Kein Kopftuch auf der Richterbank
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Frage, ob die hessischen Regelung zum Tragen eines Kopftuchs von Referendarinnen verfassungswidrig ist, hat für einiges Unverständnis gesorgt. Womöglich wurde der Beschluss aber nur nicht richtig verstanden.
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Der großartige Thomas Fischer meinte in seiner Kolumne für SPIEGEL-Online es zeige
das Urteil und seine Begründung ein solches Maß an verhärmter Furchtsamkeit, menschenfernem Beharren und verdrehtem Vertauschen von Objektivität mit Ressentiment, dass man ganz schwermütig wird.
Und Klaus Ferdinand Gärditz nannte es bei lto-online „Provinzialismus für Säkularisten“ Auch unser Kolumnist Henning Hirsch sah
ein Signal der Bevormundung an unsere muslimischen Mitbürger.
Ich kann diese harsche Kritik nicht so ganz nachvollziehen.
Zunächst einmal sollte man zur Kenntnis nehmen, dass das Bundesverfassungsgericht nicht unmittelbar darüber zu entscheiden hatte, ob eine Rechtsreferendarin ein Kopftuch tragen darf oder nicht. Vielmehr stand lediglich die Frage zur Entscheidung an, ob das der Beschwerdeführerin von der Hessischen Justiz als Ausbildungsbehörde auferlegte Verbot, bei der Ausübung bestimmter richterlicher Tätigkeiten im Rahmen ihrer Ausbildung ein Kopftuch zu tragen, die Beschwerdeführerin in ihren Grundrechten verletzt. Das mag zwar nur ein kleiner Unterschied sein, es ist aber ein zu beachtender Unterschied. Denn das Gericht hat eben nicht festgestellt, dass die Justiz der Beschwerdeführerin das Tragen eines Kopftuches aus welchen Gründen auch immer verbieten musste, sondern nur, dass durch das Verbot keine Grundrechtsverletzung eingetreten ist.
Zu prüfen war im Rahmen dieser Entscheidung, ob eine ausreichende Rechtsgrundlage für das Verbot vorlag und ob diese Rechtsgrundlage selbst verfassungsgemäß ist.
Der wesentliche Dreh- und Angelpunkt der Entscheidung war
§ 45 Neutralitätspflicht (§ 33 Beamtenstatusgesetz)
1 Beamtinnen und Beamte haben sich im Dienst politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten. 2 Insbesondere dürfen sie Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale nicht tragen oder verwenden, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die Neutralität ihrer Amtsführung zu beeinträchtigen oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden zu gefährden. 3 Bei der Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen nach Satz 1 und 2 ist der christlich und humanistisch geprägten abendländischen Tradition des Landes Hessen angemessen Rechnung zu tragen.
Aufgrund dieser Vorschrift übersandte das Ministerium dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main sowie nachrichtlich den Präsidenten der Landgerichte in Hessen den hier nur mittelbar angegriffenen Erlass vom 28. Juni 2007, in welchem es bat, künftig wie folgt zu verfahren:
Wenn aus den Bewerbungsunterlagen für die Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst erkennbar wird, dass während des Vorbereitungsdienstes ein Kopftuch getragen werden soll, sind die Bewerberinnen vor der Einstellung in den Vorbereitungsdienst dahingehend zu belehren, dass sich auch Rechtsreferendarinnen im juristischen Vorbereitungsdienst gegenüber Bürgerinnen und Bürgern politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten haben. Das bedeutet, dass sie, wenn sie während ihrer Ausbildung ein Kopftuch tragen, keine Tätigkeiten ausüben dürfen, bei denen sie von Bürgerinnen und Bürgern als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden oder wahrgenommen werden können.
Praktisch bedeutet dies insbesondere, dass Referendarinnen, die ein Kopftuch tragen,
– bei Verhandlungen im Gerichtssaal nicht auf der Richterbank sitzen dürfen, sondern im Zuschauerraum der Sitzung beiwohnen können,
– keine Sitzungsleitungen und/oder Beweisaufnahmen durchführen können,
– keine Sitzungsvertretungen für die Staatsanwaltschaft übernehmen können,
– während der Verwaltungsstation keine Anhörungsausschusssitzung leiten können.
Die Bewerberinnen sind darüber zu belehren, dass sich der Umstand, dass einzelne Ausbildungsleistungen nicht erbracht werden können, negativ auf die Bewertung der Gesamtleistung auswirken kann, da nicht erbrachte Regelleistungen grundsätzlich mit ‚ungenügend‘ zu bewerten sein werden. Wie sich dies im Einzelfall auf die abschließende Bewertung der Leistung in der Ausbildungsstelle auswirkt, entscheidet die Einzelausbilderin oder der Einzelausbilder.
Das war schon heftig und wäre aus meiner Sicht auch in dieser ausgeprägten Form gar nicht erforderlich. Hielt aber auch nur 10 Jahre, denn diesen Erlass vom 28. Juni 2007 hob das Hessische Ministerium der Justiz – Justizprüfungsamt – mit Erlass vom 24. Juli 2017 – 2220-II/E2-2017/7064-II/E – auf und wies auf Folgendes hin:
Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare im juristischen Vorbereitungsdienst haben sich gegenüber Bürgerinnen und Bürgern politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten. Das bedeutet insbesondere, dass sie keine Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale tragen oder verwenden dürfen, die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die Neutralität ihrer Amtsführung zu beeinträchtigen oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen Frieden zu gefährden.
Für den Vorbereitungsdienst bedeutet dies praktisch, dass Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendare, die Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale in dem oben genannten Sinne tragen, bei Verhandlungen im Gerichtssaal nicht auf der Richterbank Platz nehmen dürfen, sondern nur im Zuschauerraum sitzen können, keine Sitzungsleitungen oder Beweisaufnahmen durchführen dürfen, keine Sitzungsvertretung für die Staatsanwaltschaft übernehmen dürfen und während der Verwaltungsstation keine Anhörungsausschusssitzung leiten dürfen. Soweit deshalb vorgesehene Regelleistungen durch die Referendarin oder den Referendar nicht erbracht werden, darf dieser Umstand keinen Einfluss auf die Bewertung haben.
Das Oberlandesgericht wird gebeten, das bisherige, eigene Hinweisblatt nicht mehr zu verwenden und ab dem Einstellungstermin September 2017 das beiliegende, neue Hinweisblatt während des Verfahrens zur Aufnahme in den juristischen Vorbereitungsdienst allen Antragstellerinnen und Antragstellern zur Kenntnis zu bringen.
Sollten einzelne im Ausbildungsplan vorgesehene Leistungen von Rechtsreferendarinnen und Rechtsreferendaren wegen der Neutralitätspflicht nicht erbracht werden können, ist im Zeugnisformular der Hinweis ‚konnte nicht erbracht werden‘ ohne weitere Zusätze anzubringen. Das Nichterbringen der Leistung darf sich nicht auf die Bewertung auswirken. Ich bitte darum, alle mit der Referendarausbildung betrauten Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte hiervon in Kenntnis zu setzen.
Während das Verwaltungsgericht Frankfurt auch diese Anweisung noch für rechtswidrig hielt, insbesondere weil es meinte, solch tiefgreifende Eingriffe seien dem Gesetzgeber vorbehalten und könnten nicht von der Exekutive in Form des Justizprüfungsamtes vorgenommen werden, hob der Hessische Verwaltungsgerichtshof den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main mit dem dann mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenem Beschluss vom 23. Mai 2017 – 1 B 1056/17 – auf und wies den Antrag der Beschwerdeführerin zurück.
Die Frage war nun nicht, ob das Herrn Fischer, Herrn Gärditz, Herrn Hirsch oder mir gefällt, sondern, ob dieser Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs eine Grundrechtsverletzung darstellt oder nicht.
Und da hatte das Bundesverfassungsgericht dann ordentlich was zu prüfen und abzuwägen. Denn hier stand nicht nur ein Grundrecht im Fokus, sondern gleich ein ganzes Bündel.
Die Beschwerdeführerin rügte mit ihrer Verfassungsbeschwerde eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 12 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 sowie von Art. 3 Abs. 1 und 3 GG.
Religionsfreiheit
Zunächst stellt das Gericht fest, dass durch die Entscheidung eindeutig in die Religionsfreiheit der Beschwerdeführerin eingegriffen wurde.
Die Rechtsreferendaren auferlegte Pflicht, bei Tätigkeiten, bei denen sie als Repräsentanten des Staates wahrgenommen werden oder wahrgenommen werden könnten, die eigene Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nicht durch das Befolgen von religiös begründeten Bekleidungsregeln sichtbar werden zu lassen, greift in die von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verbürgte individuelle Glaubensfreiheit ein.
Ob das dennoch zulässig war, prüft das Gericht dann anhand der üblichen Kriterien:
Einschränkungen von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG müssen sich aus der Verfassung selbst ergeben, weil dieses Grundrecht keinen Gesetzesvorbehalt enthält. Zu solchen verfassungsimmanenten Schranken zählen die Grundrechte Dritter sowie Gemeinschaftswerte von Verfassungsrang. Die Einschränkung bedarf überdies einer hinreichend bestimmten gesetzlichen Grundlage.
Im Rahmen der umfassenden Prüfung beschäftigt sich das Gericht sodann recht gründlich mit den verschiedenen widerstreitenden Grundrechten.
Als mit der Glaubensfreiheit in Widerstreit tretende Verfassungsgüter, die einen Eingriff in die Religionsfreiheit im vorliegenden Zusammenhang rechtfertigen können, kommen der Grundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität (aa), der Grundsatz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege (bb) und mögliche Kollisionen mit der grundrechtlich geschützten negativen Religionsfreiheit Dritter in Betracht (cc). Keine rechtfertigende Kraft entfalten dagegen das Gebot richterlicher Unparteilichkeit (dd) und der Gedanke der Sicherung des weltanschaulich-religiösen Friedens (ee).
Um das Vertrauen in die Neutralität und Unparteilichkeit der Gerichte zu stärken, haben Bund und Länder nicht nur das Verfahren während der mündlichen Verhandlung in den jeweiligen Prozessordnungen detailliert geregelt. Zum Selbstbildnis des Staates gehören auch die Verpflichtung der Richterinnen und Richter, eine Amtstracht zu tragen sowie überkommene Traditionen wie das besondere Eintreten des Spruchkörpers in den Sitzungssaal, das Erheben bei wichtigen Prozesssituationen oder die Gestaltung des Gerichtssaals. Das unterscheidet die formalisierte Situation vor Gericht, die den einzelnen Amtsträgern auch in ihrem äußeren Auftreten eine klar definierte, Distanz und Gleichmaß betonende Rolle zuweist, vom pädagogischen Bereich, der in der staatlichen Schule auf Offenheit und Pluralität angelegt ist.
Hinter der finsteren Kostümierung der Richter mit rabenschwarzen Roben versteckt sich also ein hehres Ziel. Die Person des Richters soll hinter seiner Kostüm-Rolle als Richter verschwinden. So wie das Batman macht. Da soll dem Bürger der Staat als solcher erscheinen und nicht eine Person oder eine Gruppe von Personen. Dass das letztlich eine Form von Mimikry ist, geschenkt. Natürlich steckt in jeder Robe ein Mensch, der seine persönlichen Erfahrungen, Überzeugungen, seinen persönlichen Glauben und seine Vorurteile nicht dadurch verliert, dass er einen schwarzen Kittel überwirft und gemessenen Schrittes in den Saal tritt, auf dass sich alle erheben. Aber ja, das geschätzte Publikum erhebt sich eben nicht vor der Person, sondern vor dem Souverän – also letztlich vor sich selbst -, um diesem den Respekt zu zollen. Kann man machen. Sagen wir mal so, das gehört halt zur Show, wie die schwarze Kluft des Bundesligaschiedsrichters. Und es demonstriert für die meisten Menschen eher – wie auch der Gerichtssaal – Macht als Neutralität. Aber sei es drum, man kann dem Ganzen ja auch durchaus einen gewissen Sinn zusprechen.
Aus Sicht des objektiven Betrachters kann insofern das Tragen eines islamischen Kopftuchs durch eine Richterin oder eine Staatsanwältin während der Verhandlung als Beeinträchtigung der weltanschaulich-religiösen Neutralität dem Staat zugerechnet werden. Ob diese Beeinträchtigung von der Allgemeinheit in Anbetracht der betroffenen Grundrechte der Amtsträger hingenommen werden muss, entscheidet sich erst auf der Ebene der Abwägung (vgl. unten C. I. 2. c);…
Kann, muss aber nicht. Aber schauen wir weiter.
Als weitere verfassungsimmanente Schranke der Religionsfreiheit ist hier die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege insgesamt zu berücksichtigen, die zu den Grundbedingungen des Rechtsstaats zählt und im Wertesystem des Grundgesetzes (Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3, Art. 92 GG) fest verankert ist, da jede Rechtsprechung letztlich der Wahrung der Grundrechte dient. Funktionsfähigkeit setzt voraus, dass gesellschaftliches Vertrauen nicht nur in die einzelne Richterpersönlichkeit, sondern in die Justiz insgesamt existiert. Dieses Vertrauen ist unabhängig vom konkreten Streitfall erforderlich und kann durch eine Vielzahl von Umständen gestärkt oder beeinträchtigt werden. Ein „absolutes Vertrauen“ in der gesamten Bevölkerung wird zwar nicht zu erreichen sein. Dem Staat kommt insofern aber die Aufgabe der Optimierung zu. Diese verfolgt er derzeit unter anderem – wie bereits hervorgehoben – durch strenge Formalisierungsbestimmungen.
Ob nun das Vertrauen der Gesellschaft in die Justiz durch strenge Formalisierungsbestimmungen und schwarze Roben optimiert würde, weiß ich nicht. Ich denke eher, dass das Vertrauen durch nachvollziehbare und vor allem verständliche Urteile und Urteilsbegründungen optimiert würde. Und da ist noch reichlich Luft nach oben. Aber das ist ein anderes Thema.
Bei der Auswahl der zu ergreifenden Optimierungsmaßnahmen hat der Staat einen Einschätzungsspielraum. Insbesondere bei der Verfolgung des Ziels, die Akzeptanz der Justiz in der Bevölkerung zu stärken, hat er aber darauf zu achten, dass die von ihm ausgemachten Akzeptanzdefizite auf objektiv nachvollziehbaren Umständen beruhen. Die Aufgabe, Recht zu sprechen und dabei auch die Werte durchzusetzen, auf denen das Grundgesetz gründet, bringt es mit sich, dass die Institution Justiz und deren Entscheidungen mitunter auf Widerstand in Teilen der Gesellschaft treffen. Dieser ist auszuhalten. Demgegenüber darf der Staat Maßnahmen ergreifen, die die Neutralität der Justiz aus der Sichtweise eines objektiven Dritten unterstreichen sollen. Das Verbot religiöser Bekundungen oder der Verwendung religiöser Symbole durch den Staat und seine Amtsträger kann – wenn es sich gleichheitsgerecht auf alle Äußerungen und Zeichen im Gerichtssaal bezieht insoweit legitimer Ausdruck einer solchen Konzeption sein.
Dieses Argument finde ich dann doch recht überzeugend. Es geht eben nicht darum, ob das Gericht tatsächlich neutral ist, sondern darum, ob es Anlass dafür bietet, an seiner Neutralität Zweifel zu haben. Und das geht auch durch das offene Tragen von Symbolen, wie es das Kopftuch nun einmal sein kann.
Auch wenn das religiöse Bekenntnis einzelner Amtsträger allein nicht gegen deren sachgerechte Amtswahrnehmung spricht (vgl. unten C. I. 2. b) dd)), kann die erkennbare Distanzierung des einzelnen Richters und der einzelnen Richterin von individuellen religiösen, weltanschaulichen und politischen Überzeugungen bei Ausübung ihres Amtes zur Stärkung des Vertrauens in die Neutralität der Justiz insgesamt beitragen und ist umgekehrt die öffentliche Kundgabe von Religiosität geeignet, das Bild der Justiz in ihrer Gesamtheit zu beeinträchtigen, das gerade durch eine besondere persönliche Zurücknahme der zur Entscheidung berufenen Amtsträger geprägt ist.
Dann nimmt das Gericht Bezug auf die negative Religionsfreiheit, die den Einzelnen davor schützt, zum Anblick religiöser Symbole gezwungen zu sein.
Anders als im Bereich der bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule, in der sich gerade die religiös-pluralistische Gesellschaft widerspiegeln soll, tritt der Staat dem Bürger in der Justiz klassisch-hoheitlich und daher mit größerer Beeinträchtigungswirkung gegenüber . Das gilt auch, wenn die Verwendung des religiösen Symbols – wie im Fall des Kopftuchs – auf der privaten Entscheidung des für den Staat handelnden Amtsträgers beruht.
Garantie der richterlichen Unparteilichkeit
Ein weiteres Thema ist die Garantie der richterlichen Unparteilichkeit.
Der Gesetzgeber ist verpflichtet, Verfahrensregelungen vorzusehen, die es ermöglichen, im Einzelfall die Neutralität und Distanz der zur Entscheidung berufenen Richter zu sichern. Diesem Ziel dienen die prozessrechtlichen Vorschriften über die Ausschließung von Richtern und ihre Ablehnung wegen einer begründeten Besorgnis der Befangenheit. Im letztgenannten Fall genügt bereits der „böse Schein“ mangelnder Objektivität, der in der Außenwahrnehmung das Vertrauen in die Richterrolle beeinträchtigt. Nur Richter, denen die Parteien und auch die Allgemeinheit vertrauen, können ihrer Konfliktlösungsaufgabe und ihrer daraus resultierenden Befriedungsfunktion in einer demokratischen Gesellschaft gerecht werden.
Hier stellt das Gericht allerdings richtigerweise fest, dass das Verwenden eines religiösen Symbols im richterlichen Dienst für sich genommen nicht geeignet ist, Zweifel an der Objektivität der betreffenden Richter zu begründen.
Und dann spielt das Gericht den Ball an den Gesetzgeber zurück.
Das normative Spannungsverhältnis zwischen den Verfassungsgütern unter Berücksichtigung des Toleranzgebots aufzulösen, obliegt zuvörderst dem demokratischen Gesetzgeber, der im öffentlichen Willensbildungsprozess einen für alle zumutbaren Kompromiss zu finden hat. Die einschlägigen Normen des Grundgesetzes sind zusammen zu sehen, ihre Interpretation und ihr Wirkungsbereich sind aufeinander abzustimmen.
Und da lässt das Gericht dann letztlich in angebrachter Zurückhaltung und Respekt vor der Entscheidung des Gesetzgebers diese verfassungsrechtlich unangetastet, obwohl es deutlich macht, dass auch eine andere möglich wäre.
Hiervon ausgehend ist der angegriffene Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs und die ihm zugrundeliegende Auslegung von § 27 Abs. 1 Satz 2 JAG in Verbindung mit § 45 HBG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Angesichts der konkreten Ausgestaltung des verfahrensgegenständlichen Verbots kommt keiner der kollidierenden Rechtspositionen vorliegend ein derart überwiegendes Gewicht zu, das verfassungsrechtlich dazu zwänge, der Beschwerdeführerin das Tragen religiöser Symbole im Gerichtssaal zu verbieten oder zu erlauben. Die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Pflicht, sich im Rechtsreferendariat in weltanschaulich-religiöser Hinsicht neutral zu verhalten, ist daher aus verfassungsrechtlicher Sicht zu respektieren.
Die konkrete Abwägung macht das Gericht gegen Ende der Entscheidung noch einmal deutlich. Auf der einen Seite:
Für die Position der Beschwerdeführerin spricht, dass das Kopftuch für sie nicht lediglich ein Zeichen für ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten religiösen Gruppe ist, welches – wie etwa das Kreuz an einer Halskette – jederzeit abgenommen werden könnte. Vielmehr stellt das Tragen für sie die Befolgung einer als verbindlich empfundenen Pflicht dar; eine Pflicht, für die es insbesondere im Christentum kein entsprechendes, derart weit verbreitetes Äquivalent gibt. Das allgemeine Verbot religiöser Bekundungen trifft die Beschwerdeführerin daher härter als andere religiös eingestellte, insbesondere christliche Staatsbedienstete. Beamte und Richter haben sich zudem in der Regel in Kenntnis der bestehenden Reglementierungen bewusst und freiwillig für eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst entschieden. Juristen, die das Zweite Staatsexamen anstreben, bleibt hingegen kein anderer Weg zur Erreichung dieses Ziels als die Absolvierung des Rechtsreferendariats.
Und auf der anderen Seite:
Für die Verfassungsmäßigkeit des streitgegenständlichen Verbots spricht indes der Umstand, dass sich das Verbot auf wenige einzelne Tätigkeiten beschränkt, bei denen der Staat den verfassungsrechtlichen Neutralitätsvorgaben den Vorrang eingeräumt hat. Dies gilt, soweit Referendare mit richterlichen Aufgaben betraut werden, bei der Wahrnehmung des staatsanwaltschaftlichen Sitzungsdienstes und bei der Übernahme justizähnlicher Funktionen wie hier der Leitung einer Anhörungsausschusssitzung während der Verwaltungsstation. Sie haben insofern ebenso wie die Beamten der Staatsanwaltschaft oder – in diesem besonderen Teilbereich – der allgemeinen Verwaltung die Werte, die das Grundgesetz der Justiz zuschreibt, zu verkörpern. Der Umstand, dass sich Rechtsreferendare in Ausbildung befinden und nach deren Abschluss womöglich Tätigkeiten ausüben, für welche die dargestellten verfassungsrechtlichen Maßstäbe nicht greifen, führt zu keiner anderen Bewertung. Zum einen sind Rechtsreferendare für Rechtssuchende oder -unterworfene nicht bei jeder Tätigkeit als solche zu erkennen. Zum anderen haben die angesprochenen Personen ein Anrecht darauf, dass die justiziellen Grundbedingungen auch dann gelten, wenn der Staat Aufgaben zu Ausbildungszwecken überträgt.
Hierbei handelt es sich um Tätigkeiten, die einen vergleichsweise kurzen Zeitraum der Ausbildungsdauer umfassen. Wenngleich die Ausbildungsvorschriften diesen Tätigkeiten einen hohen Stellenwert beimessen (vgl. § 28 Abs. 1 Satz 2 JAG, wonach die Rechtsreferendarin oder der Rechtsreferendar praktische Aufgaben in möglichst weitem Umfang selbständig und, soweit die Art der Tätigkeit es zulässt, eigenverantwortlich erledigen soll), besteht auf ihre Wahrnehmung jedoch kein Rechtsanspruch.
Dass auch die Ausbildungsfreiheit der Beschwerdeführerin nicht verletzt und der Eingriff das allgemeine Persönlichkeitsrecht zwar durchaus verletzt, dies aber aus den oben genannten Gründen gerechtfertigt ist, rundet die Entscheidung ab.
Nun mag man mit der Entscheidung nicht zufrieden sein, weil man sie als Votum des Bundesverfassungsgerichts gegen das Kopftuch ansieht. Tatsächlich hat das Gericht aber lediglich eine Entscheidung des Justizprüfungsamtes und des Verwaltungsgerichtshofs überprüft und festgestellt, dass diese sich (noch) im Rahmen der Verfassung bewegen. Es wäre Sache des Gesetzgebers daran etwas zu ändern, wenn er es denn möchte. Ich hätte nichts dagegen.