Die AfD und Pandoras Taubenschach

Welches ist der richtige Umgang mit der AfD, wenn man sich selbst als Demokrat und Bürger eines Rechtsstaates sieht?


Bild von succo auf Pixabay
 

Es soll Leute geben, die sich „niemals“ mit der AfD identifizieren würden, aber dennoch sich für eine Normalisierung im Umgang mit ihr aussprechen. Sei es, dass man sie als „demokratische Partei wie die anderen“ betrachtet, sei es, dass man sie im politischen Spektrum darin einordnet, wo sie sich selbst einordnen will: Dem Konservatismus.

Philipp Mauch ist ein Politikberater, unmissverständlicher Demokrat und CSU-Mann und eine langjährige Facebookbekanntschaft von mir. Seine für mich am meisten herausstehenden Merkmale waren immer wieder seine betonte und informierte Selbsteinordnung als Konservativer, aber auch sein immerwährendes Ringen, die neu aufkommende Rechte in Deutschland ALS Demokrat und Politikexperte zu betrachten. So ist sein aktuelles Projekt davon geprägt und vor allem ist es davon motiviert gewesen: Er organisiert eine Podiumsdiskussionsreihe, die unter dem Motto „Clash of Conservatives“ firmiert. Bei den bislang zwei Terminen, deren Diskutanten fest standen, waren es einerseits eine Persönlichkeit mit wertkonservativem Profil und gut informiertem Hintergrund und andererseits ein Mitglied der AfD.

Ein Podium für die AfD?

Da ich nicht weiter darauf eingehen will, zu erörtern, was genau „Konservatismus“ bedeutet und ob die AfD diesem Kriterium entspricht – es ist schließlich die selbstgestellte Aufgabe des Formats – so möchte ich auf den für mich interessanteren Nebenschauplatz der Diskussionen hinführen: Darf man der AfD ein Podium bieten, zumal mit der offensichtlichen Adelung durch das Etikett „Konservatismus“?

Zuerst möchte ich Philipp Mauch in Schutz nehmen. Ungeachtet dessen, ob man bei diese Frage mit einem deutlichen „Nein“ beantwortet, so möchte ich grundsätzlich feststellen, dass der Veranstalter sich dieses Problems nicht nur immer schon bewusst war, sondern, dass er – wie man auf seinem Blog (variationenderalternativlosgikeit.wordpress.com) und seinen Facebook-Einträgen lesen kann – sich genau diese Frage immer wieder stellte. Sein unerschütterlicher Glaube an die selbstreinigenden Kräfte der Demokratie, aber auch das Bewusstsein um das Paradox, dass Demokratie sich selbst mit undemokratischen Mitteln retten kann, sind meine Interpretation, warum er sich für dieses Mittel entschied, die AfD zu stellen: Er lässt sie zu Wort kommen, nimmt sie erst einmal in ihrem Selbstverständnis als konservative Position ernst, und lässt sie im fairen Wettkampf auf der Bühne bestehen. Gegen jemanden, der allgemein wohl als Konservativer gesehen wird.

Das ist ehrenwert.

Der falsche Weg

Doch ich meine, es ist der falsche Weg. Philipp Mauch setzt auf die Eigenkraft des Arguments und die Rationalität der Akteure und ihrer Beobachter des Wettstreits. Das ist aber sehr dünnes Eis, denn das, wofür die AfD kritisiert wird und wovor die meisten der Linksradikalität unverdächtigen Kritiker warnen, ist ja gerade nicht der Wille zu demokratischem und fairen politischen Umgang. Gerade Populisten und unredliche Propagandisten sind letztlich nur an Macht interessiert und jedes Mittel ist ihnen recht, einige Zeitgenossen, die sich im Gefolge befinden, fühlen sogar eine gewisse Freude am „Lass brennen!“.

Das Anliegen Philipp Mauchs kann nur dann funktionieren, wenn sich nur Protagonisten mit einem gemeinsamen Grundverständnis und -interesse an dem Disput (mithin bemüht, fair zu sein) beteiligen. Ansonsten spielt eine Seite Schach und die andere spielt Taubenschach (wer das nicht kennt: Googlen hilft).

So sind Warnungen und Befürchtungen um einen Dammbruch der Ent-Demokratisierung keineswegs die Angst vor reinen Gespenstern. Schließlich sehen wir eine solche Loslösung von sicher geglaubtem Konsens des zivilen Umgangs mit dem Bürger und dem Staat mit einem Blick nach Übersee, wo der Greatest Tweeter of all Times zeigt, wie weit man kommt, wenn man nur dreist und skrupellos genug agiert.

Die Frage bleibt trotzdem bestehen, ob diese Merkmale (Populismus, „Lass brennen!“) bei der AfD insgesamt und bei den Diskutanten des „Clash“ vorliegen. Sollte es so sein, dann hilft Offenheit und Ehrlichkeit ihnen gegenüber überhaupt nicht und genau das Befürchtete tritt ein. Der „Clash“ ist dann nur ein weiteres Einfallstor für Populismus und Diskreditierung lösungswilliger Politik. Und wenn diese Merkmale nicht vorliegen, dann ist diese Veranstaltung allenfalls eine nette Idee, die einige erreicht und sonst recht harmlos bleibt (Sorry, Philipp!).

Die Büchse der Pandora

Manche halten dagegen und wollen in einer solchen Veranstaltung nicht einmal die mögliche Gefahr sehen: Hey, wir wissen nicht, was in der Büchse der Pandora steckt, solang wir da nicht hineinsehen! Lasst uns sie doch mal aufmachen.

Es muss ja nicht gleich die mythische Büchse sein. Aber selbst die jüngere Geschichte kennt solche Situationen, so unerhört ist das gar nicht. Populisten haben sich immer wieder über ganze Staaten hergemacht und einige ins Unglück gestürzt.

Mao wollte nur etwas Schwung in die Sache bringen, den Alt-Kadern etwas den Marsch blasen, die dem ungestümen Mao mit Vernunft und Bedenken nicht viel entgegenhalten konnten, auch nicht der spätere Reparateur einiger seiner Fehler: Deng Xiaoping.

Wussten Sie, dass Rumänien zur Zeit des kommunistischen Putsches 1944, als die Sowjetunion einmarschierte, nicht einmal 1000 Mitglieder in der Rumänischen Kommunistischen Partei hatte? Sie waren Pragmatiker, sie nutzten jede Hilfe, und Ceausescu hatte später, ganze 12 Jahre nach Stalins Tod, dessen Verständnis von Politik übernommen und als „Conducator“ (Führer!) umsetzen wollen. Besonders interessant, dass er zuerst viel Anerkennung für eine gewisse Öffnung erhielt, auch im Westen. Wer hätte damals ahnen können, dass er dann als das Schreckgespenst für kommunistische Irrwege dienen wird. Oder doch? Opportunismus und Chuzpe – das kommt doch bekannt vor.

Und die Mutter aller warnenden Beispiele: Wer hat Hitler nach dem „Putsch“ 1923 in der Haft Papier und Bleistift gegeben? Wir wollten ja hören, was er zu sagen hat….

Das Kind auf der Schaukel

Die Lehren der Geschichte besagen: Erwarte nicht, dass die Fairness, die du auf dem politischen Machtfeld anderen zukommst, von allen auch erwidert wird. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und sie wird NICHT verletzt, wenn man jemandem kein Podium bietet. Aber gibt man dem Falschen ein Megaphon, dann gibt er es nicht mehr her und die freie Meinungsäußerung ist ein Recht, das mit Lautstärke sinnlos wird. Und jeder kennt das Kind auf dem Spielplatz, das – einmal in der Schlange beim Schaukeln drankommend – diese nicht mehr hergibt.

Deswegen ist es nicht falsch, misstrauisch zu sein, wem man die gleichen politischen Rechte gibt wie den anderen, Vertrauensvorschüsse können sich bitter rächen.

Ein Anfangsverdacht gegen die AfD in diesem Punkt liefert schon Björn Höcke, der sich offenbar von dem Neuen Rechten Götz Kubitschek im Hintergrund leiten lässt (wie es Zauberlehrling Bernd Lucke auch aufging).

Besonders eindrücklich erweist sich jedoch die neue Europawahl-Kampagne, die ich in der Nachbarschaft sehen kann.

Blonder Junge

„Ein Europa der Vaterländer“ mit einem blonden Junge darauf. Was für eine große Projektionswand für das Unterbewusstsein, Freud lässt grüßen. Wenn ich staatsmännisch auftreten wollte, hätte ich „Ein Europa der souveränen Staaten“ gewählt, nicht das merkwürdige „Vaterländer“. Der kleine Junge dazu – honi soit qui mal y pense.

Besonders auffällig – „Geht’s noch, Brüssel? Diesel retten“. Bei einer Europawahl wird gegen Europa gesprochen. Dabei wollen auch AfD-Kandidat mit diesem Plakat selbst zu „Brüssel“ werden, sie bitten darum, dahin gewählt zu werden. Dass man den Diesel retten will, wie vielleicht sonst die Bienen … Ich wusste nicht, dass Diesel (aus)sterben können.

Und so weiter. Das sind Trigger. Völlig losgelöst voneinander, ohne gemeinsames Konzept. Da fehlt der Wille, Politiklösungen und Vorstellungen zu entwickeln, die man auf Plakate nur noch zu kommunizieren braucht. Da werden nicht nur Wahlgeschenke versprochen, da wird sogar der eigenen Projektion überlassen, was man als Wähler als solches Geschenk erwartet. Das ist nicht mehr einfach nur das übliche Wahlkampfgerassel mit polemischer Zuspitzung, das sind schon um die Zukunft unbekümmerte reine Wahlmaschen. Somit genau die Tendenzen, die oben von mir als politopathologisch beschrieben wurden.

Habe ich jetzt eine Antwort auf die eingangs aufgeworfene Frage, wie der richtige Umgang mit der AfD ist? Noch nicht.

Aber ich habe eine eindeutige Antwort für mich gefunden, wie ich die AfD sehen werde: Nicht als Partner um die Zukunft, nicht als Zugpferd der Demokratie und aber vor allem nicht als eine Gruppe, der ich zutraue, das Beste für unser Land zu wollen und sich einen fairen Wettkampf liefern zu wollen. Und die Konsequenz ist letztlich: Keinen Fußbreit.

Chris Kaiser

Chris Kaisers digitales Leben begann 1994, da entdeckte sie im CIP-Pool der Uni Erlangen das Internet und ein Jahr später das Chatten im damaligen IRC, was ihr ein aufregendes Leben 'in and out' des Digitalen bescherte. Nachdem sie bedingt durch Studium, Kinder und andere analoge Kleinigkeiten das alles erstmal auf Eis legte, tauchte sie erst 2011 wieder auf, diesmal auf Facebook, vor allem, weil sie ihren eigenen ersten Roman „Die Jagd“ veröffentlichen wollte. Der Roman ist noch immer auf „bald erscheint er“. Ihre Spezialität ist die „Ästhetik des Widersprüchlichen“, um mit „ja, aber“ allzu feste Meinungen etwas ins Wanken geraten zu lassen.

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