Von der Problematik für „Haltung“ verliehener Literaturpreise
Die Zitatfälschungen Menasses sind mehr als eine persönliche Verfehlung. Auch dieser Autor fügt sich in ein System aus Klickbait, Pointengeilheit und in diesem Fall: Eines Literaturbetriebs, der auch in der ästhetischen Bewertung Haltung über alles setzt.
Nein, es schockt mich nicht wirklich, dass der Herr Menasse Zitate gefälscht hat. Einerseits, weil, wie mittlerweile auch noch die verstockteste Redaktion zugeben musste, gerade die auflagenstärksten landesweiten Medien selbst eine „Kultur des Geschichtenerzählens“ gefördert haben, die Blender geradezu begünstig. Und ein EU-Mitbegründer, der die Abschaffung aller Nationen wollte, das ist eine gute, pointierte, Geschichte.
Dann, was noch immer viel zu wenig thematisiert wird, weil, sobald ein Artikel nur ein wenig in die Sphären der „Meinung“ hineinspielt, es mit der Wahrheit so genau sowieso nicht mehr genommen wird. Es scheint absolut unehrenrührig, über Makroökonomie zu schreiben, ohne nur die geringste Vorstellung von Saldenmechanik (oder auch nur deren Existenz) zu haben. Oder über den Nahostkonflikt ohne Geschichtskenntnisse. In anderen, unpolitischeren Bereichen (Astronomie, Sport) sieht es allerdings auch nicht viel besser aus.
Das Spektakel im Kunstbetrieb
Und zuletzt, weil ein auf Spektakel getrimmter Kunstbetrieb, samt den ihn begleitenden Feuilletons, Schriftsteller zu solchen Stunts wie dem Menasses geradezu animiert hat. Authentizität bzw. Wirklichkeitsbezug war gut, Haltung zeigen noch besser. Der heißeste Scheiß allerdings war das „Spiel mit der Realität“. Wie wurde Juli Zehs Marketingkampagne zu Unterleuten, inklusive für real behauptetem Vogelschutzbund, Windenergiefirma, Gasthaus und fingierter Ratgeberliteratur gelobt. Vor wenigen Jahren noch hätten viele derer, die Menasse jetzt kritisieren, ihm wahrscheinlich applaudiert: „Ein geschicktes postmodernes Spiel mit doppeltem Boden, das gleichzeitig Pressekritik ist“ (Ja, dieses Zitat habe ich erfunden, um eine allgemeine Tendenz aufzuspießen). Die Öffentlichkeit, die sich von Menasse betrogen wähnt, hat den Betrüger wenigstens mitgezüchtet (für die rasch wütenden unter den Lesern: Das entbindet Menasse natürlich nicht von der Verantwortung. Eine lesenswerte literaturwissenschaftliche Auseinandersetzung mit Menasses Schutzbehauptungen findet sich auf 54 Books – denn n a t ü r l i c h dürfen auch Schriftsteller in nicht-fiktionalen Texten nicht erfinden!).
Nun soll die Verleihung der Zuckmayr-Medaille an den Autor nochmal überdacht werden (von mir aus. Wenn ein nach einem Literaten bezeichneter Preis für politische Haltung verliehen wird, kann man ihn auch für Fehlverhalten aberkennen). Doch damit stoßen wir auf ein weiteres tiefgreifendes Problem im Literatur- bzw. Kunstbetrieb. Denn wie ich schon im vergangenen Jahr monierte, wurde auch Menasses Die Hauptstadt wahrscheinlich nicht zuvorderst für die literarische Qualität des Werkes ausgezeichnet, sondern als tätige Intervention mittels Literatur in die Politik. Als „richtiges“ Buch zur richtigen Zeit. Die Hauptstadt wirkte von Anfang an wie eine Auftragsarbeit zur Eurokrise. Ja, Handwerklich sauber, aber ohne sprachlich oder strukturell herausragende Merkmale. Modernismus mit Handbremse für den gehobenen Massenmarkt. Eine Reihe Lebensgeschichten und teils sogar ganz pfiffiger, mit verteilten Rollen gelesener, Essays. Nur wären die vielleicht in einem Essayband besser aufgehoben gewesen. Die Hauptstadt war und ist ein Roman ohne Dringlichkeit und ohne gelungene Verbindung der einzelnen Elemente.
Gutes Buch bleibt gut, schlechtes schlecht
Das war nie preiswürdig, wird durch die neueren Enthüllungen aber auch nicht schlechter. Truman Capotes In Cold Blood bliebe ja auch ein gutes Buch, hätte Capote die zentralen Morde erfunden. Die Hauptstadt war ein Buch zu einem Thema, das entweder die Leute lesen wollten (dann hätte es immerhin viele unterhalten) oder schlimmer: Das die Buchpreis-Jury(s) lesen wollten. Der Zitat-Skandal Robert Menasses ist die eine Sache. Die andere Sache ist die Art und Weise, wie Schriftsteller und Journalisten besonders schnell dadurch erfolgreich werden können, dass sie ein großes Spektakel veranstalten oder mit ihrer ganzen Person „für eine Sache“ stehen. Menasse ist da noch die Ausnahme, da er (zurecht!) zuvor als Schriftsteller schon lange geschätzt wurde. Aber der beste Weg in den Betrieb für Autoren heute scheint regelmäßig der Skandal oder der Kampf für ein Thema.1 Und wenn man Menasse unbedingt etwas zugute halten möchte: Er hat wenigstens keinen Unsinn erzählt, um berühmt zu werden… Wenn man es negativer wenden möchte: Er ist wohl „Überzeugungstäter“.
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1Ich selbst wurde zum Beispiel einmal von einem großen Fernsehsender angerufen, in der Hoffnung, ich würde mich in der Debatte um die Einordnung von Computerspielen als Kunstwerke, was zur Folge hat, dass diese nun etwa verfassungsfeindliche Symbole in der gleichen Art und Weise zeigen dürfen, wie Filme, abfällig über Spiele oder zumindest dezidiert negativ äußern. Doch auch wenn ich in der Vergangenheit darüber geschrieben habe, dass der Kunstbegriff mit dem des Spiels (im Sinne von Wettkampf) sich immer beißen wird, heißt das nicht, dass ich nicht den kulturellen Wert von Spielen schätze. Da suchte man beim Sender dann lieber eine radikalere Opposition; und ich habe die Chance, vor einem Millionenpublikum zu provozieren, fahren gelassen. Wer heute ein erfolgreicher Schriftsteller sein möchte, ergriffe solche Chancen besser.
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