Das Messer im Stiefel – Eine Kolumne für Tom Petty
In der Hörmal-Kolumne widmet sich unser mittlerweile unfreiwillig zum Nachrufspezialisten mutierte Musikarchivar Ulf Kubanke diesmal Tom Petty
Now cracks a noble heart. Goodnight, sweet prince;
And flights of angels sing thee to thy rest.
(Horatio in Shakespears „Hamlet“ um 1600)
Gainesville, Florida Anfang der 60er Jahre: Der ungeschlachte Mann, der in Floridas Sümpfen Fische fängt und Alligatoren jagt, ist ein gewaltätiger Grobian. Für den aus seiner Sicht verweichlichten Sohn hat er wenig übrig; noch weniger für dessen Hang zu Rock’n’Roll. So zerstört er die Plattensammlung des Teenagers. Auch sonst verlief die Jugend von Thomas Earl Petty eher spröde. Schule war nicht sein Ding und der Haussegen hing wegen der übergriffigen Tyrannei Petty Seniors ständig schief.Doch der Junge, der späterhin als Tom Petty zum Weltstar werden sollte, steckte nicht auf. Einen Teil seines hartnäckigen Kämpfernaturells und der Unbeugsamkeit, habe er – so Petty später – von seiner Großmutter, einer Cherokee, geerbt. Zwei Erlebnisse halfen ihm beim Finden des eigenen Wegs. Sein Onkel arbeitete im Nachbarort Ocala als Ausstatter auf dem Set des 1961er Elvis Presley-Films „Ein Sommer In Florida“. Er nahm den kleinen Tom mit und zeigte ihm den „King“ von Angesicht zu Angesicht. Er durfte sogar mit ihm sprechen. Der Junge war tief bewegt von der zumindest seiner Empfindung nach überirdischen Strahlkraft Presleys und dessen Musik. Von nun an war er Rock’n’Roll-Fan.
Der zweite Schlüsselmoment war ein Fernsehauftritt der Beatles 1964. Von nun an war dem Dreizehnjährigen klar, dass die Musik auch sein Weg sein würde, er unbedingt eine Band haben müsste und eigene Songs komponieren werde. Doch der Pfad erwies sich erwartungsgemäß als steinig. Dieser Mann, der späterhin lässig den Hyde Park füllte, beim Super Bowl auftrat, seinen eigenen Stern auf dem Walk Of Fame des Hollywood-Boulevards hat und in die Rock’n’Roll-Hall of Fame aufgenommen wurde, kannte manch trübe Durststrecke. So spielte er mit einer Urformation der späteren Heartbreakers (Mudcrutch) zunächst jahrelang als Hausband in einem abgetakelten, örtlichen Stripperclub. Im Laufe der Zeit verwachsen seine kongenialen Mitstreiter – besonders der wichtige Leadgitarrist und oftmalige Co-Komponist Mike Campbel – mit ihm , so wie Crazy Horse mit Neil Young oder die Bad Seeds mit Nick Cave.
Der knorke Tom von nebenan
Das besonders Sympathische an Petty war sein warmherziges Wesen, verbunden mit einer im Rockstarolymp seltenen Bodenständigkeit. Niemals vergaß er, woher er kam. Arroganz oder Unzuverlässigkeit waren ihm fremd. Das machte ihn auch im Showbiz zu einem der beliebtesten Kollegen überhaupt. Die Liste jener, die stolz auf eine enge Freundschaft mit Petty waren, ist lang: George Harrison, Ringo Starr, Roger McGuinn (Byrds), Bob Dylan, Roy Orbison, Jeff Lyne (ELO) oder Johnny Cash sind nur einige von ihnen. Dylan, der sich sonst nicht mal zu Wort melden würde, wenn der Weltuntergang bevorstünde, verkündete sofort öffentlich seine tiefe Trauer um den Menschen und Musiker.
Ebenfalls mit Stevie Nicks (Fleetwood Mac) verband ihn eine lebenslange, platonische Zuneigung. Er bezeichnete sie stets als Ehrenmitglied seiner Heartbreakers, gab ihr nach einer tiefen Krise das Selbstvertrauen zurück wieder zu Komponieren und arbeitete mehrfach mit ihr zusammen. Hier der gemeinsame Hit ihres 1981er Solo-Albums „Bella Donna“; zuletzt von beiden nur wenige Wochen vor seinen Tod aufgeführt:
https://www.youtube.com/watch?v=Q2tMHY2NrBk
Mit vier der oben genannten Herren verkörperte Petty die ultimative, auf ewig untopbare Supergroup aller Supergroups: The Traveling Wilburys a.k.a. Dylan, Orbison, Harrison. Lynne und Petty. Obwohl deutlich jünger als Sir Bob oder die Beatles genoss er bei den weitaus älteren Kollegen von der Ikonenfront tiefen Respekt für sein songwriterisches Talent, die textliche Vielseitigkeit und die Fähigkeit, jedes Lied in Arrangement und Produktion auf den erdenden Punkt zu bringen. Petty lakonisch: „Ein Gitarrensolo wird nicht dadurch besser oder effektiver, dass man sich vorher minutenlang durch einen misslungenen Song quälen muss.“
Das Geheimnis von Pettys Musik
Er wusste durchaus, wovon er hier sprach. Doch was ist das Geheimnis seiner Musik? Immerhin verkaufte er in 40 Karrierejahren gute 80 Millionen Platten. Dabei war er im Gegensatz zu seinen Idolen nirgends der erste, der einen besonderen Stil erfand. Auch klingt seine Musik weder besonders spektakulär, geschweige denn innovativ. Im Gegenteil: sie ist geprägt von eklektischen Versatzstücken Rock, Folk, Singer/Songwriter, Country, Blues und einem oftmals gehörigen Schuss Pop. Petty war der ewige Anachronist. Ab 1977, in der Phase des aufkeimenden Punk, Postpunk, New Wave etc wirkte er wie ein Hillbilly inmitten eines Neonparks. Ein Mann, der von der Wiege bis zur Bahre die immer gleiche Nichtfrisur zur Schau stellte und sich nicht die Bohne um moderne Trends in der Musik scherte.
Doch genau an dieser Stelle liegt der sprichwörtliche Hund begraben. Petty war als Songwriter, Produzent und Bühnentier einfach dermaßen gut, dass er jede scheinbar geborgte Facette mit eigener Identität füllte. Er brauchte kein Styling. Er war die Musik. Egal ob er pures Entertainment für die Party servierte oder nachdenkliche Stücke für intime Momente: jede Note atmet eine Ausstrahlung, die ihresgleichen sucht.
Selbiges gilt für Stimme und Zeilen. Den Gesang erkennt man sofort. Er hat ein angenehm weiches Timbre, das sich gleichermaßen für Lagerfeuersongs, trockene Rocker und poppige Tanzflächenfeger eignet. Einen Teil des unbedingten Wiedererkennungswerts macht dabei sein eigentümlicher Akzent aus. Man hört die kalifornische Westküste ebenso heraus wie auch den knödelnden Südstaatler. Doch nicht nur wie er singt, ist bemerkenswert, sondern auch was er vorträgt: Pettys textliche Bandbreite ist schlichtweg erstaunlich. Fetentext, Romantik, sarkastische Sozialkritik, treffende Politanalyse, die kleinen und großen Krisen des Lebens, Sucht, Verlust und pure Lebensfreude! All das hatte er im Repertoire. Egal, wer du bist, wo du lebst und was du machst: Es gibt immer den passenden Petty-Song.
So gut kann man nur sein, wenn einem die Musik wichtig ist, und man die Freiheit genießt, sie ohne Zwänge und Druck auszuüben. Deshalb war dieser ansonsten so nette Typ von nebenan ein knallharter Verfechter von Musikerrechten im Allgemeinen und den eigenen im Besonderen. Alles unterhalb von „Full Artistic Control“ war für Petty stets indiskutabel. Man kann sich denken, dass er so manchen Kampf mit den Labels ausfocht. Bei Erstverhandlungen hatte er oft einen psychologischen Trick aus der heimischen Redneck-Abteilung in Petto. Wie Crocodile-Dundee zog er ein martialisches Messer aus dem Stiefel und säuberte sich damit während des Gesprächs die Fingernägel.
Eine Handvoll Nuggets – die Anspieltipps
Wer das eigene Leben nicht komplett unter einem Stein verbrachte, kennt Pettys Welthits. Egal ob „I Won’t Back Down“, „Free Fallin’“, „Into The Great Wide Open“ oder „Learning To Fly“ usw.. Insofern ergäbe es im Grunde keinerlei Sinn, selbige hier vorzustellen. Lasst uns lieber schauen, was des Meisters umfangreicher Katalog abseits ausgetretener Pfade bereithält. Aber ganz ohne Evergreens geht es auch nicht, schon klar. Also spiele ich stellvertretend für Pettys Armee der Gassenhauer hier den frühen Chartbreaker „Don’t Do Me Like That“ aus seinem 1979er Durchbruchsalbum „Damn The Torpedoes“.
Aus zwei Gründen habe ich mich für diese Nummer entschieden. Zum einen, weil es – so heißt es – ein Favorit von Meryl Streep ist. Zum anderen weil es der Petty-Liebligssong meiner Frau ist.
Als charmante Kuriosität nun ein Stück, das weniger durch Brillanz auffällt, dafür jedoch durch die schier unglaubliche Besetzung. Man glaubt es kaum: Joni Mitchell, Billy Idol und Tom Petty haben gemeinsam ein Lied verfasst. Der „Dancin‘ Clown“ erscheint auf Mitchells 1988er-LP „Chalkmark On A Rainstorm“.
Direkt nach den beiden extrem erfolgreichen LPs „Full Moon Fever“ (1989) und „Into The Great Wide Open“ (1991) begab Petty sich 1994 für „Wildflowers“ in die Hände von Kultproducer Rick Rubin. Das tat ihm hörbar gut. Waren die beiden Vorgänger doch recht deutlich vom opulenten Schlagsahnesound Jeff Lynnes geprägt. Rubin, der fast zeitgleich am ersten Teil von Cashs legendärem Spätwerk „American Recordings“ bastelt, kennt sich aus mit dem Abspecken von Klangbildern. Er verordnet den Arrangements eine strenge Diät und arbeitet den puren Petty mit allen Ecken und Kanten gut sichtbar heraus. Hier zunächst das straight rockende „Honey Bee“:
Auf ersterer bewegt er sich stark in Richtung Blues und verleiht den härteren Momenten einen ordentlichen Schuss Wüstenrock, der nicht nur jedem Freund der Allman Brothers gefallen wird.
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