Wer schreibt, der bleibt
Wir schreiben weiter. In mehreren Beiträgen hatte ich bereits die flächendeckende Einführung von Videovernehmungen und -protokollen in Gerichtsverfahren gefordert. Bisher hat sich nichts getan. Vielleicht jetzt?
Kolumne von Heinrich Schmitz
Bild von Thomas B. auf Pixabay
Die Groko hatte vollmundig einen „Pakt für den Rechtsstaat“ angekündigt. Mehr Beschäftigte in der Justiz plus eine StPO-Reform wurden angekündigt.
Die geplante Reform der Strafprozessordnung erfüllt diesen vollmundigen Anspruch allerdings ganz und gar nicht. Das Ziel der Reform, das Strafverfahren effizienter zu machen, wird in erster Linie mit einer weiteren Beschränkung der Rechte der Verteidigung angestrebt. Das mag zu einer Beschleunigung des Verfahrens führen, es führt aber damit auch zu einer Gefährdung der Beschuldigtenrechte. Okay, kann man so machen und in Teilen der Bevölkerung wird ja der Ruf nach einem “kurzen Prozess“ schon seit einiger Zeit lauter. Verteidigung wird vielfach für eine Art von Gerechtigkeitsverhinderung betrachtet, oder wie eine Amtsrichterin es einmal auf dem Flur in schöner Offenheit zu mir sagte: „Sie stören doch nur.“ Das ist nun aber gar nicht das Thema dieser Kolumne.
Hier geht es um etwas anderes, das die Groko bei der StPO-Reform wieder einmal ausgeklammert hat: die Protokollierung.
Kaisers Zeiten
Schon im Ermittlungsverfahren wird die Vernehmung nach wie vor durch ein schriftliches Protokoll dokumentiert, obwohl heute jedes Schulkind in der Lage ist, mit seinem Smartphone eine astreine Videodokumentation von Bild und Ton zu erstellen. Das wird auch schon mal bei der Polizei so gemacht, aber leider nur, wenn es um die Vernehmung von Kindern in einer Sexualstrafsache geht.
Alles andere wird mühsam wie zu Kaisers Zeiten vom Vernehmungsbeamten zu Papier gebracht, gar nicht mal so selten im Zweifingersuchverfahren. Und da wird selbstverständlich nicht wörtlich das protokolliert, was gesagt wird. So Satz für Satz. Sondern der Beamte schreibt, was er glaubt gehört zu haben, lässt das den Beschuldigten oder auch den Zeugen nachher mal kurz lesen und dann unterschreiben.
Dass die Vernehmungsprotokolle das wiedergeben würden, was der Vernommene tatsächlich gesagt hat, entspricht leider selten der Realität. Vielmehr laufen die meisten Vernehmungen so ab, dass der Beschuldigte einige Sätze – oder auch Nichtsätze – von sich gibt und der Beamte das dann so wiedergibt, wie er das verstanden zu haben glaubt. Und zwar mit eigenen Worten und eigenen Rechtschreibfehlern. Das sind in aller Regel eben keine Wortprotokolle, sondern mehr oder weniger freie Nacherzählungen und oftmals auch recht freie Interpretationen des Gehörten.
Stille Post
Besonders witzig, wenn noch ein Dolmetscher zwischengeschaltet wird. Das hat dann was von stiller Post.
Ich kann nicht mehr zählen, wie oft mir jemand nachher gesagt hat, er habe das so gar nicht gesagt und mit dem Lesen sei es bei ihm auch nicht soweit her. Er habe einfach da weg gewollt. Kann ich verstehen.
Mit einer Videoaufzeichnung der Aussage, einschließlich der Belehrung, ließen sich manche Fehler vermeiden. Gerade im Bereich der Belehrung, die auf den Vernehmungsprotokollen meist schon vorgedruckt ist, kommt es gar nicht selten zu Fehlern, deren Nachweis allerdings nicht leicht zu führen ist. Der Beamte schwört stets Stein und Bein, er habe korrekt belehrt, der Beschuldigte das Gegenteil. Und dann kommt häufig das lustige Argument, „Warum sollte der Beamte lügen?“. Nun, warum nicht? Vielleicht weil er, wie die meisten Menschen, ungern einen Fehler zugibt? Schon die Aussage, er könne sich genau an die Belehrung erinnern, erscheint mir eher aus dem Reich der Phantasie zu stammen, als aus der Realität. Aber meistens wird ihm halt geglaubt. Warum sollte er lügen.
Dasselbe gilt auch für die Hauptverhandlung beim Landgericht oder OLG. Während die Protokollführenden beim Amtsgericht immerhin noch mehr oder weniger die Aussage des Angeklagten oder Zeugen ins Protokoll schreiben, heißt es beim LG und OLG lapidar: „ der Zeuge X. sagte zur Sache aus.“ Was er ausgesagt hat, steht da nicht. Das notiert sich der Vorsitzende selbst. Wie er das macht, was er aufschreibt und ob das zutreffend ist, kann niemand kontrollieren, da es nicht zum Bestandteil der Akte wird. Er könnte auch Comics malen, einen Einkaufszettel schreiben oder sich gar nichts notieren. Ganz schön doof, wenn der sich etwas notiert hat, was niemand gesagt hat, egal ob absichtlich oder versehentlich und hinterher das Urteil darauf stützt.
Auch diesem Elend könnte man leicht entgehen, wenn die Hauptverhandlung komplett aufgezeichnet würde. Damit würden auch kleine und große Nickeligkeiten dokumentiert. Es würden ja nicht nur die Antwort des Zeugen oder des Beschuldigten dokumentiert, sondern auch die Fragen und vor allem der Ton, in dem diese gestellt werden. Der Ton macht halt manchmal die Musik. Unterm Strich wäre das auch ein hilfreiches Mittel für ein faires Verfahren.
Deshalb fordern Strafverteidiger schon seit geraumer Zeit eine deutliche Ausweitung der Videodokumentation von Vernehmungen. Wenigstens mal auf alle die Fälle, in denen später mit einer notwendigen Verteidigung – also einer Pflichtverteidigung – gerechnet werden muss. Da sieht man mal, dass die Verteidiger ihre Rolle als Organ der Rechtspflege durchaus ernst nehmen und nicht darauf spekulieren, von den Protokollfehlern zu profitieren.
Pustekuchen
Bereits im August 2014 schrieb ich zu dem Thema:
Schon seit 2010 liegt ein kompletter “„Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Wahrheitsfindung im Strafverfahren durch verstärkten Einsatz von Bild-Ton-Technik“”:http://www.brak.de/w/files/stellungnahmen/Stn1-2010.pdf vor, den der Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer erarbeitet hat. Scheint aber bisher den Gesetzgeber nicht wirklich zu interessieren. Also wird schön auf Papier weiter gewurschtelt. Aktuell hat der Deutsche Anwaltverein in einer Stellungnahme zum „Call for papers“ für den 4. Grünen Polizeikongress am 21.03.2015 in Hamburg “noch mal an die Forderung erinnert”:http://anwaltverein.de/downloads/stellungnahmen/DAV-SN45-14.pdf.
Aber Pustekuchen. Die Videodokumentation, die in den meisten europäischen Nachbarländern seit längerer Zeit eine Selbstverständlichkeit ist, findet sich in der StPO-Reform nicht.
Aber nun macht immerhin die Opposition Druck. Bereits im Juni hatte die FDP einen Gesetzentwurf vorgelegt, der eine audiovisuelle Dokumentation vorsieht. Und in einem ganz frischen Antrag der Grünen fordern diese ebenfalls, ab Beginn des Jahres 2021 eine Tonaufzeichnung für alle erstinstanzlichen Hauptverhandlungen in Strafverfahren vor den Land- und Oberlandesgerichten einzuführen und diese dann ab 2023 durch eine Videodokumentation zu ersetzen.
Widerstand kommt – nicht ganz überraschend – von der Justiz. Da werden auf der einen Seite technische Schwierigkeiten behauptet – was angesichts der fortgeschrittenen Technik lächerlich ist –, auf der anderen Seite spielt aber sicher auch die Angst eine Rolle, dass demnächst die Revisionsgerichte sich einmal ganz genau ansehen könnten, wie denn das erstinstanzliche Urteil zustande gekommen ist. Wer lässt sich schon gerne genau auf die Finger sehen? Ein guter Vorschlag kommt aber aus den Reihen der Justiz, vom Richter am BGH, Prof. Dr. Andreas Mosbacher. Der schlägt eine Tonaufzeichnung zusammen mit einer technischen Transkription vor. Das erleichtere den Richtern eine schnelle Übersicht und zusätzlich könne die Aufzeichnung zur Überprüfung herangezogen werden.
Warum nun die Groko sich hier ganz formal darauf zurückzieht, dass das Thema nicht Gegenstand des Koalitionsvertrages ist, lässt mich ratlos zurück. Was spricht denn dagegen, etwas Notwendiges und Sinnvolles umzusetzen, nur weil es nicht im Koalitionsvertrag steht? Und dass ein Vorschlag von der Opposition eingebracht wird, bedeutet ja nicht automatisch, dass man ihn zwingend ablehnen müsste. Also keine Ausreden mehr. Macht mal und macht uns nicht in ganz Europa lächerlich mit unserem Festhalten am Papierprotokoll.
Vielleicht eine schöne Aufgabe für die neue Justizministerin Christine Lambrecht, eine frühere Rechtsanwältin.