In Verteidigung von Julia Engelmann

Sören Heim kritisiert die Engelmann-Kritik. Die arbeitet sich an einem Popanz ab und ist dabei mindestens so oberflächlich wie die Kritisierte. Der Blick wäre auf die Bedingungen zu richten, unter denen solche Literatur entsteht.
(Gerade ist Engelmanns musikalisches Debüt „Poesiealbum“ erschienen).


Julia Engelmann dürfte mittlerweile zu den meistverkauften deutschsprachigen LyrikerInnen der Gegenwart zählen. Verständlich, dass das manch eingefleischten Lyrikfreund befremdet (von denen gibt es nach meiner Zählung noch genau sieben. Nein, acht). Mich befremdet besonders die Engelmann Kritik, die sich derart in ihren Anwürfen verheddert, dass man mutmaßen muss, ach was, wissen kann, dass es auch dort mit dem Sinn für Ästhetik nicht so weit her ist. In mindestens drei Punkten macht sich die Engelmann-Kritik seit One-Day/Reckoning Text immer wieder lächerlich, als sei man in einer Zeitschleife gefangen.

Unverdienter Ruhm?

Punkt 1: Julia Engelmann nimmt anderen, talentierteren Slammerinnen den verdienten Platz im literarischen Scheinwerferlicht abseits des Poetry-Slams weg!

Bullshit, Bullshit, Bullshit. Der Poetry Slam ist ja genau die Schnapsidee, über Kunstwerke meist junger Autorinnen und Autoren demokratisch abstimmen zu lassen. Die alles glatt schleifende Macht des Marktes also auch noch in die Ecken auszudehnen, in denen ursprünglich einmal die wilden Avantgarden reifen konnten, Dichterinnen und Dichter an sich selbst zweifeln und verzweifeln, wo Meisterwerke ausgebrütet wurden (selten) und Wortedrexler realisierten, dass man vielleicht doch lieber Autos verkauft oder an der Service-Hotline sitzt (Regelfall). Talentiert ist nach den Regeln des Slam, wer das Publikum bewegt. Engelmann bewegt definitiv das Publikum. QED.

Das Ende der Lyrik ist nah!?

Punkt 2: Julia Engelmann steht für einen schrecklichen Verfall der literarischen Kunst. In früheren Zeiten, da las die Jugend noch große Meister wie Hesse. Oder Fried.

Ja: HESSE. Oder FRIED. Das sind tatsächlich die beiden Autoren, die ich bisher auf Facebook und im persönlichen Gespräch am häufigsten Engelmann entgegengestellt gehört habe. Hesse. Fried. Hermann Hesse ist nun wirklich der Gottvater der romantisch verkitschten Oberflächlichkeit. Hesse schreibt in Dutzendware FB-Meme-Zeilen wie die Folgenden:

Alle Bücher dieser Welt
Bringen dir kein Glück,
Doch sie weisen dich geheim
In dich selbst zurück.

Dort ist alles, was du brauchst,
Sonne, Stern und Mond,
Denn das Licht, danach du frugst,
In dir selber wohnt. (…)

Hesse kennt des Weiteren genau ein Stilmittel: den niemals überraschenden Endreim (Engelmann kennt mindestens drei, was dreimal so viel ist!). Bei Hesse weiß der Leser immer schon halb, was als nächstes kommt, was lustigerweise genau die Anforderung ist, die Otto Waalkes an den gelungenen Witz stellt. Leider aber bleibt Hermann Hesse stets sentimental-melancholisch, manchmal belehrend, ist aber wirklich nie nie nie lustig. Im Gegensatz zu Engelmann, die sich wenigsten zu unfreiwilliger Komik hergibt, zum Beispiel mit Metaphern wie „Ich bin so furchtbar faul wie ein Kieselstein am Meeresgrund“.

Und Erich Fried? Dieser dumpf dahinpolitisierende Glückskeksdichter? Ein typisches Fried-Gedicht klingt ja so:

Wo keine Freiheit ist
bist du die Freiheit
Wo keine Würde ist
bist du die Würde
Wo keine Wärme ist
keine Nähe von Mensch zu Mensch
bist du die Nähe und Wärme
Herz der herzlosen Welt (…)

Oder so:

Eure Sehnsucht war,
wie die anderen Völker zu werden
die euch mordeten.
Nun seid ihr geworden wie sie.

Ihr habt überlebt
die zu euch grausam waren.
Lebt ihre Grausamkeit
in euch jetzt weiter?

Nein, Leute: Dagegen steht Engelmann schon mit einem Fuß im Olymp. Und immerhin sind von ihr keine dumpfen Invektiven gegen Israel bekannt.

Unpolitisch = Seicht
Politisch = Gehaltvoll?

Punkt 3:

Seichte Melodien umrahmen affirmative, aber inhaltlose Texte, die so allgemein gehalten sind, dass sich eine größtmögliche Zielgruppe damit identifizieren kann, die weder Haltung, noch Probleme hat. Politische Texte kommen bei Julia Engelmann nicht vor.

Dieses Zitat ist direkt aus einem Artikel des Deutschlandfunks entnommen. Mir geht es vor allem um die hier in Anschlag gebrachte, gegenüber Engelmann oft verwendete Suggestion, es gebe eine starke Korrelation von Komplexität und politischer Lyrik. Nochmal: Bullshit, Bullshit, Bullshit.

Das beweist nicht nur der Herr Fried von oben. Die Sache ist sogar systemisch bedingt. Nichts verfällt leichter der Seichtigkeit als politische Lyrik. Aufrufe, Essays, sogar Hetztiraden, getarnt als Gedichte. Davon doch wimmelt es nur so im politischen Metier!1 Politische Lyrik, sie wendet sich fast immer an die eigene Peergroup, sie charmiert die Claqueure, ja: sie ist für gewöhnlich die denkbar unpolitischste Lyrik, denn sie bewegt nicht, sie schmort im eigenen Saft. Wie politisch dagegen ist Engelmann! Das sieht der Deutschlandfunk zwischendurch sogar mal kurz selbst ein:

„Sei nicht traurig, mach dir nichts aus Schicksalsschlägen, du musst nur fest genug daran glauben, dann wird alles wieder gut. Glück ist Glaubenssache. Weiterkommt, wer an sich glaubt, wer hart genug arbeitet, der schafft es auch. Neoliberaler Pop klingt so“ [meine Hervorhebung]

Und deshalb eben gut 90 % aller Popmusik heute. I fall down, get right back up, yeah yeah yeah!

Warum einzig Engelmann?

Warum, wem es um Literatur zu tun ist, sich ausgerechnet an Engelmann abarbeitet, statt an den systemischen Hintergründen, erschließt sich mir nicht. Vielleicht ist es ja sogar ein Geschlechterding? Ich bin normalerweise mit solchen Zuschreibungen vorsichtig, aber wie oft in Engelmannkritiken die Worte „jung“, „blond“, „Mädchen“ usw fallen, fällt doch auf. Ich meine, dem Biermann hat man doch auch nicht nur seine mittelmäßigen Lieder verziehen, sondern sogar diesen Schnauzer?

Vielleicht liegt es aber auch daran, dass die Kritik auf genau die gleichen Anreize des Marktes reagiert wie die Engelmann-Poesie. Und bei der jeweiligen Zielgruppe kommt man eben weit mit den richtigen Buzzwords und/oder dem sich abarbeiten an dankbaren Figuren und Symbolen.

Julia Engelmann ist nicht der Anfang vom Ende, noch das Ende vom Ende der Literatur. Julia Engelmann ist einfach eine weitere Station innerhalb des Massenphänomens Pop; bisher ohne, seit neuestem mit Musik. Wer sich mit dem Niedergang der Literatur, so er überhaupt stattfindet, auseinandersetzen möchte, sollte auf der Textebene lieber die Frage stellen, warum ein Autor wie (nur ein Beispiel) Murakami es sich erlauben kann, 1xxx Seiten von Ergüssen auf Engelmann Niveau zwischen Buchdeckeln herauszugeben und damit sogar für den Nobelpreis gehandelt zu werden; sprich, warum die Etablierten des Betriebes nicht jener unerbittlichen Kritik unterzogen werden, die diesem (sicher gut geplanten) Internetphänomen zuteil wird, und man sollte auf gesellschaftlicher Ebene die Mechanismen in den Blick nehmen, die dazu führen, dass alle Literatur sich immer ähnlicher wird.

Das war’s. Um einen großen italienischen Dichter zu zitieren: Ich habe fertig.

1

Das Gleiche als typisches Politgedicht:

Aufrufe, Essays, sogar
Hetztiraden,
getarnt als Gedichte.

Davon doch wimmelt es nur
so
im politischen Metier !

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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