahren, ob dieses Phänomen tatsächlich in dem Maße existiert, dass man es zu einer Straftat und zwar zu einer Sexualstraftat erklären muss.

Was genau es mit dem Fotografieren in den Ausschnitt – das nun auch verboten ist – auf sich hat, habe ich noch nicht richtig verstanden. Bei einem Ausschnitt ist – ich nehme mal die Sprache des Gesetzesentwurfes – der durch das Bekleidungsstück bezweckte Sichtschutz partiell für die Öffentlichkeit entfernt, um diesem einen Blick auf einen Teil des Busens zu gewähren. Zu welchem Zweck dies geschieht, ob zur besseren Belüftung des Oberkörpers oder gar, um potentielle Geschlechtspartner anzulocken, bleibt dabei unbeachtlich. Jedenfalls hat ja die Trägerin diesen Blick freiwillig – so hoffe ich doch – ermöglicht. Was genau ist nun schlimm daran, wenn dies nicht nur mit den Augen, sondern auch mit einem Foto erfasst wird? Es ist ja kein Fotografieren unter der Kleidung, sondern ein Fotografieren bei fehlender Bedeckung. Naja, egal, jetzt ist es etwas, für das man unter Umständen für zwei Jahre in den Knast gehen kann.

Was wollte nun die Regierung?

Mit dieser Strafvorschrift soll erreicht werden, dass

das Unrecht derartiger Taten in das Bewusstsein der Bevölkerung gebracht wird,

potentielle Täter abgeschreckt werden,

ein wirksamerer Schutz der Opfer bewirkt wird und

Täter auch strafrechtlich wegen eines Sexualdelikts zur Verantwortung gezogen werden können.

Mit der Einstufung der Strafnorm als Sexualdelikt sind Folgeänderungen veranlasst, die insbesondere im Hinblick auf die Befugnis zum Anschluss als Nebenkläger, § 395 der Strafprozessordnung (StPO), und die Bestellung eines Rechtsanwalts als Beistand (§ 397a StPO) den Schutz der betroffenen Opfer weiter verbessern.

Na fein. Auch hier ein weiteres Betätigungsfeld für Rechtsanwälte als Opferbeistand; das ist doch schön. Immerhin wurde das Ganze nicht gleich im allgemeinen Härterhärterhärtermodus zum Verbrechen hochgejazzt, sondern als Antragsdelikt ausgestaltet. Das bedeutet, dass das Upskirting-Opfer es selbst in der Hand hat, einen Strafantrag zu stellen. Dazu müsste es natürlich erst einmal den Täter erwischen. Erfolgt das auf frischer Tat, wäre womöglich ein beherzter Tritt in den verhüllten oder unverhüllten Intimbereich des Knipsers in aller Öffentlichkeit aber nicht nur als Notwehr durchaus gerechtfertigt, sondern womöglich auch die wirksamere Sanktion. Ob jemand seinen – ja meist auch unter dem Rock bekleideten – „Intimbereich“ im Internet verifizieren kann, wage ich zu bezweifeln. Aber egal, denn bei besonderem öffentlichen Interesse kann ja auch die Staatsanwaltschaft von Amts wegen tätig werden.

Tja, dann schauen wir mal, wie oft diese Vorschrift in den nächsten Jahren zur Anwendung kommen wird. Ich tippe auf nicht allzu häufig. Aber darum scheint es ja auch gar nicht zu gehen. Hauptsache, es wurde mal wieder ein Zeichen gegen was auch immer gesetzt.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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