Tango tanzende Jünglinge – I. Teil „Die Hüpfburg von Schloß Silling“

Wolfgang Brosche erklärt an zwei verfemten Hauptwerken der europäischen Kultur – verfemt, weil sie hellsichtig waren – wer mit der AfD in den Bundestag einzieht, wer sie wählt und welches die wahren Antriebe dafür sind.


O-Töne

Wenn jemand existenziell bedroht ist, weil er nicht genug Geld hat, um den Lebensunterhalt seiner Familie zu finanzieren so muß er meiner Meinung nach die Möglichkeit haben, durch den Verkauf von Organen und zwar geregelten Verkauf… ähnlich der Börse, daß man sagt, wer ist zugelassen zu dem Handel. Es muß auch geprüft werden, wer darf das Organ entnehmen. Und dann wird praktisch das Organ versteigert.

Peter Oberender, Gesundheitsökonom, am 4..2007 Deutschlandradio Kultur – Initiator der „Wahlalternative 2013“, dem Vorläufer der AfD: Doktorvater von Alice Weidel

Der Herzog…schneidet ihr eine Brust ab, trinkt das Blut, bricht ihr beide Arme, reißt ihr die Schamhaare und alle Zähne aus und schneidet ihr alle Finger ab…er schläft dann noch mit ihr die ganze Nacht von vorn und von hinten, indem er ihr ankündigt, daß er ihr morgen den Garaus machen werde.“

Donatien-Alphonse Francois deSade, „Die 120 Tage von Sodom“ Vierter Teil: „Die hundertfünfzig Passionen des Mordes“. 21. Tag. 1782-85

Hundert Kinder und deren Familien stehen um die Hüpfburg herum und gucken. (…) Dann wollen die Kinder alle mitspielen. So´n schönes zehnjähriges Poloch ist sicher schön eng.“

am 23. Oktober 2011

Dann besaufen wir uns hemmungslos und pissen alles voll. Anschließend laden wir uns einen Stricher ein, vergewaltigen ihn und essen dann seine Leiche auf.“

16. Februar 2012

Vielleicht sollten wir (…) Mutter entführen, sie brutal vergewaltigen lassen von einem wilden Schimpansen und ihm dann jeden Tag einen Finger zuschicken…“ 17.3.2012

Alle drei vorstehenden Zitate angeblich vom (Ex)-Fraktionsvorsitzenden der AfD im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Volker Arppe, in diversen Chats. Zitiert nach TAZ vom 31.8.2017

Ein sehr arger Sodomiter lädt Gäste zu einem Ball, aber so wie alles versammelt ist, gibt der Boden unter der Last nach und fast alle gehen zugrunde. (…) Er wechselt häufig den Aufenthaltsort und wird erst bei fünfzigsten Male entdeckt.“

Marquis deSade – ebenda. 24. Tag der „Passionen des Mordes“

Unter Pinochet hat´s glänzend geklappt – und er ließ Kommunisten aus dem Helikopter werfen. So muß das!“

Thorben Schwarz, 18jähriges AfD-Mitglied aus Baden-Württemberg – Facebookeintrag vom 7.7.2017

Wir werden sie jagen! Und holen uns unser Land zurück!“

Alexander Gauland, AfD-Vorsitzender am Abend der Wahl vom 24.9.2017

Wir müssen wieder zu einer Kultur des pädagogischen Strafens zurückfinden.“

Dr. Hans-Thomas Tillschneider, AfD-Sprecher für Wissenschaft, Bildung und Kultur der Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt am 2.10.2017

Der internationale und auch der deutsche Rechtsruck werden seit langem und jetzt nach der Wahl immer noch, kläglich bis zur Verblödung interpretiert als Reaktion von sich abgehängt fühlenden Menschen auf sozioökonomische Schieflagen im kapitalistischen System. Nie aber wird dieses System selbst in Zweifel gezogen, sondern als Naturzustand, eben auch von Marxisten, angesehen. Ja mehr noch: der Marxismus perpetuiert die Ideologie der immerwährenden Produktion qua Konsum. Recht eigentlich hat Marx immer weiter kapitalistisch gedacht und seine Kritik zu früh abgebrochen. Doch zugegeben, das Phänomen des modernen Konsumismus war zu seiner Zeit wirklich noch nicht abzusehen. Andererseits jedoch haben schon die Römer Schlachtfeste im Circus gefeiert, weil sie übersättigt waren und alles konsumiert hatten, was bis dahin in der Antike zu verbrauchen möglich war: es blieben nur noch Menschenleben übrig. Es gibt auch Gerüchte, daß „überflüssige“ Sklaven zu Wurst-Delikatessen verarbeitet wurden. Aber das mochte sich wohl selbst der hellsichtige Marx noch nicht ausdenken.

Heute kommt es uns noch ein wenig abnorm vor – aber bald wird das normal sein: warum soll man als Manchesterkapitalist, Neoliberaler oder sein Leben aushauchender Sozialist nicht auch Menschen als Delikatesse verspeisen? Die Faschisten genießen ja längst Menschenfleisch – es ist eigentlich nur eine Stil-und Geschmacksfrage, die bald nach Angebot und Nachfrage geregelt wird, damit es gerecht zugeht. Wenn wir über soviel Humankapital verfügen, warum nicht auch über eine entsprechende Speisekammer, die mit Überflüssigen aufgefüllt wird?

Die zu Anfang erwähnten Schieflagen liefern gewichtige Gründe, sind aber nicht die wahre Ursache für Phänomene wie den wieder erstarkenden Faschismus. Ob nun alter oder neuer Faschismus, er ist kein Produkt des sozialen Elends, sondern die Konsequenz einer genüßlich erlebten und ausagierten sadistischen Verrohung, ein lüstern-orgiastisches Austoben als Mittel und Ziel eines vorpolitischen Konsumismus von allem – eines Konsumismus von Mensch und Natur, von Körper und Gefühl, wie er vor rund 250 Jahren schon einmal beschrieben (aber nicht analysiert) wurde in einem Roman, dessen Ungeheuerlichkeiten wörtlich denen der zitierten AfD-Mitglieder gleichen – sie stehen stellverstretend für viele andere und sind keine Ausnahmen, keine Einzelfälle. Das Muster aller Entgleisungen, Wünsche und längst auch schon Taten (siehe NSU, Reichsbürger oder Identitäre Bewegung) der sogenannten Neuen Rechten, und ihrer Protagonisten und Adepten von den blökenden Pegidisten unter ihren Rabiatanführern (Lutz Bachmann oder Tatjana Festerling), über deren Philosophen und Vordenker, die ja nur Kompilatoren von längst ranzig bis blutig Gedachtem sind, ob sie nun Bannon, Kubitschek oder Jongen heißen, bis zu den Frontkämpfern, die die Politik marodieren und zerstören, also Höcke, Orban oder LePen et alii, dieses Muster also für Denken, Taten und Personen liefert der kurz vor der französischen Revolution entstandene Roman des Marquis deSade: „Die 120 Tage von Sodom“.

DeSade schildert Herrenmenschen, die eigentlich bis zum Stehkragen voll sind mit Lebensenttäuschung, Haß und vor allem Angst, jene Leute, die uns weismachen wollen: „homo homini lupus est“ – könnten die Wölfe ihnen widersprechen, würden sie es leidenschaftlich tun. Diese Leute WOLLEN zerstören, um der Zerstörung willen, uns eintrichtern, die Welt sei destruktiv, einzig weil sie selbst der Destruktivität frönen und sie genießen, weil einmal an ihnen ausagiert wurde, was sie nun an anderen unbeschadet weiter ausagieren wollen. Sie haben ihre Mitleidlosigkeit und Gier erlernt, lange bevor sie einen Begriff von Politik hatten. Ihre Menschenfresserei, solcher Konsum der Menschen und der Welt, resultieren nicht aus sozialen Ungerechtigkeiten, sondern erzeugen sie. Wer die wölfische Natur propagiert, braucht seine Destruktivität wie die vergiftete Luft zum Röcheln, weil er davon profitiert. Diese absichtsvolle Destruktivität steckt zutiefst in unseren sogenannten Wertesystemen, die doch nur Wirtschaftssysteme des totalen Verbrauches sind – im Sinne des goebbelschen totalen Krieges. Deshalb sind auch ganz konkret neoliberale Parteien wie die FDP, die das totalitäre Primat der Wirtschaft anbeten, als Vorläuferorganisationen von konsequent totalitären Parteien wie der AfD zu bezeichnen. Sie postulieren die Unabänderlichkeit der Hierarchie von Käufer, Verkäufer und Verkauftem – und sie sehen alles und jeden grundsätzlich als Ware an – nicht umsonst wurde in der Hayek-Gesellschaft der Begriff vom „Menschenmaterial“ geprägt, was so viel bedeutet wie „Kanonenfutter“.

Menschenrechte und Menschenwürde der Einzelnen haben sich dem totalen Verbrauch von Kindheit an unterzuordnen. Individualität und Persönlichkeit finden sich nur im Erwerb oder Verkauf oder den Algorithmen der auf den jeweiligen User zugeschnittenen Werbung bei Facebook, Google oder Amazon. Sentimentalität, die sich bestens zu Geld machen läßt, zieht man der Authentizität des Gefühls vor. Darum ist die Marktwirtschaft der FDP ebenso wichtig wie der AfD der Patriotismus oder das Vaterland – von dem Herr Gauland uns am Wahlabend wissen ließ, man habe es ihm geraubt; deshalb will er es zurück erobern, seinen Besitz. Und Herr Lindner schwadronierte bereits wieder, nach dem neuerlichen Einzug in den Bundestag, vor Kraft kaum laufen könnend, vom freien Spiel der Kräfte auch bei Lebensnotwendigem wie Wohnung, der Versorgung im Alter oder im Krankheitsfall. So wird aus Elend und Leiden pekuniärer Gewinn, und aus dem Rattengift von Nationalismus und Rassismus ein vorgebliches Heilpflaster. Das wird aber auf ein schwarzes Loch geklebt, das wie die Löcher im Kosmos unendlich und nie zu sättigen ist – es muß verbrauchen, verschleißen, fressen:

Wollte man eine strategische Differenzierung des totalen Verbrauchs aufmachen, also eine konsequente Planung, um dieses Ziel zu erreichen (auf Planung und Strukturierung der Gier, werden wir noch zu sprechen kommen), dann steht zu Anfang als erster Schritt, die Vernichtung des Mitgefühls. (Übrigens, Herr Lindner- es gibt keinen „mitfühlenden Liberalismus“).

Die Vernichtung des Mitgefühls muß zuerst kommen, wenn wir aus sind auf den rücksichtslosen Verbrauch von allem und allen. Aber aufgemerkt – diese Freßgier darf, um ihr ultimatives Ziel zu erreichen, eben nicht wirklich hemmungslos sein, sondern hat anstachelnde Struktur. Es braucht einen Ordokannibalismus. Deshalb haben die Infamien der AfD auch eine beharrliche Rangfolge, die neben dem „Endziel“ auch immer die Gewöhnung daran und eine sich steigernde Vernichtung des Mitgefühls, bedeutet. Es sind keine Ideologien, Religionen, keine Gesetze, die das Leben lebenswert machen – sondern einzig das Mitgefühl, die Fähigkeit sich in Leid, Liebe und Lust anderer zu versetzen.

Wir alle haben es schon so weit getrieben mit der Ausbeutung und dem Verbrauch, daß wir seit langem ahnen: wir leben in einer Zeitenwende: ökologisch, ökonomisch und vor allem sozial und intellektuell – das davor liegende Emotionale haben wir längst abgetötet – das ist das Hauptmerkmal der Erziehung zum Untertanen mit autoritärem Charakter. Heinrich Mann zeigte uns in seinem Roman, daß Kriechen und Treten nur zwei Seiten derselben Medaille, desselben autoritären Charakters sind.

Wir waren zaghaft seit dem Ende des II. Weltkrieges und besonders seit 1968, auf dem Weg zur Einsicht, daß Krieg, konkurrierender Leistungswahn und schwarze Pädagogik als angebliche Motoren der Geschichte inzwischen selbstmörderisch geworden sind. Zugleich wucherte aber auch das kapitalistische Krebsgeschwür des Mehrwertes in unseren Gesellschaften, die Religion des ungezügelten Fressens, deren Unterordnung fordernde autoritären Hohepriesterfratzen uns von Trump bis Bannon, von Mercer bis Hayek – und in unserem klein-kleinlichen Land von Sarazzin bis Weidel, von Kubitschek bis Höcke, von Sloterdijk bis Handke, und auf ganz armseligen Niveau von André Poggenburg bis David Berger – es sind ganze Legionen – inzwischen ungeniert und unmaskiert gegenübertreten. Sie alle sind Vertreter des Verbrauchs von Menschen und Ressourcen, (nicht nur natürlicher, materieller und intellektueller, vor allem emotionaler Ressourcen. Ein Verbrauch, den sie als naturgegeben deklarieren, als ewig, als im Blute; kein Wunder also, daß nationalistische Blut-Dummheiten wieder im Schwange sind. Mit Freuden skandieren sie den Spruch von den menschlichen Wölfen. Sie stoßen damit auf offene Ohren, die nur noch dissonante Töne wahrnehmen und dazu gehörige geblendete Augen wie z.B. bei so vielen Medienmenschen, die ihnen liebedienerisch zuarbeiten, ob Plasberg, Markwort, Matussek oder Strunz. Diese Taub- und Blindheit beginnt ganz früh, sie ist unserem Gesellschaftssystem des Verbrauchs eingewebt, sie wird, um noch einen physischen Vergleich aufzugreifen, mit der Muttermilch aufgedrängt.

Aber beginnen wir 250 Jahre früher als sich eine ähnliche Zeitenwende abzeichnete. Die ungenierteste artistische Huldigung jenes selbstverzehrenden Wahns waren damals die „120 Tage von Sodom“ – danach kam dessen realisierte Apotheose im europäischen Faschismus und Nationalsozialismus, die dann ein paar Jahrzehnte hinter den Paravents der Scham verborgen wurden; einer Scham, die nur so lange anhielt, so lange wenige davongekommene Opfer noch am Leben waren. Jetzt werden Anstand und Mitgefühl als Popanz „Political Correctness“ auf den „Müllhaufen der Geschichte“ gekippt. Schon allein dieser Begriff, political correctness, der von Rechten, nicht von Linken stammt, spottet über den Anstand und den Willen zum Miteinander. Jetzt wird auch verständlich, weshalb Alice Weidel jene „Müllhaufen-Metapher“ in die Welt setzte. Es ging ihr nicht um gehemmte Meinungsfreiheit, sondern eine ausbeuterische Hemmungslosigkeit! Eine von Ehrgeiz zerfressene Neoliberale kann gar nicht anders – Welt wird sie immer als eine des Verbrauchs ansehen, keine schützenswerte im angeblich unveränderlichen Sozialdarwinismus.

Mitgefühl, Miteinander und Anstand sind hinderlich im orgiastischen weltumspannenden Endstadium des Kapitalismus. Er macht vor nichts halt, alles bekommt sein Preisetikett. Gefühle ebenso wie Abwasser, Abluft und Fäkalien, an denen man auch noch verdienen kann. Genau davon handelt der Roman des Marquis deSade…

Jahrmarktsschreierisch behauptet der Autor zu Anfang, das seine sei das unzüchtigste Werk, das jemals geschrieben worden sei. Aber wenn Unzucht Anarchie meint und die Auflösung der Herrschaftsverhältnisse, dann ist der Roman der banal-verfehlteste (und zwar banal im Sinne Hanna Arendts) der Weltliteratur. Keineswegs ist er erotisch, denn er entbehrt jeder Spannung, hat weder Suspense, noch einen irgendwie überraschenden Plot: alles ist vorhersehbar, der Weg in den Lustmord ist nur konsequent. Foucault nannte diese Konsequenz bei deSade: „das schrankenlose Recht der allmächtigen Monstrosität.“

Wenn wir aber endlich fähig sind, die „120 Tage“ nicht mit den Augen eines Inquisitors zu lesen, der selbst die Erwähnung eines Astlochs für unzüchtig hält, dann erst können wir seinen wahren unbeabsichtigten Wert erkennen. Selbst als rasch ermüdende Aufzählung einer Unzahl von sexuellen Aberrationen und Philieen taugt er nicht. Es ist aber gerade der metikulöse Zahlen- und Ordnungswahn des Autors, der die gesamte Erzählung in knirschender Geometrie, mithin Hierarchie, hält – und der uns hellhörig machen sollte. Was sich zu Beginn als Werk der größten Unordnung preist, ist ein Abbild von strukturierter Herrschaft und Macht – Macht als Recht einiger Privilegierter zum Konsum von Menschen und Welt. Herrschaft als Institutionalisierung und Rechtfertigung alles verschlingender gargantuesker Gier, als Krebsendstadium der damaligen barocken Gesellschaft.

Räumen wir erst einmal die Mythosschlacken des Buches beiseite. Tatsächlich ist es zunächst nur eine hochstaplerische Onaniervorlage. DeSade war ein schriftstellerischer Dilettant und Gefängnisinsasse, der notgedrungen seine Phantasien auf dem Papier austoben mußte. Einige sexuelle Experimente, des aus dem Hochadel stammenden Donatien-Alphonse Francois deSade, die über die üblichen Libertinagen des galanten Rokoko hinausgingen, hatten dem Marquis bereits den Ruf eines Wüstlings eingebracht. Bei Orgien mit Prostituierten kam es zu Gewaltexzessen und Verabreichung von Drogen, und weder Einfluß noch Vermögen konnten ihn vor Anklagen retten: er wurde wegen versuchten Giftmordes und Homosexualität zum Tode verurteilt; aber er konnte sich der Vollstreckung entziehen durch Flucht in den Süden Frankreichs, dann nach Neapel und wollte dort das Szenario seines späteren Romanes Wirklichkeit werden lassen. Doch es kam zu nichts weiter als Planungen, die in Ermangelung der benötigten Geldsummen nicht weit gediehen; der geplante Lustmord ist nicht nur kälter als der spontane, er bedarf auch finanzieller Ressourcen. (Die Ressourcen der AfD werden ja inzwischen aufgefüllt aus Schweizer Quellen; aber der Marquis hatte keinen August von Finck.) Es sind übrigens die meisten Kunden von Dominas zwangsläufig eher Wohlhabende; der schäbige Rest muß sich das Vergnügen vom verzerrten Munde absparen.

Darauf war deSade keineswegs erpicht und reiste in der Hoffnung seine finanzielle Lage zu bessern wider besseres Wissen nach Paris zurück, wo noch immer das verhängte Todesurteil seiner Vollstreckung harrte – und wurde verhaftet. Der Marquis wurde nicht hingerichtet und saß mehr als 13 Jahre in verschiedenen Gefängnissen, in denen als Zeitvertreib und Outlet seines angestauten Hasses auf die Welt, die ersten Romane und Erzählungen entstanden, langatmig-zynische Werke über die „Missgeschicke der Tugend…“

Die „120 Tage von Sodom oder die Schule der Libertinage“ verfaßte deSade in ungeheurem Tempo im Sommer 1785 in der Bastille – genauso nachlässig wie die AfD ihr Partei-Programm. Daß der Marquis seiner ausufernden sexuellen Phantasie keine Zügel anlegte, durfte natürlich keiner seiner Bewacher erfahren. Deshalb klebte er die Blätter seines Manuskripts zu einer Rolle zusammen und versteckte sie jeden Abend nach dem Schreiben in den Wandritzen seiner Zelle. Da er nicht genügend Papier zu Verfügung hatte, konnte er nur den ersten Teil des Buches ausarbeiten; die drei weiteren blieben Skizze.

Die Weltgeschichte hinderte den Marquis an der Vollendung – einen Tag vor der Erstürmung der Bastille durch die revolutionären Massen wurde er in ein anderes Gefängnis verlegt. Das Manuskript galt über 100 Jahre verschollen und erschien zum ersten Mal als sexualpathologisches Kompendium, das ausschließlich Ärzten vorbehalten sein sollte. Bis heute changiert die Rezeption zwischen surrealistischer Begeisterung und zensorischer Verdammung.

Lassen wir literaturhistorische und moralische Aspekte beiseite, dann erkennen wir hinter der Tarnung als „Schule der Libertinage“: es geht um das Gegenteil von Freiheit; quasi eine bösartige, ordnungsfanatische Pädagogik, die Dressur zur lustvollen Akzeptanz des Leidens. Hier wird strukturiert, formuliert, klassifiziert, Rangfolge aufgestellt, Ungleichheit angebetet bis zum Exzess; recht eigentlich ist das der wahre Exzess.

Das Buch ist in vier große Abschnitte und penibel aufgezählte Unterkategorien eingeteilt, die jeweils einen Monat umfassen. Vorangestellt ist eine Einführung, die in der Manier eines Schauerromanes jener Zeit die Reise eines herrschaftlichen Trosses in das weit von jeder Zivilisation gelegene Schloß Silling im Schwarzwald beschreibt. Natürlich ist der Weg gefährlich und etliche Bedienstete müssen bereits ihr Leben beim Sturz in die Schluchten des Gebirges aushauchen; wie etwa auch etliche Kärrner der AfD auf dem Wege zur Machtergreifung das Partei-Zeitliche segneten.

Das angestrebte Schloß ist menschenfern bedrohlich und wird von einer hohen Mauer umgeben – eine Mauer von der heute wieder so viele träumen – die eben nicht nur Fremde draußen halten soll, sondern vor allem die Insassen drinnen. Das ist ja auch der eigentliche Zweck von Vermauerungen. Der antifaschistische Schutzwall schützte vor allem die Herrschenden darin.

Die Reisegesellschaft wird pedantisch in einer Art geometrisch gehaltener dramatis personae – Einführung vorgestellt: vier immens reiche Herren, die das Ganze finanziert und organisiert haben, Vertreter verschiedener Eliten. Ein Herzog, ein Bischof, ein Gerichtspräsident und ein Bankier. Sie werden begleitet von einem Harem von jeweils acht Mädchen und Jungen, halben Kindern, die hübschesten, die sich in ganz Frankreich auftreiben ließen, von verbrecherischen Emissären entführt und als Handelsware an die Herren verkauft. Des Weiteren acht muskulöse und mit hengstisch großen Gemächten ausgestattete Beschäler, Stellvertreter, die einspringen sollen, wenn es den Herren an Kraft mangelt; Juniorpartner der Korruption. Nur anscheinend bizarr: vier alte, häßliche Ex-Prostituierte und Verbrecherinnen. Man hat sie zum Kontrast mitgenommen, auf dessen verwesender Folie die Schönheit und Unschuld der halben Kinder umso dramatischer wirken. Schließlich: die vier Töchter der Herren und als letzte vier Puffmütter, die in den vier Genres, die über die Vier Monate des Aufenthaltes realisiert werden sollen, die größte Erfahrung haben und mit gewalt-pornographischen Berichten aus ihrem Leben die Anheizerinnen geben.

Zu Beginn in einem inzestuös-korrumpierenden Ritual – wie ja auch heutzutage ökonomische Korruption etwas Inzestuöses hat wie z.B. unter lupenreinen Demokraten, die Vorstände von Gasfirmen werden – heiratet jeder der vier Herren eine der Töchter, um so eine Verwandtschaft herzustellen durch Teilhabe an der Obszönität und am kindlichen Menschenbesitz des anderen. Dann beginnt mit dem ersten November der keineswegs chaotisch-archaische Reigen mit streng geregelten Orgien. Das Paradoxon existiert: die geregelte Orgie widersteht dem Chaos, wie ja die ungeheuerliche Ordnung, die um die KZs und Gulags errichtet wurde, die fortgesetzte Existenz des darin herrschenden Chaos erst ermöglichte.

Die vier Puffmütter erlustigen die Gesellschaft tagsüber mit einer genau festgelegten Anzahl von Berichten und Erzählungen im Genre des jeweiligen Monats. Die Abende sind der Nachstellung dieser Berichte in ausgedehnten Orgien gewidmet. Auch dann noch ist alles reglementiert – alle müssen sich an die sachte Steigerung der Exzentrizitäten halten, die in Grausamkeiten übergehen. Sogar die Verdauung aller ist geregelt – die Objekte der Befriedigung (denn das ist wichtig: sie dürfen keine Subjekte werden. Haben Marx und Freud deSade gelesen?) dürfen sich nur auf Befehl und unter voyeuristischer Beobachtung entleeren. (Wieso fallen mir gerade jetzt die Kontrollen der HartzIV-Behörden ein?) Es wird tatsächlich aus dem kleinsten Bißchen Scheiße noch Lustmehrwert gewonnen. Natürlich ist das alles so eingerichtet, daß diese Regeln nicht einzuhalten sind – Übertretungen werden genauestens protokolliert und später penibel-genüßlich diszipliniert und bestraft. Jeder Rutenstreich wird wie auf den Scharia-Marktplätzen in islamischen Diktaturen genau festgelegt und zum Genuß der Henker und der zuschauenden Menge gezählt – die vermeintliche Anarchie des Schmerzes wird so mit Regeln für diejenigen, die sie ausüben, umso lustvoller und spannender gestaltet.

Der erste Monat ist dem Spiel mit und dem Verzehr von menschlichen Ausscheidungen: Schweiß, Urin, Rotze, Kotze, Kot, Sarkasmen, Spott und Überheblichkeiten gewidmet – wer dächte da nicht an die täglichen Auswürfe eines Präsidenten, der sich inzwischen, nur das ist neu, nicht mehr in die Keramik, sondern ins Netz entleert. Aber der ist ja das große Vorbild jener Heerscharen von Pegida bis zur AfD usw., die von ähnlichen Veranstaltungen wie denen im Schloß Silling träumen und ihre Phantasien darüber auch täglich im Netz ausspeien – Beispiele: siehe oben!

Die Herren bei deSade delektieren sich daran wie sie bei ihren Objekten zunächst noch Widerwillen und Ekel erzeugen. Aber es entsteht durch Wiederholung Gewöhnung, sogar Langeweile, deshalb werden die Spielarten der Mysophilie immer obszöner; wie man ja auch an Verbalexzessen der AfD erkennen kann. Was anfangs noch als épater le bourgeois hingehen könnte, wird rasch zu einer ermüdend exekutierten Aufzählung des „und dann das noch und dann noch dies und dann jenes“. Die Erzählerinnen müssen berichten, wie der Sohn den Kot des Vaters und der den Kot des Sohnes aß, dann dasselbe noch einmal bei Mutter und Tochter, bei Bruder und Schwester, bei Pfarrer und Beichtkind und so fort bis zum Abwinken: hatten wir doch schon! Genau der gleiche Effekt tritt ein, wie wir ihn heute nach den nicht enden wollenden obszönen Absonderungen der AfD-Figuren erleben müssen: Gewöhnung, das „so what?“. DeSade hat es sogar selbst festgestellt; er notiert, daß er die „Abtrittgeschichten“ etwas zügeln müsse, damit keine Langeweile durch Wiederholung entsteht.

Die Herren aber freuen sich, daß von den Kothaufen der Geschichte Unmengen an Scheiße gefressen werden, reiben sich die Hände und Geschlechtsorgane und rücken eine Stufe der Entmenschung weiter. Sie kaufen die Schloßstraße, das Schloß, die Latrine, die Bewohner, dann deren Innerstes und verwandeln alles in Scheiße, Hohn und am Schluß in Blut.

Im zweiten Teil des Buches geht´ s um Profanationen und Vergewaltigungen. Alle Kindesalter nimmt man sich vor und zählt genau auf wieviele Kinder in welche Körperöffnungen penetriert werden – nur die Hüpfburgen fehlen, die gab es im Barock noch nicht. Es werden Gruppen gebildet, Trios und Quadrillen und wenn die Mathematik nicht mehr hergibt, kombiniert man die Vergewaltigungen mit eben den koprophilen Spielereien des ersten Monats. Ergebnis: wieder kurzfristige Übersättigung, dann Steigerung der Aktionen. Es werden noch ein paar öde Blasphemien mit Hostien und katholischen Kultgegenständen getrieben und schließlich, in freudiger Erwartung aufs Kommende, schon einige Auspeitschungen vorgenommen. Die geraubten Kinder sind bereits aufs Äußerste körperlich und seelisch mißbraucht, was aber die Herren bloß weil sie es können, weil sie die Macht haben, weil sie sie in Besitz genommen haben, zu gesteigerten obszönen Ritualen anstachelt – ganz abgesehen von der banalen Tatsache, daß es stets leichter ist, die Schwachen zu mißhandeln.

Ich spreche von Ritualen; Ritualen der Provokation, der Gier, des kurz befriedigten Hungers, der Freßlust – die den Kindern klarmachen sollen, daß sie unter die Wölfe geraten sind, daß diese Tatsache der einzige Zweck des Lebens sei, daß sie sich abfinden müssen mit dem Gefressenwerden.

Der dritte Monat, der Januar, ist den schon schärferen Bestrafungen und Entwürdigungen gewidmet. Die Herren lassen ihren ganzen Lebenshaß, auf Jugend, Schönheit und Lebendigkeit, den Haß auf das Unwölfische, freien Lauf – sie quälen nicht nur körperlich mit Schlägen und Vergewaltigungen, jetzt demütigen sie auch noch verbal oder mit widersinnigen Handlungen und brechen genüßlich Versprechen der Erlösung.

Gegen Endes des Monat steigern sich die Foltern: man läßt bereits zur Ader, fertigt aus dem Blut Würste und ißt sie auf. Man zerschlägt Flaschen auf den Gesichtern oder läßt die Kinder in Nägel stürzen, bricht ihnen Arme und Beine, schneidet Finger und Zehen ab und Fleischstücke aus dem Körpern, die verzehrt werden. Ich denke da sofort an den Doktorvater von Alice Weidel, Peter Oberender, der sich neoliberal (alles hat seinen Preis) Gesundheitsökonom nannte. Er forderte, Menschen, die in finanzielle Bedrängnis gekommen seien, müßten die gesetzliche Möglichkeit haben, ihre Organe zu verkaufen – aber natürlich strengstens gesetzlich geregelt und normiert wie beim Marquis deSade – dort ist die Reihenfolge der Amputationen ebenso strengstens geregelt.

Im letzten Monat, dem Februar, setzen die Herren – auch hier wieder strukturiert in täglichen Steigerungen – zum Endspurt an. Sie machen medizinische Versuche wie Mengele, amputieren immer weiter, schneiden Nasen, Ohren und Zehen ab oder stechen Augen aus, füllen die Körperöffnungen der Kinder mit flüssigem Blei oder Scheidewasser und achten darauf, sie bis zum Ende am Leben zu erhalten. – Das erinnert an die Todesmärsche auf die KZ-Gefangene gegen Endes des Krieges geschickt wurden. Ungezählte kamen dabei um – aber obwohl die Niederlage abzusehen war, verlängerten ihre Bewacher das Leiden, um die bereits unbeschreiblich Gefolterten vielleicht doch noch irgendwo anders weiter quälen zu können; wenngleich ja der tödliche Ausgang der Torturen ohnehin feststand.

In den letzten der „120 Tage“ werden die Lustobjekte in ausgeklügelter Reihenfolge umgebracht. Auch die vier alten Vetteln werden zu Tode gefoltert. Im Verlauf der finalen Orgie werden die letzten Kinder unter ungeheuren Martern niedergemetzelt. Drei der Töchter der Herren sind bereits ermordet worden. Der letzten Tochter schneidet man als Höhepunkt ein Kind aus dem Leibe. Womit insbesondere auch der Haß auf Kinder und deren Zukunft, auf ihr Weiterleben, wenn die Eltern längst gestorben sind, zerstörerische Realisierung findet.

Ich entschuldige mich nicht, daß ich diese Exzesse hier aufzählen muß, es ist notwendig. Ich bin nicht einmal in die Details gegangen. Die krönende Infamie kommt jedoch am Ende des Machwerks, fast geht sie unter in Kotze und Kot. Seiner Buchhaltermanie zu frönen, listet deSade lakonisch auf, wann wer „abgetan wurde“, wie er das nennt. Er zählt – als Ökonom sein Menschenmaterial wie ein Neoliberaler auf – alle Gemarterten mit Datum und Todestag, rechnet zusammen, wer ins Schloß kam und abkratzte und schließt:

Davon wurden 30 umgebracht und 16 kehren nach Paris zurück. Was die Martern der zwanzig letzten Opfer (…) betrifft so ist das entsprechend zu schildern; zu sagen, daß die zwölf Übrigbleibenden alle miteinander aßen und die Martern nach Belieben.“

DeSade sagt das mit jener kältesten Männlichkeit, von der Björn Höcke behauptet, sei uns verlustreich verloren gegangen. Männlichkeit wie sie Höcke meint, ist also kannibalisch wie die Säue, die in Auerbachs Keller besungen werden. Das steckt hinter der billigen Goebbelsimitation – die Ermannungssehnsucht zum Mord! Die ultimative Pseudo-Erektion eines emotional Impotenten mit blutigem Erguss-, die Mannbarkeit des „weil ich´s kann!“

Dieser allerletzte Nebensatz vom Aufessen ist aber die Hauptsache! Nach all den immer gezielter werdenden Grausamkeiten und dem Haß, geht er fast unter: doch er entlarvt den letztmöglichen Konsum, das endgültige Einverleiben, den Verbrauch von Jugend und Alter, Leib und Leben, von Atem und Tränen, von Lust und Trauer, von Sex und Schmerz. All das kann das nur noch einen Paroxysmus finden, völlig real und gleichzeitig symbolisch: das Auffressen, den genußvollen Kannibalismus.

Diese Kolumne ist die gekürzte und um aktuelle Akzente angereicherte Version eines Essays über den Einfluß des Werkes des Marquis deSade in Politik und Kultur.

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