Wegen „Cobra Kai“: Der Kultfilm „Karate Kid“ im Rückspiegel

Was haben Youtubes „Cobra Kai“ und Karate Kid miteinander zu tun? Fred Gröger verrät uns, weshalb man den Kultfilm von 1984 auch heute noch gut sehen kann


Worum geht es in „Karate Kid“?

Simpel gesagt ist es eine Art Underdog-Sport-Drama mit Elementen eines Jugendfilms und einer kleinen Portion asiatischer Philosophie. Der Regisseur, John G. Avildsen, hatte acht Jahre zuvor seinen erfolgreichsten Film mit “Rocky” geschaffen und man sieht durchaus Parallelen.

Ein Teenager namens Daniel LaRusso (Ralph Macchio) aus New Jersey zieht mit seiner Mutter ins San Fernando Valley und muss sich dort in seiner neuen Umgebung und speziell High School einleben. Dabei bändelt er schließlich seiner Mitschülerin Ali Mills (Elizabeth Shue) auf einer Strandparty an und erntet den Zorn von ihrem eifersüchtigen Ex-Freund Johnny Lawrence (William Zabka) und dessen Freunden, die dem Außenseiter von da an das Leben zur Hölle machen.

Aber es wäre es ja nur ein normaler Teenagerfilm, wenn da nicht Karate eine Rolle spielen würde.

Johnny und seine Freunde, die als „Bullies“ Daniel und andere terrorisieren, sind Karate-Schüler eines Dojos namens „Cobra Kai“. In diesem Dojo unterrichtet ein Vietnamveteran namens John Kreese (Paraderolle für Martin Kove) sein Karate mit harten Regeln: „Schlag zuerst, schlag hart, keine Gnade.

Die Wendung in der Handlung kommt, als der exzentrische Hausmeister des Apartmentkomplexes in dem Daniel wohnt, Mr. Miyagi (Pat Morita), sich nicht nur als passionierter Bonsai-Züchter, sondern auch als Experte eines Karate-Stils entpuppt, den er dem gemobbten Teenager widerwillig beibringt.

Aber nicht um sich direkt zu rächen, sondern um, nach einer Verhandlung mit den Bullies und ihrem Meister, an einem sportlichen Karate-Turnier teilzunehmen, das Frieden bringen soll.

Auch wenn die Handlung nach einfachem Actionfilm klingt, der Film durchbricht diese Schlichtheit mit einer gewissen Tiefe seiner Charaktere und einer bewegenden Erzählweise. Und das liegt vor allem an Pat Moritas Darstellung von „Mr. Miyagi“, der sich als warmherziger, aber komplizierter Mentor mit merkwürdigen Trainingsmethoden herausstellt.

Und jetzt mal zum Karate in „Karate Kid

Ein Thema der Handlung befasst sich durchaus gar nicht so „ahistorisch“ mit den Wurzeln der zu damaliger Zeit besonders in den USA unglaublich populären Kampfkunst Karate. Aber was man über die Vermarktung von Kampfkunst wissen sollte: Es wird wahrscheinlich nirgends soviel übertrieben, gelogen und gesponnen, wie wenn es um deren „historische Vergangenheit“ geht. Das hat auch oft Hintergründe politischer Natur, weil sich die verschiedenen Völker oder Bevölkerungsgruppen in Asien teilweise „spinnefeind“ sind oder waren.

Für die Kampfstile die unter den Begriff Karate fallen, betrifft das besonders vier Gruppen: Chinesen, Okinawaner, Japaner und Koreaner. Und zwar genau in dieser Reihenfolge. Allgemein wird man immer von Karate als japanische Kampfkunst sprechen, aber ganz richtig ist das eben nicht. Natürlich werden die meisten Menschen, auch in Deutschland, am ehesten den tatsächlich etwas japanisierten „Shotokan-Stil“ kennen, aber es gibt diverse Stilrichtungen, die sich in bestimmten Dingen stark unterscheiden. Und deshalb jetzt von mir ein wenig nerdistische Aufklärung.

Mr. Miyagis Karate ist ein weicher und harter Stil.

Es ist größtenteils „Gōjū-ryū“-Karate

Mr. Miyagi besteht darauf, dass er nicht Japaner, sondern Okinawaner ist und sein Karate von der Insel Okinawa stammt. Soweit so gut.

Eigentlich stammen die vier großen Stile, die überhaupt erst am Anfang des letzten Jahrhunderts den Namen Karate benutzt haben, alle von den Inseln, die mal als Königreich Ryūkyū bekannt waren. Politisch war diese Inselgruppe, die dicht an Taiwan und zwischen China und Japan liegt, eigenständig, wurde aber von den Japanern im 17. Jahrhundert als „Vasallenstaat“ annektiert.

Der Grund dafür war wohl praktisch: Das Japan dieser Ära öffnete sich so eine Hintertür um mit dem verfeindeten China handeln zu können. Dieser Status von Okinawa bzw. den Ryūkyū-Inseln führten zu einem regen kulturellen Austausch mit China, der auch für das Karate eine Rolle spielte.

Grob erklärt, kam auch das „chinesische Boxen“ (Chuan Fa, im Westen oft „Kung Fu“ genannt) mit seinen diversen Richtungen nach Okinawa, mischte sich dort mit örtlichen eigenen Kampfstilen und entwickelte sich in das weiter, was später Karate wurde. Und der Grund warum ich damit jetzt gelangweilt habe: Es gibt eine Einteilung zwischen eher „harten“ und eher „weichen“ Stilen in chinesischen Kampfkünsten, die auch manchmal zwischen südchinesischem (weicher) und nordchinesischem „Kung Fu“ getroffen wird. Allerdings ist diese Einteilung nicht immer genau, denn die meisten Kampfkünste mischen in ihren Systemen „hart“ und „weich“.

Häh? Was ist mit „weich und hart“ gemeint?

Zum Beispiel „Auftragen und Polieren“.

Einer der besten Gags bezüglich der Trainingsmethoden von Mr. Miyagi ist sicherlich das legendäre „Auftragen und Polieren“. Der Sensei (Meister) lässt seinen Schüler Autos waschen und polieren, Holzböden schleifen und Zäune streichen. Nachdem Daniel dann sichtlich frustriert ist und sein „Training“ abbrechen will, enthüllt Miyagi ihm dann doch, dass er mit diesen Arbeiten und der strengen Ausführungen sein „Muskelgedächtnis“ geschult hat.

Auftragen und Polieren sowie die anderen Bewegungen haben ihren Ursprung in der „Tensho“-Kata des Gōjū-ryū-Karate. Diese Form legt einen großen Wert auf drehende, umlenkende Blocks mit der offenen Hand und eine gezielte Atmung.

Durch diese „offenen Handtechniken“ zum „Blocken“ von Angriffen, unterscheidet sich Gōjū-ryū von eher harten Stilen wie Shōtōkan (dazu gleich mehr). Obwohl zwar in beiden Stilen Blocks die Angriffe eines Gegners umleiten sollen, ist der Schwerpunkt des Kontaktes und Umleitens beim „weichen Block“ sanfter, während beim „harten Block“ die Abwehrtechnik selbst „schlagartig“ ist und Schaden beim angreifenden Arm oder Bein verursachen soll (ein „harter Block“ kann oft auch als Schlag benutzt werden und im Extremfall Knochen brechen). Es ergibt sogar Sinn, dass Miyagi seinem Schüler „weiches Blocken“ beibringt, denn es ist auch für ihn besser, da seine Arme sich erst an „hartes Blocken“ gewöhnen müssten, um sich nicht selbst zu verletzen.

Fazit: Daniel-San lernte einen eher statischen, aber sanften Weg.

Und nun zum Kampfstil der Bösewichter, …

… der tatsächlich auch der Kampfstil des Stuntcoordinators des Films (Pat E. Johnson) war: Tang Soo Do

Das ist jetzt bestimmt hart und selbst einige karatekundige Mitmenschen dürften sich fragen: Was zur Hölle ist „Tang Soo Do“?

Tja. Tang Soo Do, ist genaugenommen weiterentwickeltes Shōtōkan-Karate, das durch koreanische Schüler während der japanischen Besatzung in Korea entstand. In Teilen eine Art „Zwischenentwicklung“ vor dem „Tae Kwon Do“

In Deutschland und Europa ist Tang Soo Do kaum bekannt. Es gibt nur wenige Schulen oder Vereine. Tatsächlich kennt aber jeder diesen Stil, der mal Chuck Norris in irgendeinem seiner Filme gesehen hat. Der „Karateweltmeister im Mittelgewicht von 1968“ hatte nämlich nie „Karate“ gelernt, aber damals – und auch teilweise heute – wird das koreanische Tang Soo Do eher dem Karate als dem Tae Kwon Do zugerechnet. Die Ähnlichkeiten zwischen den Bewegungsstilen sieht man deutlich in den Katas. Als Beispiel dafür dienen hier mal „Heian Godan“ aus dem Shōtōkan und „Pyong Ahn Oh Dan“ aus dem Tang Soo Do. Beide sind sehr ähnlich.

Worin sich der Stil aber von seinem direkten Vorgänger unterscheidet, sind dynamischere, praktischere Tritte. Allgemein hat sich Tang Soo Do „trittlastiger“ als seine Karate-Wurzel entwickelt, ist aber noch etwas statischer als das Tae Kwon Do, das in der praktischen Anwendung fast nur noch für seine Fußtechniken bekannt ist. In den Blocktechniken ist Tang Soo Do fast nur „hart“ (bei den Shōtōkan-ähnlichen Stilen gibt man immer „70% harte Techniken an, Gōjū-ryū hingegen soll ein beinahe 50%-Verhältnis haben, aber es hängt auch viel vom Anwender ab).

Fazit: Johnny Lawrence und der Rest von „Cobra Kai“ lernten einen dynamischen und harten Stil.

Der eigentliche Kampf in „Karate Kid“ liegt in der Ethik der Lehrer:

Defensiv und mitfühlend gegen aggressiv und gnadenlos.

Die Handlung des Films nutzt tatsächlich auch die Möglichkeiten dieser Unterschiede aus. Während Miyagi immer wieder seinen Schüler ermahnt, dass Karate nur zur Verteidigung da ist, lehrt der Bösewicht John Kreese seine Schüler, immer als Erste und hart anzugreifen und keine Gnade zu zeigen.

Zur Ehrenrettung von Shōtōkan und Tang Soo Do muss man aber sagen, dass die Philosophie dieser beiden Stile normalerweise auch eher friedfertig ist, nicht kampflüstern. Tatsächlich hat Gichin Funakoshi selbst die Regel aufgestellt, dass es „Keine erste Hand im Karate gibt“. Das ist aber eben eine Verhaltensvorgabe, die durch die Verbreitung des Wettkampfes endgültig aufgeweicht wurde, denn da muss ja jemand angreifen (Funakoshi wollte selbst nie Wettkämpfe einführen).

So gesehen ist in „Karate Kid“ letztlich auch eine Kritik enthalten, dass durch das Wettkampf- oder Sportkarate die friedliche Philosophie der meist „zenbuddhistischen“ Stil-Gründer aufgeweicht wurde.Und so agiert eben auch der Antagonist: Gewinnen ist das Wichtigste, dafür ist alles erlaubt. Auch das unsportliche, unfaire Verhalten. „Sweep the leg, Johnny!“

Fortsetzung folgt in der Review zu „Cobra Kai“

Fred Groeger

Fred Groeger, 1976 im damaligen Westberlin geboren, dort aufgewachsen und trotz intensiver Versuche des Fernbleibens auch zur Schule gegangen, hat kein Problem damit, sich auch den schlechtesten Film anzusehen und anschließend darüber zu reden oder zu schreiben. Kinobesuche mit ihm entpuppen sich kurz nach Verlassen des Kinosaals als Tortur, da man seinen unvermeidlichen Ausführungen folgen muss. Wenn er nicht gerade auf die Leinwand oder den Bildschirm starrt, übt sich Fred in fernöstlichen Kampfkünsten oder genießt lange Strandspaziergänge um die Krumme Lanke, die aber dann doch recht kurz werden, da die Krumme Lanke gar nicht sehr viel Strand zu bieten hat.

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