Ein Vater und sechs Tote – Eine Tragödie
In Würzburg begann der Prozess gegen einen Vater, dem fahrlässige Tötung an insgesamt sechs junge Menschen, darunter seine eigene Tochter und sein Sohn, vorgeworfen wird. Wie richtet man strafrechtlich über so einen Menschen?
Es sollte eine fröhliche Feier werden. Die 18 – 19-jährigen wollten in der Hütte der Familie eine Geburtstagsparty für die älteste Tochter des Angeklagten veranstalten. Der angeklagte Vater half tatkräftig bei den Vorbereitungen und stellte zur Stromversorgung einen Generator in einen Nebenraum und bastelte laut Anklageschrift eine Abgasleitung nach draußen, die zusammenfiel. Dabei beachtet er nicht, dass dieser benzinbetriebene Generator nur im Freien betrieben werden darf. Die jungen Leute starben an einer Kohlenmonoxidvergiftung. Der Angeklagte fand sie am nächsten Morgen. Sollte dieser in der Presse dargestellte Verlauf sich als zutreffend erweisen, dann wäre der Tatbestand der fahrlässigen Tötung in sechs Fällen gegeben.
§ 222 Fahrlässige Tötung
Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Unter Fahrlässigkeit versteht man das Außerachtlassen der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, wobei mit Verkehr weder der Straßen- noch der Geschlechtsverkehr verkehr gemeint ist, sondern der „Verkehrskreis“ von Menschen, denen der Täter angehört.
Unbewusste Fahrlässigkeit
Die hier mit hoher Wahrscheinlichkeit vorliegende unbewusste Fahrlässigkeit (lat. negligentia) liegt vor, wenn der Handelnde den Erfolg seiner Handlung zwar nicht voraussieht, ihn aber bei der im Verkehr erforderlichen und ihm auch zumutbaren Sorgfalt hätte voraussehen und verhindern können. Ausreichend für die Erfüllung dieses Fahrlässigkeitstatbestandes ist schon, dass der infolge des Verhaltens eingetretene Erfolg – also der Tod der jungen Menschen – von einem besonnenen und gewissenhaften Angehörigen jenes Verkehrskreises vorausgesehen worden wäre, innerhalb dessen sich der Täter während der Tat bewegt hat. Das wären dann hier die Verwender von Stromaggregaten.
Wird man wohl annehmen müssen, wenn sowohl in der Gebrauchsanweisung als auch auf dem Generator selbst deutlich darauf hingewiesen wird, dass das Gerät nur im Freien betrieben werden darf.
Horror für Elterm
Ich kann mir kaum etwas Schrecklicheres vorstellen, als den Tod eines oder mehrerer meiner Kinder. Dafür dann auch noch die alleinige Schuld zu tragen, muss unerträglich sein. Vor diesem Hintergrund wird in den sozialen Netzwerken auch lebhaft diskutiert, ob man den Angeklagten denn überhaupt noch bestrafen muss. Und tatsächlich sieht das Strafgesetzbuch in besonders tragischen Fällen trotz schuldhaften Fehlverhaltens ein Absehen von Strafe durchaus vor.
§ 60 Absehen von Strafe
1Das Gericht sieht von Strafe ab, wenn die Folgen der Tat, die den Täter getroffen haben, so schwer sind, daß die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre. 2Dies gilt nicht, wenn der Täter für die Tat eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verwirkt hat.
Die Vorschrift basiert beruht auf dem einleuchtenden Grundgedanken, dass eine staatliche Strafe funktionslos wird, wenn der Täter bereits durch die Folgen der Tat als hinreichend bestraft erscheint. Das typische Beispiel ist der Vater, der beim Rangieren mit dem Trecker oder LKW sein eigenes Kind übersieht und überfährt. Also auch, wenn man selbst körperlich nichts abbekommen hat, können die aufgrund einer besonderen Beziehung zum Tatopfer entstehenden schweren seelischen Belastungen als Folgen der Tat berücksichtigt werden, allerdings nur, wenn die durch die Tat beim Täter ausgelösten psychischen Störungen wenigstens Krankheitswert erreichen und von gewisser Dauer sind. Wären also „nur“ die beiden Kinder des Angeklagten ums Leben gekommen, dann wäre ein Absehen von Strafe durchaus naheliegend.
Offensichtlich verfehlt?
Nun sind aber neben den beiden Kindern des Angeklagten auch noch vier weitere junge Menschen gestorben. Und da ist es dann doch eher fraglich, ob „ die Verhängung einer Strafe offensichtlich verfehlt wäre.“
Denn es ist ja auch für die Angehörigen der anderen Opfer unerträglich, dass ihre Kinder oder Geschwister wegen einer solchen Sorgfaltspflichtverletzung ums Leben kommen. Versetzen Sie sich einmal in deren Lage. Ihre Kinder gehen zu einer Fete und sterben, weil so ein Depp einen Generator in geschlossenen Räumen betreibt. Schrecklich, nicht wahr? Wegen so eines dämlichen Fehlers eines anderen sein Kind zu verlieren. Ich kann nicht sagen, wie ich in einer solchen Situation reagieren würde. Mit Trauer, ja, mit Wut, vermutlich mit Verzweiflung. Würde ich wollen, dass der Verantwortliche dafür bestraft wird, auch wenn er selbst zwei Kinder verloren hat? Ich weiß es nicht. Und ich will auch nie erfahren, wie ich mich in der Situation verhalten würde.
Zwar schließt der Tod dritter Personen die Anwendung des § 60 StGB nicht automatisch aus, aber bei derartig gravierenden Fremdschäden – mehr als tot geht ja nicht – wird die Rechtsgemeinschaft wohl eher seltener zu dem Ergebnis kommen, dass eine reine Schuldfeststellung ohne jede Strafe eine ausreichende Sanktion wäre.
Um zum Absehen von Strafe zu gelangen, muss jede weitere Sanktion „offensichtlch“ verfehlt sein. Das Gericht müsste aufgrund einer Gesamtwürdigung ohne Wenn und Aber zu dem Entschluss gelangen, dass eine Strafverhängung verfehlt wäre. Wenn auch nur geringe Zweifel bestehen, darf der § 60 StGB nicht angewendet werden. Der Grundsatz, im Zweifel für den Angeklagten, greift hier nicht bezüglich des „offensichtlichen Verfehltseins“ von Strafe, sondern nur im Hinblick auf die zugrundeliegenden Tatsachen. Das Merkmal der Offensichtlichkeit ersetzt hier nicht – wie man vielleicht denken könnte – etwa eine gründliche Gesamtabwägung in dem Sinne, dass diese einem sozusagen ins Gesicht springen muss und die Sache damit klar wäre. Ganz im Gegenteil. Gerade, wenn es auf den ersten Blick überflüssig erscheint, den Angeklagten zu bestrafen, muss eine umfassende Gesamtwürdigung sich auch damit beschäftigen, ob angesichts der schweren Folgen eine Bestrafung unter einem ihrer Leitgesichtspunkte noch eine sinnvolle Funktion hätte.
Die Tötung eines Menschen – und hier waren es derer sechs – ist auf der Erfolgsebene die schwerste Rechtsgutsverletzung, die unser Strafrecht kennt. Allerdings hängt das Maß der strafzumessungsrelevanten Schuld weniger vom schrecklichen Erfolg als vielmehr in erster Linie von der Schwere des Handlungsunrechts ab. Das Handlungsunrecht einer fahrlässigen Tötung, die (nur) auf einer Sorgfaltspflichtverletzung beruht, ist natürlich geringer als bei einer vorsätzlichen Tötung. Aber es ist halt eben auch ein Unrecht. Da spielt dann auch der Grad der Sorgfaltspflichtverletzung eine Rolle.
Keine einfache Entscheidung
Sie sehen schon, ich mag mich bei der Frage der Bestrafung hier gar nicht festlegen und ich beneide das Gericht auch nicht um diese Aufgabe. Dass es zu einem Absehen von Strafe gelangen wird, glaube ich nicht. Das würde mich doch überraschen, obwohl es unter Umständen vertretbar erscheint. Eine langjährige Freiheitsstrafe sehe ich allerdings auch nicht. Die sehe ich eher bei den Wahnsinnigen, die mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Innenstädte rasen.
Wie auch immer das Urteil lauten wird, der Angeklagte wird die Schuld sein Leben lang mit sich tragen, er und die anderen Eltern werden ihr Leben lang trauern. Das Urteil wird den Betroffenen auch nicht helfen können, ihr jeweiliges Leid zu bewältigen. In solchen Fällen darf die Justiz auch getrost mal ihre diesbezügliche Hilflosigkeit eingestehen.
Schreibe einen Kommentar