Halterlose Strümpfe zum Kaffee

Kaffeehausszene, in der wir was über den Zusammenhang von halterlosen Strümpfen und beflügelnden Gedanken erfahren. Führt man die besten Gespräche mit dem Ex?


Ein Kaffee-Date stand an mit einem Freund, ja, tatsächlich, mit einem wirklich guten Freund. Im Vorfeld haben wir ein wenig herumgealbert bei WhatsApp, hatten wir einander doch schon eine Weile nicht gesehen. Am Ende der Konversation, eine knappe Stunde vor unserem Wiedersehen, meinte er, wenn er sich etwas wünschen dürfe, dann solle ich ein Kleid anziehen, am liebsten das Rote, sofern es das noch gibt in meinem Kleiderschrank. Das Kleid gab es noch, also willigte ich ein. „Und“, schrieb er, „die halterlosen Strümpfe dazu.“ Ich stutzte. „Aber die siehst du doch gar nicht“, antwortete ich und schickte zwei Smilies dazu. Er hätte jetzt ein süffisantes „wer weiß“ schreiben können, tat er aber nicht. Stattdessen schrieb er zurück: „Aber ich weiß, dass du sie anhast, weil ich dich darum gebeten habe.“

Café-Spiele

Ich kam ein wenig ins Grübeln. Was hat es mit den halterlosen Strümpfen auf sich? Ich mag sie auch, sie kleiden das Bein, ohne irgendwo zu zwicken. Sie tragen nicht auf an den Stellen, wo man es am wenigstens braucht und man fühlt sich recht frei damit. Außerdem, zugegeben, sogar in der heutigen Zeit haben sie einen Hauch von Verwegenem und so fühlt es sich auch noch sexy an. Aber was hat dieser Freund davon? Womöglich werde ich das Kleid ein Stück hochschieben beim Hinsetzen und ihm den Ansatz des Strumpfbandes zeigen, warum auch nicht? Wir sind absolut beste Freunde, schon ewig, gut, dazwischen waren wir mal einige Jahre ein Paar, aber das ist alles gut geklärt, wir kokettieren und können flirten und eben auch über halterlose Strümpfe schäkern, so denke ich und beruhige mich gleichzeitig. Meine Gedanken flirren dennoch ein wenig weiter. Sie hüpfen von damals nach heute und wieder zurück. Wann hat sich Freundschaft in Liebe und wann diese sich wieder zurückverwandelt und: geht das tatsächlich? Hat man dann einfach mehrere Leben und Lieben in sich? Jene für den besten Freund und jene für den begehrten Liebhaber? Hüpft man gedanklich nicht auch innerhalb der Liebe von einer Position zur anderen und wer genau bestimmt eigentlich wie lange diese Zeitspannen der Gedankensprünge anhalten dürfen? Von außen betrachtet bewegen wir uns gewiss gerade wieder aufeinander zu, warum auch nicht.

Leichte Wahl

Ich stehe vor meinem Kleiderschrank, die Halterlosen in der einen, die Strumpfhosen in der anderen Hand. Das rote Kleid habe ich bereits angezogen. „Ich weiß, dass du sie anhast, weil ich dich darum geben habe.“ Die Buchstaben stehen mir vor Augen, als hätte ich das Handy noch in der Hand. Die Zeit rast, eigentlich müsste ich schon aus dem Haus sein. Mein Handy piepst, eine SMS: „Wo bist du?“ „Unterwegs“, antworte ich und fälle eine Entscheidung.

Wenig später sitzen wir einander gegenüber und meine Gedanken hüpfen von damals zu jetzt und wieder zu damals. Er schielt auf meine Beine, fährt mit der Hand zart darüber an jener Stelle, wo er das Band vermuten muss und grinst. Dann lehnt er sich zurück und wir führen eines der lustigsten Gespräche seit langem. Wir sind entspannt und vergnügt und einander nah wie es nur Menschen sein können, die beide Seiten hatten  – beste Freunde und Liebe. Und wir tauschen Sätze, die nur Menschen tauschen können, die auf so viele gemeinsame Erfahrungen zurückblicken. Bei manchen Themen vollenden wir die Sätze des anderen, bei manchen wissen wir, dass wir jetzt ungebremst bis morgens um vier Uhr miteinander leidenschaftlich diskutieren könnten. Was könnte mehr Wert sein als dieses Gefühl, im Gespräch sich komplett auf den anderen einlassen zu können, weil er immer ehrlich ist? So war es, als wir beste Freunde wurden, und auch als wir einander liebten und so ist es nun, da wir wieder beste Freunde sind. Und irgendwo in diese schöne Vertrautheit mogelte sich sein Wunsch nach den halterlosen Strümpfen, strich seine Hand über meinen Oberschenkel, um eine Antwort auf die nicht gestellte Frage zu bekommen und irgendwo in diese Cafe-Unterhaltung schlich sich sein Lächeln in meine Gedanken und ein wenig zurück in mein Herz, so als wäre es nie weggewesen.

Zwei Momente wie Seifenblasen

Ich muss an eine Szene denken, die ich mal für ein Buch geschrieben hatte: „Sie saßen einander gegenüber, bei abendlicher Sonne, Vogelgezwitscher, irgendwo bellte ein Hund. Der Salat, den sie vor einer Stunde erst in ihrem Garten gemeinsam geerntet hatten, war zart, der Wein weich.

„Warum ist das so?“, fragte sie und lehnte sich zurück. „Wir begegnen einander immer wieder, seit Jahren, nur selten. Warum fühlt es sich dennoch jedes Mal vertraut und unkompliziert an?“
„Weshalb bist du so schön?“, entgegnete er anstelle einer Antwort.
„Weil du mich so siehst“, sagte sie ohne zu zögern.
Und er: „Das ist wohl die Antwort auf beide Fragen …“

Dann ein Szenenwechsel. Er beugte sich zu ihrer kleinen Tochter, reichte ihr die Hand und forderte sie zum Tanz. Sie willigte ein, ließ sich hochnehmen und im Kreise drehen, so schön die bunten Blumen auf dem fliegenden Kleid, das bald schon wieder zu klein sein würde, sie jauchzte vor Freude, will „mehr“ und „nochmal“ und immer mehr. Das Kleid drehte sich vor ihren Augen. Der Wein war noch immer weich.

Zwei Momente so durchscheinend wie Seifenblasen, sie schmiegten sich aneinander an diesem Sommerabend in ihrem Garten, gaben ihren zarten Hüllen Halt, waren haltlos dabei. In Liebe gegossen zerplatzten sie irgendwann und verschwanden im Gras …“

Die Wiederkehr der Vertrautheit

Würde ich jetzt für dieses Buch wieder eine Szene schreiben, dann wäre es vielleicht eine Café-Szene. Derzeit bin ich ja ohnehin wieder öfter in Cafés, treffe Freunde und trage hin und wieder Kleider mit halterlosen Strümpfen oder auch nicht und spiele dort mit schönen Sätzen und ebensolchen Gedanken. Und dann begreife ich es: Die halterlosen Strümpfe waren an diesem Vormittag nichts anderes als schöne Sätze. Sie haben ebenso ein richtiges Ende und lassen dennoch Spielraum für einen beflügelnden Gedankensprung. Sie waren so gesehen nichts anderes als die Wiederkehr der Vertrautheit, nichts anderes als die Erinnerung daran, einander unbefangen begegnen zu können. Ein Spiel, das nur in Gedanken zu Ende gedacht wurde, obgleich seine Hand schon zu Beginn die Antwort auf die nicht gestellte Frage erhalten hatte.

„Du lachst heute so viel, das ist schön“, sagt er.
„Du bringst mich dazu“, entgegnet sie, und sie sehen einander in die Augen und werden ernst. Der Kellner kommt und bringt eine weitere Runde Kaffee. Die Kekse mit den Schokoladenwürfeln liegen verführerisch neben den Tassen. „Möchtest du meinen?“, fragt sie und sieht, dass er die Hand ausstrecken will, aber nicht in Richtung der Kaffeetassen. Wie eine Frage bleibt sie in der Luft hängen, seine Hand. „Was?“, fragt sie leise.
„Ach nichts, ich wollte nur den Satz festhalten, der da gerade …“
Sie lacht. „Diese Sätze springen wie Gedanken von einem zum anderen.“

Die Kekse bleiben unberührt neben den Tassen liegen.

Tina Schlegel

Die Kolumnistin Tina Schlegel ist Kulturjournalistin und Autorin. Für die Zeitung schreibt sie über die schönen Dinge im Leben – Kunst, Musik, Theater und Literatur. In ihren Romanen dagegen lotet sie die düstersten Abgründe der Menschen aus und erschrickt oft selbst beim Schreiben. Doch genau so muss es sein: Texte, die fesseln und nachhaltig im Gedächtnis bleiben oder wenigstens eine hübsche Idee wecken, können bleiben, alles andere kann weg, findet sie. Für die Augsburger Allgemeine schrieb sie eine wöchentliche Kolumne über das LiebesLeben einer Alleinerziehenden mit Kind, denn wer über sich selbst lachen kann, hat es grundsätzlich viel leichter im Leben. Nach rund 20 Umzügen quer durch Deutschland lebt sie heute mit ihrer Tochter und einer diäterprobten, aber dennoch übergewichtigen Katze im Unterallgäu und liebt das Leben schon sehr. Die Kolumne: Liebesgeflüster im Haifischbecken Seit sie von ihrer Zeitung für ihre Kolumne als „Alleinerziehende, die gerne denkt“ angekündigt wurde, überlegt Tina Schlegel ob das stimmt. Ihrer Chancen auf sozialen Anschluss hatten sich mit diesem Teaser in der Kleinstadt ohnehin erledigt, steht hinter dieser Beschreibung (gewissermaßen auf ihrer Stirn) doch eindeutig das Prädikat „kompliziert“, blieb also viel Zeit zum Nachdenken. Irgendwann aber lehnte sie sich zurück und gestand sich ein, ja, sie denkt ausgesprochen gern und ausführlich nach. Überraschend oft hat es mit Liebe zu tun, aber als Tochter eines Berufssoldaten und einer Friedensbewegungsaktivistin ist sie im politischen Diskurs groß geworden. Unpolitisch kann sie daher nicht einmal über Kitsch nachdenken … Oder doch? Tina Schlegel im Netz Tina Schlegel ist mit ihrer Autorenseite auf Facebook vertreten und kann selbstverständlich auch abonniert werden. Zwei Romane sind bislang von ihr erschienen: „Schreie im Nebel“ (Emons Verlag, Oktober 2015, ISBN 978-3-95451-723-7) und „Die dunkle Seite des Sees“ (Emons Verlag, April 2017, ISBN 978-3-7408-0078-9), zwei weitere Bücher sind für 2018 geplant.

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