Weil auch im Selbstverlag Großartiges erscheint
„Alendia“ von Manuel Schmitt ist ein starker Auftakt zu einer längeren Erzählung in Kurzgeschichten, bei der alles davon abhängen wird, ob der Autor einen guten Plan für die letztendliche Geschlossenheit des Werkes hat.
Im Vorwort zu Alendia kritisiert Autor Manuel Schmitt, dass Verlage bei Kurzgeschichten meist müde abwinken. Das gilt nicht nur für Kurzgeschichten, besonders im Bereich der Fantastik. Vor gut einem Jahr lobte etwa ein größerer Verlag mein eingesandtes Manuskript über den grünen Klee, nur um dann um einen Ausbau von etwa 100 auf mindestens 300 Seiten zu bitten. Ähnliche Erfahrung bei einem anderen Verlag wenig später. Das ist, als erwarte man gegen alle innere Struktur, von einem Komponisten, sein kammermusikalisches Quartett auf Wagner-Oper-Volumen aufzublähen.
Leute die keine Zeit haben, wollen dicke Wälzer lesen?
Ich erwähne das hier nicht, um eigenes Leid auszubreiten, es gibt weiß Gott Schlimmeres. Sondern um zu zeigen, dass Schmitt nicht alleine steht oder als „schlechter Verlierer“ „jammert“, bei dem es halt qualitativ für große Verlage nicht gereicht hat (man kennt diese Vorwürfe). Denn Alendia ist richtig gut. In der Idee, im Stil, in der Komposition. Auf jeden Fall besser als viele Schinken, die auf den Fantastik-Markt geworfen werden. Und man findet in dieser Selbstpublikation auch nicht mehr Tippfehler und andere Flüchtigkeiten, als man sie bei renommierten Verlagen heute entdeckt.
Übrigens: Das angeblich vom Markt diktierte Vorurteil gegen die dichten und kurzen Formen existiert natürlich nicht nur in der Fantasy. Auch die renommiertesten Verlage für sogenannte ernsthafte Literatur erlauben eigentlich nur bereits sehr etablierten Autoren und einigen wenigen Nachwuchspreisträgern einmal, ein Werk unter oder knapp über 100 Seiten zu publizieren. Schade: Steigt doch das Risiko kompositorischer Fehlgriffe oder einfach seitenfüllender Geschwätzigkeit mit der Werklänge überproportional. Eigentlich verrückt, dass der heilige Markt, also Menschen, die doch ständig darüber klagen, immer weniger Zeit zu haben, fast unisono den Wälzer dem kurzen, pointierten Werk vorziehen sollte. Verlage tun allerdings alles, diese These nicht all zu sehr auf Herz und Nieren zu prüfen.
Literaturkritik geht nicht ohne Literaturmarktkritik
Ich weiß: Sie möchten eigentlich mehr über das Buch wissen. Wen interessieren schon die ausufernden Schriftstellerklagen über den Literaturmarkt? Literaturkritik muss heute allerdings immer auch in Teilen Marktkritik sein: Denn es ist dieser Markt, der im Großen und Ganzen bestimmt, die Existenz welcher Formen von Literatur wir überhaupt noch wahrnehmen. Die Marktbedingungen schreiben sich ebenso tief in die Form der Kunst ein wie der christliche Glaube einst etwa in die Gregorianik.
Ja: Es gibt den Selbstverlag und von Goethe bis George sind einige der größten Werke in solchen erschienen. Aber: Auch der wird von gelernten Erwartungen affiziert und die schiere Masse der Publikationen macht es fast unmöglich, dort die Perlen heraus zu fischen.
Warum Alendia gut ist:
Alendia ist wie gesagt eine solche. Der Band erzählt in zehn sogenannten „Legenden“ vom „Jahr nach dem Fall des dritten Mondes“. Aus den Bruchstücken des gefallenen Mondes scheinen die „Manon Nebul“ zu dringen, Energieströme, mittels derer manche Begabte, die zunehmend verfolgt werden, die Welt magisch beeinflussen können. Die zehn „Legenden“ erweisen sich mit der Zeit als durch gemeinsame Ereignisse in der Welt sowie teils wieder auftauchende Charaktere verbunden, von denen einige sich gegen Ende des Buches zu einer Gruppe zusammenfinden, die man vielleicht als die hauptsächlichen Protagonisten bezeichnen könnte. Ich habe die Segnungen des Erzählens in Kurzgeschichten bereits an anderer Stelle gelobt und auch kein Geheimnis daraus gemacht, dass das die bevorzugte Erählweise ist, die in meinen eigenen Großtexten zum Einsatz kommt. Ich verweise hier nur auf entsprechende Artikel (3 Links). Alendia macht vieles richtig, das Werke anderer Autorinnen und Autoren in solchen Fällen falsch machen.
Erstens: Die meisten der einzelnen Geschichten haben tatsächlich eine gelungene eigenständige Existenz. Man kann sie, im Gegensatz etwa zu einem Großteil der Fragmente in Sorokins Telluria, für sich lesen, und bekommt jeweils ein Werk, das sorgsam aufs Ende hin aufgebaut ist.
Zweitens: Es wird nicht einfach Erzählung auf Erzählung gehäuft und eine Welt ins Unendliche erstreckt, deren innerer Zusammenhang über die Geschichten hinweg fraglich bleibt. Was in frühen Geschichten angeteasert wird, wird aufgegriffen oder aus anderer Perspektiven noch einmal berührt, das zentrale Ereignis, der Fall des Mondes und dessen magische Auswirkungen, ist in allen Geschichten präsent (auch das im Gegensatz zB zum gefeierten Telluria).
Hinzu kommt die beeindruckende Plastizität der Welt, die zeigt, warum das Erzählen in verbundenen Geschichten nicht einfach eine Notlösung oder ein Weg unter vielen ist, sondern vielleicht einer der wenigen Königswege zu einem sowohl zugänglichen als auch anspruchsvollen Werk, das auch leichter fähig ist größere Ausdehnungen zu tragen als der klassische 500 Seitenwälzer von A nach B. Alendia wird von zahlreichen Ecken aus aufgebaut: Oft stehen einfache Menschen im Mittelpunkt, das alltägliche Leben wird zumindest immer wieder berührt, die Welt wird so direkt aus der Erzählung erfahrbar, und dabei auf weniger Raum viel kleinteiliger und glaubwürdiger als in einem Pseudo-epischen Roman voller reiseführerartiger Passagen.
Kleinere Meckereien:
Von den Erzählungen der zweiten Hälfte fallen einige doch ein wenig ab. Das beginnt mit der Einführung der Zwerge als geradezu klassische Fantasy-Wesen in eine Welt, die bis dahin auf die typischen „Rassen“ des Fantasy verzichtet hat. Die Zwergenobsession mit Wollsocken bringt zudem einen an Pratchett erinnernden humoresken Misston in das Gesamtwerk, gestützt noch dadurch, dass plötzlich relative modern wirkende Bezeichnungen, wie etwa die „Hauptstraße 173“, vorkommen. Überhaupt ist die Welt von Alendia eigentlich zu liebevoll-selbstgenügsam aufgebaut, um Platz für Fantasy-Baukasten-“Rassen“ zu bieten, egal wie sehr die Erwartungen an diese in Zukunft auch gebrochen werden mögen. Während etwa in der frühen Erzählung „Gipfelstürmer“ die Druht gekonnt als Geheimnis aufgebaut werden und als solches über der ganzen Geschichte schweben, heißt es in „Rankenspiel“ nur noch lapidar „denn Linya wahr eine Nymphe“. Hier wäre es wünschenswert gewesen, statt einer rasch aus der griechischen Mythologie entlehnten Bezeichnung doch einfach wiederum das Verhalten der Protagonistin für sich selbst sprechen zu lassen. Es gibt, besonders in der zweiten Hälfte von Alendia, einige Passagen mit ähnlichen Problemen.
Offenheit als Chance und Gefahr
Obwohl das Gute bei Weitem überwiegt, fällt es schwer, Alendia abschließend zu bewerten: Aus dem einfachen Grund, dass es sich ganz offenkundig um den Auftakt zu einer Serie handelt, der mehr schlecht als recht einen Binnenabschluss spendiert bekommen hat. Das finanzielle Wohl und das narrative Weh der Serie ist ihre prinzipielle Unabgeschlossenheit. Das Erzählen ohne endgültiges Ziel oder zumindest mit der Bereitschaft, auf dem Weg dorthin so lange weiter zu plappern, bis die Zuschauer bzw. Leser keine Lust mehr haben lässt auch die Episodische Struktur schnell ermüden, und verschiebt das Werk all zu rasch in die Sphären der Seifenoper (GOT ist das bekannteste Beispiel und tatsächlich kaum noch eine Serie, sondern ein willkürlich unterbrochener Endlosfilm. Alendia dagegen lebt bisher von seiner pointiert-geschlossenen Episodenstruktur). Auch weist Alendia bisher keine einzige der zweifelhaften Qualitäten auf, die Serienfans über solch lange Zeit dennoch dranbleiben lassen: Weder protzt Alendia mit erzwungenen Cliffhängern, noch biedern Fragen wie „wer stirbt als nächstes“ und „wer geht mit wem ins Bett“ sich billigem Sensationalismus an. Die Serie, selbst die beste, lebt nach einiger Zeit vor allem davon, dass die Zuschauer, die viel Zeit investiert haben, wissen möchten, wie es mit den geliebten Helden weiter und schließlich ausgeht. Alendia dagegen besitzt genug innere Schönheit und innere Spannung, dass diese auf den Schluss gerichtete Spannung nur ein Aspekt von vielen ist.
Ich hoffe, Autor Schmitt hat einen Plan, wie er das Gesamtwerk in einem absehbaren Zeitraum zu einem gelungenen Schluss bringen kann. Denn paradoxerweise ist es in der Kunst gerade das Wissen um des Ziel des Werkes, das den Weg dorthin zu mehr werden lässt als eine Etappe; wiederum zu einem Ziel für sich. Dann könnte Alendia tatsächlich ein Geheimtipp werden für Leser, die wenig Kompromisse machen wollen: Spannend erzählt, klug komponiert, stilistisch über weite Strecken gelungen. Bis dahin ist „Legenden aus dem ersten Jahr nach dem Fall des dritten Mondes“ auf jeden Fall bereits eine lohnende Lektüre für Leser, die gut erzählte fantastische Literatur schätzen, die abseits ausgetretener Pfade wandelt.
Auf www.alendia.com existiert eine Webpresenz, auf der verschiedene AutorInnen an der Welt arbeiten. Das erste Jahr entstand zuerst als Hörproduktion in 10 Folgen.
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