Wörterbuch der Phänomene: Erkennen
Erkennen hat etwas mit dem Sehen zu tun, wenn man etwa im Dunkeln eine Gestalt erkennt. Aber eine Erkenntnis hat man oft nicht nur von dem was man sieht. Es ist eine Einsicht.
Goethes Faust wollte „erkennen, was die Welt im Innersten zusammenhält“. Was er damit erkennt, sind seine Erkenntnisse. Als Erkenntnis bezeichnen wir zutreffende und begründete Überzeugungen hinsichtlich der Welt. Heute gewinnt die Wissenschaft Erkenntnisse, aber auch ich kann ganz im Privaten „Erkenntnisse“ haben, etwa über die Funktionsweise der App meines Tablet-Computers. Als „Erkennen“ bezeichnen wir in diesem Zusammenhang also den Prozess der Formulierung von Vermutungen, die wir sodann durch systematisches Ausprobieren und gedankliches Kombinieren in gesicherte Überzeugungen verwandeln, die wir anderen erklären und rechtfertigen können.
Aber Erkennen ist eigentlich ein Wort, das mit dem Sehen der Welt zusammenhängt: Ich erkenne im Nebel etwa einen Schatten, und im Näherkommen erkenne ich eine Gestalt, die sich am Ende als eine Frau herausstellt, die ich kenne. Ich habe sie erkannt. Wir erkennen im Alltag ständig Personen oder Gegenstände, manchmal erkennen wir sie wieder, manchmal sind sie nicht wiederzuerkennen.
Erkennen bedeutet dann immer ein Deuten dessen, was wir – mehr oder weniger deutlich – sehen können. Deuten heißt, dass wir das, was wir da sehen, auf einen Begriff bringen, den wir schon haben oder den wir uns beim Erkennen erst bilden. Das kann eine Sammelbezeichnung sein – Ich erkenne die Gestalt als Frau – oder ein Name – ich erkenne in der Frau Lisa Müller.
Immer ist Erkennen aber eine Interpretation dessen, was ich sehe, im Rahmen meiner Begriffe und Erklärungsmöglichkeiten. Deshalb ist Erkennen, auch wenn es begründet wird, immer fehlbar. Zudem setzt jedes Erkennen ein ganz bestimmtes Weltverständnis voraus: Die Welt muss aus Einzeldingen bestehen, die in Sammelbegriffen oder Namen geordnet werden können. So deuten wir die Wirklichkeit. In einer Welt, die nur aus Nuancen und Übergängen bestünde, gäbe es keine Erkenntnis, wie wir sie – kennen.
Jörg Phil Friedrich verdient seinen Lebensunterhalt mit der Entwicklung teurer Individualsoftware und schreibt philosophische Bücher und Artikel.
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