Lashana Lynch als Bond? Das könnte gut werden…
… weil aber Fandom in der kulturindustriellen Züchtung von Gewohnheitstieren besteht, ist nicht jede Ablehnung gleich von Ressentiment getrieben. Überhaupt sollte man diesen späten Ausfluss des britischen Imperialismus, Bond, vielleicht lieber sterben lassen und sich anderen Vorlagen zuwenden, findet Literaturkolumnist Sören Heim.
Ein Bond mit Lashana Lynch in der Hauptrolle? Das würde durchaus die Wahrscheinlichkeit beeinflussen, dass ich mir den Film ansehe. In meinem Fall: sogar steigern. Denn Bond ist ja doch letztlich eher klischeegetriebene, seichtere, Unterhaltung. Wenn er im Fernsehen lief, habe ich selten abgeschaltet, aber seit man zuhause nicht mehr standardmäßig einen Fernseher hat, suche ich die Filme auch nicht bewusst auf. Ein unorthodoxes Reboot: Das könnte mich dann schon aus reiner Neugier bewegen, das Ganze sehen zu wollen.
Aber: Dass das einer signifikanten Anzahl von Fans der Reihe anders gehen könnte, kann ich auch nachvollziehen. Und obwohl unter den aktivsten Shit-Stürmern rassistischer und sexistischer Müll abgesondert wird, müssen nicht alle Zweifler Rassisten und Sexisten sein. Bond hatte nun mal über die größte Zeit seiner Existenz ein relativ klares Profil. So klar aristokratisch, männlich, charmant und dunkelhaarig, dass ich mich erinnere, dass auch gegen Craig damals ernsthafte Proteste laut wurden („So wurde er beispielsweise als unscheinbar, zu blond und ängstlich bezeichnet“). Was natürlich auch zeigt: Veränderungen können funktionieren, selbst wenn sie anfangs abgelehnt werden (Shitstorms gab es auch gegen das neue Star Trek, das mittlerweile (moderat) gefeiert wird. Und gegen den neuesten Star Wars, weil der endlich mal ein wenig Tiefe in die Reihe bringt).
Wobei „funktionieren“ hier meint: Bei einem anfangs dagegen voreingenommenen Publikum ankommen. Wer bezweifelt, dass Filme mit weiblichen und oder schwarzen Action-Stars ästhetisch funktionieren können, ist tatsächlich nichts weiter als ein Sexist/Rassist.
Dennoch bezweifle ich, dass ein radikal neuer Bond, wie es der mit Lashana Lynch wäre, auch funktionieren würde. Dabei bin sicher, dass ein weiblicher Bond funktionieren kann.
Gegen die essenzialistischen Einwände:
Ist das nicht widersprüchlich?
Treten wir einen Schritt zurück: Geschlechtsidentitär ausgerichtete Kritiker sagen etwa: „Das geht doch überhaupt nicht. Bond ist eine typische Männerrolle, der macht Dinge, die typische Männer tun, es gibt also einen essenziellen Grund im Geschlecht des Charakters, warum sich das niemand anschauen würde, wenn das plötzlich ne Frau wäre“.
Ach was, sage ich. Die Masse guckt sich fast alles an, was ihr vorgesetzt wird, wenn es zwischendurch blitzt und knallt, die Geschichte ein paar einfachen Regeln folgt und vielleicht auch noch ein paar nackte Körperteile zu sehen sind. JedeR SchauspielerIn ist in praktisch jeder Rolle denkbar – wenn es denn gut geschrieben und inszeniert wird.
Beispielexkurs: Ein „weiblicher Indiana Jones“ – das würde doch mit Sicherheit ebenso wenig klappen? Diese leicht abgehalfterte männliche Attraktivität, Indys Schnodderigkeit, und überhaupt der Beruf als Archäologe – das ist doch eine ganz klare Männerdomäne?
Und trotzdem gelang es schon vor längerer Zeit, eine Art weiblichen Indiana Jones zu etablieren. Ja, Lara Croft startete in Tomb Raider als verpixelte Fantasie der feuchten Träume pubertierender männlicher Gamer. Doch durch ein relativ zugängliches Spielprinzip, eine für die Zeit interessante Hintergrundgeschichte und viel viel Marketing gewann sie rasch Fans außerhalb dieses Zirkels. In ihren Hochzeiten war sie wahrscheinlich die PC-Spiel-Protagonistin mit der ausgefeiltesten Hintergrundgeschichte und Psyche, das Spiel wurde mehrmals verfilmt, und mit etwas mehr Glück und einem besseren Händchen hätte da leicht eine Filmreihe draus entstehen können, die das (machen wir uns nichts vor, ja auch nicht überragende) Niveau der Indy-Filme locker erreicht. Letztlich wollte man aber eben auch die Franchise melken, und warf viel Halbgares auf den Markt. Tomb Raider zeigte aber doch deutlich, dass eine kämpferische Archäologin einen Markt finden kann.
Der Unterschied freilich: Man hat dabei nicht Indiana Jones radikal neu gestaltet, sondern etwas Eigenes „im Stile von“ geschaffen. Ich denke, Lara Croft ALS Indiana Jones wäre deutlich schlechter angekommen, und hätte wahrscheinlich niemals Chancen gehabt, zu wachsen wie sie gewachsen ist. Es gibt übrigens auch im Bereich der Geheimagenten schon erfolgreiche weibliche Vorbilder. Jennifer Garner in Alias etwa, oder, wiederum ein Video-Spiel, Cate Archer in dem genialen No One Lives Forever.
Der Reiz und die Schwächen des Reeboots
Ich verstehe, woher das Bedürfnis kommt, eine bestehende Franchise umzudeuten. Auf den ersten Blick mag das wie der Königsweg der Verbreitung progressiven Gedankenguts aussehen. Man nimmt den Erfolg der Franchise mit, und wendet das Ganze selbstkritisch. Ist das nicht genial? Die Perspektive ist nachvollziehbar, doch meines Erachtens gerät daraus meist ein eher steifes, rasch abgenutztes und nicht sonderlich weitreichendes Manöver. Auch in der postkolonialen Literatur gibt es solche Verfahrensweisen, die allerdings von Anfang an deutlich klüger und subtiler durchgeführt wurden. Ein Meisterwerk etwa Abdulrazak Gurnahs Das verlorene Paradies, das im Großen und Ganzen die Handlung von Joseph Conrads Heart of Darkness spiegelt, und damit ein zentrales Werk der britischen Kolonialliteratur. Gurnah nun nennt allerdings weder sein Buch ebenfalls Heart of Darkness, noch borgt er sich, wie es später Apocalypse Now tun wird, fast 1:1 Namen und Szenen. Alles geschieht sehr viel subtiler, durch die Tiefenstruktur des Textes, so dass wir einen ganz eigenständig gelungenen Roman haben, der allerdings mehrere neue Bedeutungsebenen gewinnt, wenn man Heart of Darkness kennt. Noch weiter auf diesem Weg geht Arundhati Roys phänomenales Der Gott der kleinen Dinge.
Eine Neugestaltung von Bond mag sich aufdrängen, da die Reihe als später Ausläufer des britischen imperialismus sich vielleicht tatsächlich überlebt hat. Vielleicht passt sie von ihren Werten, Ideen, der dazugehörigen Bildsprache usw. tatsächlich so sehr nicht mehr in unserer Welt, dass sie sich auch nicht mehr vernünftig „übersetzen“ lässt. Aber wäre es dann nicht, zumindest von der künstlerischen Seite her, vernünftiger, den Stecker zu ziehen?
Der Reboot mit gleichem Titel und ganz neuen Figurentypen wird es immer schwer haben. Teils auch sicher, s.o., weil Fans sexistisch und rassistisch eingestellt sind, aber vor allem doch, weil Fans Gewohnheitstiere sind. Fandom, das ist doch tatsächlich oft nicht mehr als organisierte Gewohnheit. Das ist eine besondere, popkulturell akzeptierte Form des Kleingärtnervereins. Und gerade der Trend zur Serialisierung ist die kommerzielle Kultivierung des Bedürfnisses nach klarer Struktur in den Produkten des kulturellen Konsums. Da darf es kaum wundern, wenn die so herangezogenen Konsumschäfchen Schwierigkeiten mit Veränderungen haben.
Also einerseits: Lashana Lynch als Bond: Ich würde es mir wie gesagt angucken, und dem Unterfangen viel Erfolg wünschen. Man könnte das sowohl richtig gut aufziehen, als auch sich billig am alten Bond abarbeiten. Eines aber bleibt der selbstkritische Reboot am Ende in jedem Fall immer: Der Franchise verhaftet, aus der er kommt, und zumindest ökonomisch auch zum Dank verpflichtet. Als die in der Regel überzeugendere Art und Weise, sich kritisch einer mit Bedeutung aufgeladenen Franchise zu stellen, sehe ich den Weg, den Tomb Raider wohl eher aus Versehen ging (womit nicht die anfängliche Sexualisierungs-Revision der Figur gemeint ist, sondern die Möglichkeit, durch das Starten von etwas Neuem Freiheiten zu gewinnen), und den viele LiteratInnen in der Vergangenheit schon virtuos gegangen sind.
Warum nicht mal eine neue Literaturvorlage?
Da im vergangenen Nachrichtenzyklus Jahr bereits Idris Elba als Bond im Gespräch war – wie wäre es denn, für eine Buchvorlage überhaupt einmal einen genaueren Blick auf afrikanische Literaturmärkte zu wagen? Das hätte noch den Vorteil, dass eine im Westen weiterhin größtenteils ignorierte Literaturwelt bekannter und zumindest ein glücklicher Schriftsteller steinreich gemacht würden: Davide G. Maillu hat etwa mit Benji Kamba 009 über viele Jahre eine panafrikanisch ausgerichtete Agenten-Serie vorgelegt, die den Bondbezug schon im Titel trägt, und Stoff für zahlreiche Filme bieten würde. Der leicht vertrottelte Geheimagenten-Praktikant von Pepetela, Jaime Bunda, wäre wahrscheinlich als Vorlage für eine „coole“ Filmreihe nicht so wirklich geeignet, Verfilmungen haben die gut geschriebenen Bücher aber in jedem Fall verdient. Und das sind nur zwei Ideen, die mir gerade in den Kopf purzeln, wahrscheinlich gibt es unzählige weitere denkbare Vorlagen.
Allerdings möchte ich nicht unterschlagen, dass ein Bond-Reboot auch genau den Vorteil haben könnte, dass er das Publikum, das bleibt, und die Fans, die neue dazukommen, überhaupt erst auf neue Originalstoffe vorbereitet, oder auch selbst erfolgreich durchstarten könnte – es ist doch immer relativ schwer abzuschätzen, wie künstlerische Entwicklungen am Ende tatsächlich aufgenommen werden. Übrigens: Selbst in dem Fall, dass das Unterfangen floppen würde – das heißt nicht zwingend, dass das Ganze künstlerisch gescheitert wäre. Einige der heute am höchsten geschätzten Filme waren Flops an den Kinokassen.
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