Shortlist-Rezensionen III – Romeo oder Julia

Der dritte Teil der Shortlist-Rezensionen dreht sich um Gerhard Falkners „Romeo oder Julia“.


„Weg sind eben nur alle meine Schlüssel.«
»Haben Sie denn so viele?«, fragte der ausgestreckte Polizist.
»Es war ein Schlüsselbund mit knapp dreißig Schlüsseln«, erwiderte ich.
»Sie sind wohl ein Schlossbesitzer?«
»Ich besitze zahlreiche Schlösser«, sagte ich und beendete mit meiner Antwort seine sarkastische Absicht wie per Knopfdruck.“

Die ersten Dialogfetzen aus Gerhard Falkners Romeo oder Julia sind großartig. Naja, zumindest genau mein Kindergarten-Humor. Die knapp zweiseitige Exposition ist absurd, temporeich, und verrät genau so viel rund um einem ungewöhnlichen Einbruch in ein Hotelzimmer, wie nötig ist um zum Weiterlesen an zu fixen.

Tempo, Tempo

Und mit hohem Tempo setzt der Roman sich fort: Wir folgen dem Schriftsteller Kurt Prinzhorn aus dem Graben, den er um sein Haus in einem „Dorf ohne Eigenschaften“ in Deutschland zieht, auf einen so dekadenten wie banalen Schriftstellerkongress in Innsbruck, der in eine Künstlerkaste einführt, die nicht mal mehr das mit der Ausschweifung unverkrampft auf die Reihe bekommt. Man hastet durch mit literarischen Anspielungen vollgespickte, belanglose Gespräche zurück in die Eröffnungsszene, danach durch weitere mit literarischen Anspielungen angereicherte Unterhaltungen und verlässt Innsbruck, ohne viel klüger geworden zu sein. Das ist das erste Drittel von Romeo oder Julia.

Den Rahmen der Handlung bildet das unaufgeklärte Verbrechen: Eine Person ist in Prinzhorns Hotelzimmer eingedrungen, hat dort allem Anschein nach gebadet, mit langen schwarzen Haaren den Abfluss verstopft und zudem einen überaus gewaltigen Schlüsselbund mitgehen lassen. Weitere Ungereimtheiten kommen in Moskau – der nächsten Station des Protagonisten – hinzu. Nach einem weiteren dieser dekadenten Kongresse mit viel Wodka, ungebetenen Prostituierten und anspielungsreichen Gesprächen findet Prinzhorn unter seiner Tür hindurchgeschoben einen Zettel mit der Aufschrift: „Romeo oder Julia. Peng. Peng.“ Die Bedeutung: ebenso unklar wie der Einbruch in Innsbruck.

Eine dritte Reise führt nach Madrid. Hier warten eine alte Geliebte, nicht mehr ganz so viel Alkohol, nicht mehr ganz so viele Schriftstellerkollegen, noch ein paar weitere oberflächliche Gespräche über Kunst und endlich die Auflösung des Kriminalfalls von der ersten Seite. Das geschieht qua Stalkerin ex Machina: Eine Frau, deren Verbindung zu Prinzhorn auf den vorangegangenen 240 Seiten nur einmal kurz angedeutet wurde und die mit dem Verlauf der sonstigen Erzählung eigentlich nichts zu tun hat, wird von Prinzhorn in einer Seitenstraße gestellt und verrät in einem langen Monolog, im Stile des klassischen Filmbösewichts, die gesamte Hintergrundgeschichte ihrer Handlung. In dieser kommen zwar einige Schwächen, die Prinzhorn im Verlauf des Romans gezeigt hat (Oberflächlichkeit, Objektivierung von Frauen, allzu leichtfertige Art mit den Gefühlen anderer umzugehen), noch einmal zu vollster Geltung; dennoch bleibt die Sache unbefriedigend.

Ausgezeichnet durchs „blanke Nichts“?

Romeo oder Julia ist in jedem Fall ein kurzweiliger Roman, durch den man nur so hindurch fliegt. Beschreibungen und Dialoge in rasantem Wechsel, frische Szenen, ganz viel herrliche Oberflächlichkeit. Hier und da wirkt der Versuch des Autors, über seine Literatenzirkel besonders literarisch zu schreiben, ein wenig bemüht. Ständig wird – mal besser, mal schlechter motiviert – ganz offen aus Klassikern der Weltliteratur zitiert, oder es werden hintenrum Verweise eingeschmuggelt. So beginnt etwa Kapitel 12 des ersten Teiles mit den Worten „Heute ist Mama gestorben“. Eine Hommage an Albert Camus, natürlich. Allerdings eine, die wie an vielen anderen Stellen eher Selbstzweck bleibt. Hoch rechne ich es mittlerweile jedem Autoren an, wenn er sich sprachlich über die Ebene der reinen Informationsvermittlung aufschwingt. Falkner unterlaufen dabei allerdings dann auch immer mal wieder überkanditelte Verdrehungen wie etwa „Der kleine Ort, der außer ein paar bedrückenden, der Reihe nach aufgestellten Einfamilienhäusern mit sudetendeutsch gezüchtigten Vorgärten durch das blanke Nichts sich auszeichnet“, oder rein faktischer Unsinn wie „Bei diesem Meteoriten handelte es sich allerdings, genauer gesagt, um einen Asteroiden“ (Asteroid heißt der Meteorit solange er im Weltraum umher fliegt, Meteorit heißt der Asteroid, der abstürzt. Immer). Selbst der eingangs zitierte Dialog aus dem ersten Kapitel leistet sich mit „Ich… beendete … seine sarkastische Absicht wie per Knopfdruck“ zumindest eine sprachliche Unsauberkeit.

Aber gut, all das ließe sich leidlich mit der Überlegung entschuldigen, dass Ich-Erzähler Prinzhorn immer mal wieder die literarischen Gäule durchschießen, und so seine Inadäquatheit deutlich gemacht werden soll.

Romeo oder Julia ist eine Lektüre, die Spaß macht. Sprachlich fast durchgehend auf hohem Niveau. Zum großen Wurf allerdings fehlt etwas Verallgemeinerbares hinter all dem Spektakel. Denn große Kunst, daran hat sich durch die Jahrtausende nichts geändert, greift das Allgemeine durch das Besondere, ja, im Idealfall so, dass sich durch die ästhetische Verknüpfung der Einzeldinge eine Synthese ergibt, ohne dass je ausdrücklich auf diese Synthese gestoßen würde. Im Falle von Romeo oder Julia ist da: nichts.

Oder: Es ist ein Roman, der außer durch ein paar bedrückende, der Reihe nach aufgestellte Schriftstellerparties mit neobarock durchgepeitschten Sprachexzessen durch das blanke Nichts sich auszeichnet.

Der Roman treibt wie unzählige mindere einem Ende zu, dass man befriedigend oder unbefriedigend finden mag, lädt aber trotz der beschwingten Lektüre kaum zum Wieder- (und wieder und wieder) Lesen ein. Als Buchpreisträger sehe ich Romeo oder Julia nicht, dafür ist das Ganze am Ende dann sowohl zu spaßig als auch banal.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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