Eine Kritik des westlichen Denkens, die selbst sehr „westlich“ daherkommt
„Gehen, ohne je den Gipfel zu besteigen“ ist eine literarische Nepalreise, die dem westlich markierten Erobern ein sanftes Umkreisen entgegenstellen will. Es werden aber vor allem eigene Befindlichkeiten in den Buddhismus projiziert. Literatur-Kolumne von Sören Heim
Eine spirituelle Wanderschaft durch die Berge Nepals, ein Schriftsteller, dessen Name große Teile mit dem des größten Kitsch-Produzenten der modernen Literatur gemeinsam hat, jubelnde Rezensionen im wenig treffsicheren Feuilleton. Ich gebe zu, ich bin von Anfang an ein Risiko eingegangen, mir Gehen, ohne je den Gipfel zu besteigen von Paolo Cognetti zur Rezension zu bestellen.
Aber nachdem ich selbst im kleinen Stil das Wandern wieder entdeckt habe, war da zumindest die leise Hoffnung: Eine schöne Reisebeschreibung vielleicht? Am Ende sogar wirklich der geistig tiefe Titel, den verschiedene Rezensionen behauptet haben? Großes Glück hatte ich ja vor kurzem mit dem ebenfalls bei Penguin erschienenen Im Unterland gehabt.
Die stummen Einheimischen
Nun ja: Gehen, ohne je den Gipfel zu besteigen lässt sich zumindest recht angenehm lesen, nach ein bis zwei Stunden ist man auch schon wieder durch. Leider muss man sich dabei auch durch einige anstrengende Passagen romantischen Tibet-Kitsches beißen, ohne den sich der Himalaya heute wohl nicht mehr bereisen lässt. Die klassischen Topoi: Das theokratische Tibet vor der Besetzung durch China wird hoffnungslos verklärt, eine Erbmonarchie, die den Großteil der Bevölkerung in Leibeigenschaft hielt, wird als das „Ursprüngliche“ gefeiert, China und der Westen sind die großen Verderber (Nein, dass man sich gegen die Verklärung des früheren Tibet stellt, heißt nicht, dass man die chinesische Politik gutheißt.). Die von Cognetti als zirkulär vorgestellte buddhistische Philosophie, die Idee, dass man Berge nicht besteigt, sondern umkreist und allerlei mehr dergleichen wird als Gipfel (Oh, Ironie!) der Weisheit hingestellt, wobei daraus regelmäßig mehr westliche Projektion als ernsthafte Auseinandersetzung mit der Philosophie zu sprechen scheint. Das ist fast schon wieder lustig, lernt der moderne Kulturwissenschaftler an der Uni doch bereits im ersten Semester, genau solche Gegenüberstellungen vom gradlinigen Westen und vom zirkulären Osten als urkolonial zu dekonstruieren.
Auch hört man die Bevölkerung während der Reisebeschreibung selten sprechen. Kein Wunder, die Reisegruppe und Schriftsteller-Alterego Paolo beherrschen die Landessprache nicht (so zumindest die Darstellung im Buch), kaum jemand, dem sie begegnen, spricht Englisch. So erscheint sogar der Träger Lakba, über dessen Verhältnis zum Reisen, zur Natur und so weiter Cognetti gern nachdenkt, praktisch stumm. Ein geradezu klassischer kolonialer Topos. Sehr viel Raum bekommt dagegen Peter Matthiessen mit seinem Buch Auf der Spur des Schneeleoparden, auf dessen Spuren wiederum die Reisegruppe wandelt.
Nicht wirklich gelungen
Was die geistige Tiefe und Breite betrifft, ist Gehen, ohne je den Gipfel zu besteigen leider wirklich kein großes Buch. Auch die Beschreibungen von Landschaft und Begegnungen bleiben sehr an der Oberfläche, vor allem findet Cognetti nicht wirklich einen Tonfall, der die Erhabenheit der Naturerfahrung, die mehrfach behauptet wird, auch spürbar macht. Welch ein phänomenaler Kontrast war dagegen das oben bereits erwähnte Im Unterland, das auf ganz ähnliche Weise Erfahrung von Natur und Gesellschaft mit politisch-philosophischen Reflexionen zu verknüpfen sucht; meist ungemein erfolgreich. Gehen, ohne je den Gipfel zu besteigen ist dagegen vor allem eine nette Lektüre. Naiv, unglaublich westlich in seinem Versuch, westliche Anmaßungen zu kritisieren. Sicher kein Buch, bei dem man sich langweilen wird, aber auch keines, das lange in Erinnerung bleiben muss.
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