Gauland und die Immunität

Am 30. Januar wurde die Immunität des Abgeordneten Gauland aufgehoben, las man in den Medien. Was bedeutet das eigentlich? Eine Kolumne von Heinrich Schmitz


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Eilmeldung! Breaking News! Bundestag hebt die Immunität von Alexander Gauland auf. Jesses nee, warum sollte das nun eine so bedeutsame Mitteilung sein, dass man das als aktuelle Sensation verkaufen muss? Was bedeutet das schon?

Ich glaube nicht, dass ich hier besonders betonen muss, was ich von der AfD und ihrem Ehrenvorsitzenden Vogelschiss-Gauland halte. Und trotzdem hat mich der Hype um die Aufhebung der Immunität geärgert. Klar kann man schadenfroh sein, wenn ein politischer Gegner in das Visier der Ermittlungsbehörden gerät. Und man darf auch wünschen, dass derjenige Dreck am Stecken hat und dann dafür auch verurteilt wird.

Allerdings lässt die Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten keineswegs den Schluss zu, er wäre nun einer Straftat irgendwie „verdächtiger“ als jeder andere Bürger, gegen den ermittelt wird. Das ist nämlich keineswegs so.

Die Abgeordneten der deutschen Parlamente genießen einen besonderen Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung. Zum einen durch die sogenannte Indemnität und zum anderen durch die Immunität.

Art. 46

(1) 1 Ein Abgeordneter darf zu keiner Zeit wegen seiner Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die er im Bundestage oder in einem seiner Ausschüsse getan hat, gerichtlich oder dienstlich verfolgt oder sonst außerhalb des Bundestages zur Verantwortung gezogen werden. 2 Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen.

(2) Wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung darf ein Abgeordneter nur mit Genehmigung des Bundestages zur Verantwortung gezogen oder verhaftet werden, es sei denn, daß er bei Begehung der Tat oder im Laufe des folgenden Tages festgenommen wird.

(3) Die Genehmigung des Bundestages ist ferner bei jeder anderen Beschränkung der persönlichen Freiheit eines Abgeordneten oder zur Einleitung eines Verfahrens gegen einen Abgeordneten gemäß Artikel 18 erforderlich.

(4) Jedes Strafverfahren und jedes Verfahren gemäß Artikel 18 gegen einen Abgeordneten, jede Haft und jede sonstige Beschränkung seiner persönlichen Freiheit sind auf Verlangen des Bundestages auszusetzen.

Das, was in Absatz 1 geregelt ist, nennt man die Indemnität. Das ist ein persönlicher Strafausschließungsgrund für Abgeordnete, der sich auf deren parlamentarische Äußerungen sowohl im Plenum als auch in den Ausschüssen bezieht. Sein Pendant findet sich in:

§ 36

Parlamentarische Äußerungen

1Mitglieder des Bundestages, der Bundesversammlung oder eines Gesetzgebungsorgans eines Landes dürfen zu keiner Zeit wegen ihrer Abstimmung oder wegen einer Äußerung, die sie in der Körperschaft oder in einem ihrer Ausschüsse getan haben, außerhalb der Körperschaft zur Verantwortung gezogen werden. 2Dies gilt nicht für verleumderische Beleidigungen.

Redefreiheit

Die Indemnität des Abgeordneten soll sicherstellen, dass die Abgeordneten nur ihrem Gewissen folgen und von ihrer Redefreiheit Gebrauch machen können, ohne dadurch Nachteile befürchten zu müssen. Daher dauert die Indemnität auch nach Beendigung des Mandats fort und kann auch nicht durch den Bundestag aufgehoben werden. Für ihre parlamentarischen Ausfälle genießen die Abgeordneten also Narrenfreiheit.

Der Schutz vor Strafverfolgung gilt deshalb für immer, also auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Parlament.

Aber er gilt eben nicht für alle Straftaten, sondern nur für parlamentarische Äußerungen, schließlich sind Abgeordnete ja keine Doppelnullagenten, die straflos jeden Scheiß machen können. Und auch bei den parlamentarischen Äußerungen gibt es eine Grenze, nämlich die der verleumderischen Beleidigung. Damit sind nicht nur Verleumdungen i.S.d. § 187, sondern auch im Sinne aller Vorschriften gemeint, die auf § 187 Bezug nehmen, z.B. §§ 90 Abs. 3; 188 Abs. 2, wegen fehlender Verweisung auf § 187 aber nicht § 109d. Äußerungen, die inhaltlich eh nicht auf einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf abzielen, bleiben ebenfalls strafbar. Normale Beleidigungen bleiben hingegen straffrei. Hätte also z.B. ein Abgeordneter Frau Weidel in einer Debatte als Nazischlampe oder braune Kackbratze bezeichnet, so hätte ihn dafür kein Ermittlungsverfahren erwartet, ganz im Gegensatz zu Ihnen oder mir. Wir dürfen das nicht. Allerdings hätte auch hier der Bundestagspräsident zu Ordnungsmitteln bis zum Ausschluss von der Debatte greifen können. Er ist da der Chef, nicht die Staatsanwaltschaft.

Auch wer über solche Beleidigung wahrheitsgemäß berichtet hätte, dürfte nicht strafrechtlich belangt werden.

§ 37

Parlamentarische Berichte

Wahrheitsgetreue Berichte über die öffentlichen Sitzungen der in § 36 bezeichneten Körperschaften oder ihrer Ausschüsse bleiben von jeder Verantwortlichkeit frei.

Müll erlaubt

Ein Abgeordneter darf also ungestraft nahezu jeden Müll vom Stapel lassen, solange er andere nicht auf der Basis ihm bekannt falscher Tatsachenbehauptungen beleidigt. Einfache Beleidigungen – mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch – sind aber problemlos von der Indemnität umfasst.

Wichtig ist dabei, dass die Indemnität nicht für Äußerungen außerhalb des Parlaments oder der Ausschüsse gilt. Wer also, wie ein Landtagsabgeordneter der Linken aus Thüringen, zum „Schottern“ aufruft, sollte das lieber in einer Parlamentsrede tun und nicht außerhalb des Parlaments. Sonst wird er genauso bestraft wie der zum Schottern aufrufende Student oder ein Gesellschafter der Antifa-GmbH – deren Existenz tief in den Hirnen von VT-Experten verwurzelt ist, die aber ansonsten nicht wirklich existiert.

Äußerungen in den Fraktionen oder Arbeitskreisen der Parteien, Statements von Abgeordneten, die außerhalb des Plenums, etwa vor der Presse gemacht werden, sind nicht vom Indemnitätsschutz erfasst, auch dann nicht, wenn sie der Erklärung einer parlamentarischen Anfrage dienen oder in einem sonstigen Bezug zur parlamentarischen Tätigkeit des Abgeordneten stehen. Wer also gerade im Parlament eine veritable Hetzrede gehalten hat, könnte von geschickt fragenden Pressevertretern in eine hübsche Strafbarkeitsfalle gelockt werden. Einen Versuch wäre es wert. Auch bei Herrn Gauland, obwohl, der weiß genau, was er noch so gerade sagen kann, ohne Probleme zu bekommen.

Da es sich bei der Indemnität nur um einen höchstpersönlichen Strafausschließungsgrund handelt, bleibt eine solche Tat gleichwohl rechtswidrig. Ein Angegriffener könnte also durchaus zur Notwehr greifen.

Immunität

Okay. Kommen wir also zur Immunität.

Danach darf gegen einen Abgeordneten nur mit Genehmigung des Bundestages ermittelt werden. Auch eine Verhaftung bedarf der vorherigen Genehmigung, es sei denn der Abgeordnete wird auf frischer Tat, also mit dem rauchenden Colt oder dem brennenden Molli vor dem Flüchtlingsheim geschnappt. Oder man schnappt ihn noch am nächsten Tag.

Man sagt dann, der Bundestag hat die Immunität des Abgeordneten XY aufgehoben. Tatsächlich ist das in doppelter Hinsicht ein schwacher Schild, eher so ein Pappding. Denn zum einen gilt die Immunität nur, solange man Abgeordneter ist und zum anderen wird die seit Jahrzehnten immer gleich zu Beginn einer Legislaturperiode pauschal für die gesamte Dauer aufgehoben.

Streng genommen ist Gaulands Immunität also gar nicht am 30.1.2020 aufgehoben worden, sondern bereits zu Beginn der Legislaturperiode, ebenso wie die aller anderen Abgeordneten. Sozusagen auf Vorrat.

Gleichwohl muss die Staatsanwaltschaft, wenn sie denn gegen einen Abgeordneten ermitteln will, ein bestimmtes Procedere einhalten. Sie muss den Bundestagspräsidenten und im Regelfall auch den betroffenen Abgeordneten informieren und im Anschluss 48 Stunden abwarten. Kommt dann kein Stop vom Bundestag, kann sie loslegen. Es wird also nicht extra geprüft oder gar beschlossen. Alles ganz einfach und keineswegs bedeutsam.

Normaler Anfangsverdacht

Es ist auch nicht so, wie manche mutmaßten, dass der Tatverdacht den die Staatsanwaltschaft hat, besonders bedeutsam oder besonders gut belegt sein muss. Nö, es reicht der ganz normale Anfangsverdacht, den man für ein ganz gewöhnliches Ermittlungsverfahren so braucht.

Und da kann ich aus jahrelanger Berufserfahrung nur sagen, so ein Anfangsverdacht ist schnell gestrickt und ebenso schnell wieder aufgeriffelt. Die wenigsten Ermittlungsverfahren führen zur Anklage, und lange nicht jede Anklage führt zur Verurteilung. Die Mitteilung, dass gegen jemanden ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, bedeutet mithin nicht mehr, als dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Es ist ja gerade Sinn und Zweck eines solchen Verfahrens, zu klären, ob eine Straftat vorliegt oder halt nicht.

Unschuldsvermutung

Und bis zur Verurteilung gilt dann ohnehin die Unschuldsvermutung. Für jeden, für Heilige und Arschlöcher, also auch für Gauland.

Leider stelle ich immer wieder fest, dass diese elementaren Grundsätze des Strafrechts gerne vergessen werden, wenn der Beschuldigte einem von Herzen unsympathisch ist. Kann ich einerseits ja verstehen, aber gerade im Umgang mit unsympathischen Verdächtigen sollte der Rechtsstaat seine Standards auf keinen Fall verraten. Denn vor dem Gesetz müssen wir alle gleich sein, sonst können wir uns das ganze Theater gleich sparen und nach Sympathie urteilen.

Und vielleicht könnten die Medien einmal dem Drang widerstehen, aus jedem Furz eine Sondermeldung zu machen. Würde schon helfen.

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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