von Storch kauft sich frei?
Beatrix von Storch hat’s geschafft. Gegen Zahlung einer Geldauflage von 5000.–€ stellte die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen sie ein, welches wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gegen sie eingeleitet worden war. Das Verfahren ist damit beendet.
Die meisten Kommentatoren – mit Ausnahme der AfD-Sympathisanten in den sozialen Netzwerken – sind empört. Geld regiert die Welt. Eine Reiche kauft sich für einen Storchenschiss frei, während die kleine Frau ja bereits angeblich für die kleinste Kleinigkeit in den Knast geht. Ja, so kommt das ja auch bei solchen Einstellungen in der Öffentlichkeit oft rüber. Und die Grundlage solcher Einstellungen, der § 153a StPO ist auch nicht unproblematisch.
§ 153a
Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen
(1) 1Mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts und des Beschuldigten kann die Staatsanwaltschaft bei einem Vergehen vorläufig von der Erhebung der öffentlichen Klage absehen und zugleich dem Beschuldigten Auflagen und Weisungen erteilen, wenn diese geeignet sind, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen, und die Schwere der Schuld nicht entgegensteht. 2Als Auflagen oder Weisungen kommen insbesondere in Betracht,
1. zur Wiedergutmachung des durch die Tat verursachten Schadens eine bestimmte Leistung zu erbringen,
2. einen Geldbetrag zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse zu zahlen,
3. sonst gemeinnützige Leistungen zu erbringen,
4. Unterhaltspflichten in einer bestimmten Höhe nachzukommen,
5. sich ernsthaft zu bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich) und dabei seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gut zu machen oder deren Wiedergutmachung zu erstreben,
6. an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen oder
7. an einem Aufbauseminar nach § 2b Absatz 2 Satz 2 oder an einem Fahreignungsseminar nach § 4a des Straßenverkehrsgesetzes teilzunehmen.
3Zur Erfüllung der Auflagen und Weisungen setzt die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten eine Frist, die in den Fällen des Satzes 2 Nummer 1 bis 3, 5 und 7 höchstens sechs Monate, in den Fällen des Satzes 2 Nummer 4 und 6 höchstens ein Jahr beträgt. 4Die Staatsanwaltschaft kann Auflagen und Weisungen nachträglich aufheben und die Frist einmal für die Dauer von drei Monaten verlängern; mit Zustimmung des Beschuldigten kann sie auch Auflagen und Weisungen nachträglich auferlegen und ändern. 5Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen, so kann die Tat nicht mehr als Vergehen verfolgt werden. 6Erfüllt der Beschuldigte die Auflagen und Weisungen nicht, so werden Leistungen, die er zu ihrer Erfüllung erbracht hat, nicht erstattet. 7§ 153 Abs. 1 Satz 2 gilt in den Fällen des Satzes 2 Nummer 1 bis 6 entsprechend. 8§ 246a Absatz 2 gilt entsprechend.
(2) 1Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren vorläufig einstellen und zugleich dem Angeschuldigten die in Absatz 1 Satz 1 und 2 bezeichneten Auflagen und Weisungen erteilen. 2Absatz 1 Satz 3 bis 6 und 8 gilt entsprechend. 3Die Entscheidung nach Satz 1 ergeht durch Beschluß. 4Der Beschluß ist nicht anfechtbar. 5Satz 4 gilt auch für eine Feststellung, daß gemäß Satz 1 erteilte Auflagen und Weisungen erfüllt worden sind.
(3) Während des Laufes der für die Erfüllung der Auflagen und Weisungen gesetzten Frist ruht die Verjährung.
(4) 1§ 155b findet im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nummer 6, auch in Verbindung mit Absatz 2, entsprechende Anwendung mit der Maßgabe, dass personenbezogene Daten aus dem Strafverfahren, die nicht den Beschuldigten betreffen, an die mit der Durchführung des sozialen Trainingskurses befasste Stelle nur übermittelt werden dürfen, soweit die betroffenen Personen in die Übermittlung eingewilligt haben. 2Satz 1 gilt entsprechend, wenn nach sonstigen strafrechtlichen Vorschriften die Weisung erteilt wird, an einem sozialen Trainingskurs teilzunehmen.
Bereits im Verfahren gegen Bundespräsident Wulff war über ein Einstellungsangebot der Staatsanwaltschaft diskutiert worden. Wulff lehnt ab – und wurde freigesprochen. Ich selbst hatte vor ein paar Monaten so ein Verfahren, wo der Mandant in der Hauptverhandlung das Angebot, das ein Verfahren gegen eine Geldauflage von 200.–€ an ein Kinderhospiz einzustellen ablehnte und dann ebenfalls freigesprochen wurde. Vor unserer Beratung auf dem Flur meinte der Richter noch, „überlegen Sie sich das gut, das Angebot gibt es nur einmal.“ Ich war keineswegs sicher, dass ein Freispruch notwendigerweise folgen würde, weil wir noch nicht alle Zeugen gehört hatten und war angesichts des geringen Betrages geneigt, auf das Angebot einzugehen. Okay, hat geklappt, hätte aber nicht zwingend klappen müssen.
Und genau da liegt das Problem des § 153a StPO. Es ist eine Vorschrift, die einen sudden death des Prozesses gegen eine mehr oder weniger hohe Auflage bietet und den Beschuldigten in eine Zwickmühle bringt.
Die Idee
Würde jeder Pipifax bis ins Kleinste durchermittelt und dann nur noch entschieden, ob angeklagt oder mangels Tatverdacht eingestellt würde, oder müsste tatsächlich in der Hauptverhandlung jedes Beweismittel für oder gegen den Angeklagten ausgeschöpft werden, auch wenn der Tatvorwurf nicht so dolle ist, dann wäre das der Untergang der Strafjustiz. Aufgrund permanenter personeller Unterbesetzung von Staatsanwaltschaften und Gerichten wäre es gar nicht möglich, jedem angezeigten Vorwurf mit der geballten Staatsgewalt – Politiker sprechen gerne von der vollen Härte der Justiz – nachzugehen und innerhalb der Verjährungsfrist zu bearbeiten. Ganz ausgeschlossen. Um nun nicht allzu großzügig den Kleinkram dadurch wegzufegen, dass man ihn völlig sanktionslos lässt und einstellt oder verjähren lässt, hat der Gesetzgeber in seiner großen Weisheit im Jahre 1974 den § 153a StPO ersonnen. Vorher gab es den nicht. Auch, aber nicht nur infolge der chronischen Unterbesetzung der Justiz wird seither ein ganz großer Teil der Ermittlungsverfahren nicht durch ein Urteil, sondern durch genau eine solche Einstellung erledigt. Es geht auch darum Beschuldigte, deren möglicher Schuldanteil im unteren Bereich liegt, nicht ohne Not durch eine Verurteilung zu kriminalisieren. Das gilt für die meisten Unfallfluchten nach Parkplatzunfällen genauso wie für viele fahrlässige Körperverletzungen im Straßenverkehr und viele andere Tatbestände im kleinkriminellen Bereich. Gäbe es diese Einstellungsmöglichkeiten grundsätzlich nicht, würde die Justiz vollends zusammenbrechen.
Als die Vorschrift erfunden wurde und bis 1993 diente das alles ausschließlich einer Entkriminalisierung von Kleinsttätern, also des sprichwörtlichen Eierdiebs. Aber dann kam es – ich vermute mal, weil eine Gesetzesänderung halt wesentlich billiger ist, als die Einstellung von erforderlichen Staatsanwälten und Richtern und dem dazugehörigen Geschäftsstellenpersonal – zur bedenklichen Erweiterung des § 153a StPO auch auf Fälle mittlerer Kriminalität. Lediglich Verbrechen sind von der Einstellung ausgeschlossen.
Und da liegt jetzt das eigentliche Problem. Wenn der Volksmund meint, vor Gericht und auf hoher See sei man in Gottes Hand, dann meint das eben nicht, dass man dort besonders sicher sei, sondern vielmehr, dass man nie genau wissen kann, wie so Verfahren endet. Der Angeklagte mag noch so unschuldig sein, wie er will, mit ein paar falschen Zeugenaussagen oder einer falschen Beweiswürdigung kann man auch als Unschuldiger in der Kiste landen. Kommt immer mal wieder vor. Fehlurteile lassen sich nie ausschließen.
Wenn man dann als Beschuldigter die Chance erhält, sich mit einer erträglichen Auflage aus dieser Ungewissheit zu befreien, dann geht man unter Umständen auch auf so ein Angebot ein, wenn man gar nichts verbrochen hat. Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Bei 200€ für ein Kinderhospiz tröstet man sich vielleicht damit, noch etwas Gutes getan und seine Ruhe zu haben.
Dass ein Unschuldiger, wie damals Bernie Ecclestone, mal so eben 100 000 000.-€ auf den Tisch des Herrn legt , mag dem ein oder anderen vielleicht unwahrscheinlich vorkommen. Wenn derjenige aber nicht mehr der Jüngste und milliardenschwer ist, dann kann es durchaus sein, dass er sich damit lieber eine Einstellung des Verfahrens sichert, weil er in der Zeit, die so ein Verfahren dauert womöglich noch mehr Geld verlieren würde.
Fott is fott
Auch eine Bundespolitikerin wie von Storch tut unter Umständen gut daran, eine auch nur theoretische Möglichkeit einer Verurteilung flugs zu beenden, wenn sich dazu die Chance bietet. Watt fott is, is fott.
Die Frage ist allerdings, ob es einem Rechtsstaat wirklich gut zu Gesicht steht, bei Fällen, die nicht nur Bagatelldelikte betreffen, eine solche Möglichkeit bereit zu halten. Denn hier wird ja ganz bewusst darauf verzichtet, Schuld oder Unschuld festzustellen. Bei Kleinkram ist das ja auch okay. Ob jemand für einen Ladendiebstahl 10 Tagessätze á 10 €, also 100€ Geldstrafe bezahlt oder 120€ für einen guten Zweck und damit einer Hauptverhandlung entgeht, belastet das öffentliche Interesse wirklich nicht besonders. Und den Betroffenen auch nicht.
Allerdings liegt die höchste denkbare Geldstrafe nicht bei 100.000.000.- €, sondern „lediglich“ bei 10.800.000 €, also etwas mehr als einem Zehntel der von Ecclestone gezahlten Summe. Im Falle einer Verurteilung hätte er aber mit einer ganz erheblichen Freiheitsstrafe zu rechnen gehabt. Hier ging es also um alles andere als ein Bagatelle. Wenn es um solche Vorwürfe geht, dann sollte eine Einstellung nach § 153a StPO nicht möglich sein. 100 000 000.–€ als Auflage erscheinen schon leicht pervers.
Das Strafverfahren folgt in der Regel dem Legalitätsprinzip, d.h. die Staatsanwaltschaft ist grundsätzlich verpflichtet, Straftaten zu verfolgen, sobald ein Anfangsverdacht vorliegt. Ganz unabhängig von der Person des Angeklagten, dessen gesellschaftlicher Stellung oder seines Reichtums. Das ist schon verfassungsrechtlich durch den Gleichheitsgrundsatz nach Art.3 Abs. 1 GG bestimmt. Dass man das aus Gründen der Prozessökonomie bei Pipifax und Kleinkram durchbricht, ist völlig okay, auch wenn sich da eben mancher unschuldige Angeklagte unter Druck gesetzt fühlt, einer Einstellung zuzustimmen. Den Satz eines Staatsanwalts, „ wenn Sie nicht zustimmen, werden Sie schon sehen, was Sie davon haben“, habe ich immer noch im Ohr. Das grenzt schon an Nötigung. Und nicht jeder Angeklagte hat die Nerven, sich dem zu widersetzen.
Nicht „getrixt“
Nach der aktuellen Gesetzeslage ist die Einstellung des Verfahrens gegen von Storch also völlig rechtmäßig erfolgt und kein Grund zur Empörung. Die Zahlung einer Geldauflage zur Beseitigung des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ist ausdrücklich vorgesehen. Da ist nichts getrickst und nichts gedealt. Und auch wenn das manchem nicht einleuchten will, diese Geldauflage ist gerade keine Strafe für die Angeklagte. Deshalb kann man dieser Auflage auch nicht mit Geldstrafen vergleichen. Frau von Storch ist eben keine strafrechtlich relevante Tat nachgewiesen worden, sie ist nicht verurteilt. Punkt. Deshalb kann sie auch gar nicht bestraft werden. Man kann es gar nicht oft genug wiederholen. Die Unschuldsvermutung endet erst mit einer rechtskräftigen Verurteilung. Die gibt es nicht und es wird sie auch nicht geben, ergo ist von Storch als unschuldig zu behandeln. Dazu muss man sie nicht mögen.
Bei Straftaten, die nicht mehr im Bereich der Bagatelldelikte angesiedelt sind, scheint es mir allerdings richtiger zu sein, die Beweisaufnahme vollständig durchzuführen und dann zu verurteilen oder freizusprechen. Das dient nicht nur der Gerechtigkeit im Sinne einer Gleichbehandlung aller Angeklagten, sondern verhindert auch zunehmende Zweifel an der Unbestechlichkeit der Strafjustiz. Klar freut sich das Land oder ein gemeinnütziger Verein über das Geld aus den Einstellungen, aber das ist eben nicht das Kriterium für Strafverfahren. Die sind nicht in als Einnahmequelle des Staates gedacht, sondern zur Ahndung von Straftaten.
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