Die Neue Rechte und was sie über die Welt sagt? Zu Jörg-Uwe Albigs „Zornfried“

„Zornfried“ von Jörg-Uwe Albig ist mehr als eine Satire auf die neue Rechte. Es ist eine Auseinandersetzung mit der Welt, die diese ermöglicht, wie auch eine Aktualisierung der Frage Thomas Manns nach der unheimlichen „Nachbarschaft von Ästhetizismus und Barbarei“.


Als Satire im Sinne großer Gesellschaftssatiren wie Heinrich Manns Der Untertan charakterisiert in einem lesenswerten Text ein Rezensent der ZEIT die kurze Novelle Zornfried von Jörg-Uwe Albig. Das muss in Zeiten, in denen mit Satire vor allem das bissige Sich-lustig-machen über den politischen Gegner gemeint ist, vielleicht konkretisiert werden. Ein wirkliches enges Ziel der Satire, wenn man den Roman als solche begreifen möchte, gibt es in Zornfried nicht. Weder sind es die Bewohner des lose auf Schnellroda gemodelten Rittergutes, noch sind es die Journalisten, die sich für eine gute Story mit denen gemein machen. Wenn überhaupt nimmt der Roman die Gesellschaft als Ganzes in den Blick, die solche Typen hervorbringt, doch das, ohne eine einzige Pointe im komödiantischen Sinne zu setzen. Vielleicht aber sollte man sich gar nicht zu sehr von dem Begriff Satire leiten lassen: Zornfried ist eine äußerst dicht geschriebene Novelle, die eine interessante Geschichte erzählt. Sie transzendiert auf jeder Seite deutlich den beschränkten Rahmen „engagierter“ Literatur.

Worum es geht:

Der Plot in Kürze: ein mittelalter Journalist, der zwar einerseits meint, den humanistischen Grundkonsens zu vertreten, aber andererseits seine Werte auch vor allem zu haben scheint, weil sie eben die seines Milieus sind, stößt auf einen martialisch-intellektualistischen Männerbund auf Burg Zornfried. Vor allem fasziniert ihn der enigmatische Dichter Storm Linné, dessen Gedichte ihn so sehr abstoßen wie anziehen. Gewiss, er macht sich über den Duktus lustig, doch er beginnt zu recherchieren, wird von dem Milieu aufgesogen, irgendwann dann drängt sich eine forschere Journalistin dazwischen, die sich aus der Perspektive des Protagonisten deutlich zu stark dem Milieu anbiedert.

Am ehesten tatsächlich offen lächerlich macht Zornfried diese Journalistin, die Plattitüden verbreitet wie „Erst einmal bin ich hier, um zuzuhören (…) Das nennt man Journalismus“, und komplementär den Dichter und die, die ihn für groß halten, schreibt der doch Verse wie:

„Wer liebt darf sich nicht scheun vor grausamkeit
Muss kalten blicks den heißen schnitt vollziehn
Muss lachend schweigen wenn das aug zerrinnt
Und staunend schaun wie heitre wunden blühn
Denn liebe ist nicht für den unterling
Der nach der weiber kosen schier vergeht
Sie frommt nur dem der bei sich bleiben kann
Und unter tausend toten noch besteht“

Nebenbei: Die in der Zeit geäußerte Überzeugung, dass die „dunkle, virtuos klimpernde Lyrik Stefan Georges“ in einer Weise persifliert werde, „dass es auch geübten Leserinnen schwerfallen dürfte, Original und Parodie zu unterscheiden“, kann ich als geübter Leser wirklich nicht bestätigen. Diese immergleich rumpelnden Verse voller völkischer Wendungen lassen sich leicht von den wechselnden, oft schwebenden Rhythmen Georges unterscheiden, die zudem, das ist ja genau, was George als Träger reaktionäre Ideologien so lange so effektiv gemacht hat, in den meisten Fällen auf ein all zu offenes Ausbuchstabieren des reaktionären Gedankengutes verzichten (Ausnahmen wie „mit den Frauen fremder Ordnung“ sind eben tatsächlich Ausnahmen). Ich werde die Texte demnächst aber mal verblindet an Bekannten testen.

Der Dichter ist mehr als eine Witzfigur

Aber der Dichter Linné ist im Romanganzen gerade keine durchweg lächerliche Figur, obschon er zwischenzeitlich lächerlich erscheint. Noch, als der Protagonist sich über den ganzen Spuk auf der Burg erhaben fühlt, schleichen sich Rudimente des zornfriedschen Duktus in sein Denken ein, sobald er sich versucht, einmal über die eigene beschränkte Sprache der verwalteten Welt zu erheben:

 Sie hatte mir Silvia geschenkt, die ich damals in ihrer traumhaften Unschlüssigkeit am Beckenrand im Nordparkbad gefunden hatte, eine verirrte Muschel, von einer Möwe im Flug verloren.

Eine verirrte Muschel. Das Kitsch-Bild für weibliche Sexualität schlechthin. So überheblich-elitär etwa denkt der Protagonist über seine Freundin. Und an der Sprache des Gegenbildes (denn das ist Linné letztlich dem Protagonisten, ein Gegenbild, das auch anzieht und fasziniert), gelingt ihm kaum eine bessere als eine Schullehrerkritik:

Auf den humanistischen Konsens pfeift er ebenso hochmütig wie auf Interpunktion oder zeitgemäße Rechtschreibung.

Der Dichter wird ihm so rasch Faszinosum, und auf der „Jagd“ nach dem zurückgezogen Lebenden scheint er beinah selbst zu dichten:

Ich beschloss, die Gelegenheit zu nutzen. Vorsichtig tappte ich über den Kopfstein des Burghofs ins Turmgebäude, stieg die Wendeltreppen hinauf. Die oberste Tür musste in die Werkstube führen, und tatsächlich glaubte ich, hinter ihr Geräusche zu hören, ein Husten, das Knarren eines Stehpults, womöglich das Kratzen einer Feder. Ich klopfte. Dann atmete ich durch und hörte nur noch Stille. Aber es war eine Stille, die zu wachsen schien. Sie fühlte sich prall an, ein Luftkissen, das sich ausdehnte, den Turm ausfüllte und sich anschickte, mich an die Wand zu pressen. Ich drückte die Klinke, aber die Tür war verschlossen. Und ich fühlte mich wie nach drei Minuten unter Wasser, als ich meinen Posten aufgab und endlich die Wendeltreppe wieder hinunterstieg

Überhaupt ist auffällig, wie treffsicher die Köpfe der Neuen Rechten (im Buch!) immer wieder auf Punkte vorstoßen, wo der Protagonist eine tatsächliche Leere zu spüren scheint. Er spürt nicht zu leugnende ästhetische Offenbarung im Saal des Willens:

Ich musste an meine Vierzimmerwohnung in Bockenheim denken. Mühsam hatte ich sie möblieren müssen, im Schweiß meines Angesichts. Ich hatte sie mit Rauttiainen-Stühlen und Ciccione-Lampen gefüllt, hatte ein Sofa von Vertongeren elegant dazwischenbalanciert. Doch in Wahrheit hatte die Möblierung die Wohnung nur kleiner gemacht. Hier sah ich eine Größe, die aus der Rohheit kam. Und inmitten dieser Rohheit stand ein glatter, ovaler Tisch, umringt von geradezu schmerzhaft nackten Stühlen.

Oder existenzielle, wenn er sich, einem plötzlichen Impuls folgend, im Wald verliert:

In waldes treu-erhabner welt, ging es mir durch den Kopf. Gebiert des neuen lebens kraft. Und mit einem Mal spürte ich das vage Bedürfnis, mit diesem Wald etwas zu klären, eine Rechnung zu begleichen, satisfaktionsfähig zu werden, ohne Satisfaktion zu bekommen. Mich packte das Gefühl, ich könnte in diesem Wald etwas erfahren, was mir die Burg verweigerte, und an einer Einbuchtung stoppte ich abrupt den Wagen.

Ich musste ein paar Meter die Straße hinabgehen, bevor ich eine Lücke zwischen den Stämmen fand. Dann ließ ich mich einfach vom Dickicht ansaugen. Ich pflügte durch Eichenlaub, Reste vom vergangenen Herbst, und plötzlich genoss ich das Wirbeln der Blätter. Als ich einmal so schwungvoll zutrat, dass das Laub in die Höhe flog und mir schließlich ins Gesicht regnete, löste ich das kühle, nassweiche Blatt, das noch auf meiner Wange klebte, mit großer Vorsicht ab, um es nicht zu verletzen. Ich überließ mich dem Zufall, folgte auf gut Glück für ein paar Schritte einem Reh, das plötzlich aus dem Dickicht brach und in schwebenden Bögen durchs Unterholz setzte. Ich fand Spuren im Schlamm und verfolgte sie, so weit ich konnte, und als ich an eine Fuchshöhle kam oder einen Dachsbau, machte ich kehrt und hoffte auf das nächste Zeichen, das nächste Signal.

Und immer wieder, zwischendurch, sucht der Protagonist die Lockungen Zornfrieds, die für ihn niemals solche der Politik sind, auf dem Rückweg ins Hotel durch Musik zu vertreiben, deren Titel kaum hoffen lassen, dass sie sich weit über das Niveau der lyrischen Ergüsse Linnés erheben.

Ästhetizismus und Barbarei

Nicht falsch verstehen: Die rechten Bewohner Zornfrieds kommen bei Licht betrachtet in dem gleichnamigen Roman nicht sonderlich gut weg. Es ist auch kein Text, der eine Äquidistanz zu rechtem Identitätsraunen und verwalteter Welt propagiert. Obwohl ich mir vorstellen könnte, dass ein Leser mit entsprechender politischer Ausrichtung sich durchaus positiv in dem Roman wieder finden könnte (eine Amazon-Rezension, die das unterstreicht, gibt es und der Roman nimmt etwas Ähnliches vorweg, als der Protagonist zu Anfang seiner Recherchen ein Video auf YouTube stellt und seinem kritischen Anspruch zum Trotz bei der einschlägigen Klientel vor allem Begeisterung für Zornfried weckt).

Zornfried ist ein starker Roman, dessen Stärken sich daraus speisen dürften, dass er auslotet, was Thomas Mann die unheimliche „Nachbarschaft von Ästhetizismus und Barbarei“ nannte. Wenn Zornfried eine Satire ist, dann vor allem eine darauf, welch plumpe Beschwörungen von Größe und Tiefe heute ausreichen, um die von ihrer eigenen Welt angeekelten Bildungsbürger zu erschüttern. Welch kindisches Gaukelspiel bereits ausreicht, um dieses ganz reale Bedürfnis nach „Mehr“ zu aktivieren, womit der Stoß Zornfrieds auch solche konservativen Autoren treffen dürfte wie Mosebach, Strauß oder Lewitscharow, die ihren Vorbildern Jünger, George & Co stilistisch derart hinterherhinken, dass es für einen unbeteiligten Beobachter geradezu lustig sein könnte. Leider gibt es im gesellschaftlichen Rechtsruck keine unbeteiligten Beobachter und wenig zu lachen.

Als Angriff auf die Neue Rechte würde Zornfried auch deshalb nicht funktionieren, weil es sich deren tatsächlich irrelevantestes Phänomen herausgreift, Waldgang-Geraune und Dichterverehrung verblassen neben den Netzwerken der Facebook-Trolle und Meme-Fabriken, und selbst Kubitscheks Erfolge lagen ja eher darin, dass er den Rechten einen kulturkämpferisch-rebellischen, hip wirkenden Überbau gezaubert hat – mit einem Dichter wie Linné als Galionsfigur wäre Schnellroda wohl längst schon wieder in der Versenkung verschwunden.

Zornfried stellt vielleicht auch, zaghaft, die Frage, ob es nicht anderweitig möglich sei, an dieses ultramoderne Gefühl der Leere zu rühren, Ästhetizismus und Barbarei also womöglich produktiv zu entkoppeln. Die letzten Seiten, als der Protagonist der Burg den Rücken kehrt und dennoch sprachlich auf seine Umgebung in erhöhter Sensibilität reagieren kann, könnten der Versuch einer Antwort sein. Doch daran wäre weiter zu knabbern, es ist die durchaus zentrale Frage moderner Dichtung, die sich nicht zwischen den beiden heutigen Polen der Kunst, Epigonalität und Effekthascherei, entscheiden möchte.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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