Der Schmerzensmann des Blues – Eine Kolumne für Nick Cave

In dieser Folge seiner Hörmal-Kolumne gratuliert Ulf Kubanke dem großen australischen Songwriter Nick Cave zu dessen 60. Geburtstag.


„They’re whispering his name
through this disappearing land.
But hidden in his coat
is a red right hand“
(Nick Cave: „Red Right Hand“)

Vor nicht allzu langer Zeit äußerte Nick Cave die Befürchtung, dass fortan womöglich sein gesamter Katalog im Schatten des tödlichen Unfalls seines Sohnes beleuchtet werde. Gerade weil sein Werk sich in erheblichem Maße mit dem finstersten Unbill des Lebens beschäftigt, kommt dies nicht von ungefähr. Sind die Cave-Chroniken doch randgefüllt mit Symbolen von Tod, Erlösung sowie dem oftmaligen ethischen Scheitern der Spezies Mensch.

Dennoch wird seit über 30 Jahren gern und oft übersehen, dass der australische Schmerzensmann vor allem ein grandioser Geschichtenerzähler ist, der Augenzwinkern und Humor ebenso in seine Dramen einbaut wie manch ironische Brechung. Doch wie kann man diesem quantitativ wie qualitativ herausragenden Oeuvre in einer einzelnen Kolumne gerecht werden? Am Besten noch mit Schlenker gen frühe Formationen wie Birthday Party? Die Antwort ist einfach: Man kann es nicht. Jedenfalls nicht, so man die komplexe Betrachtung des Cave/Bad Seeds-Kosmos nicht zugunsten oberflächlichen Abbügelns opfern möchte.

Also lassen wir das doch einfach und verschieben die tiefgründige Cave-Artikel-Serie auf später.

Was ich gleichwohl tun kann: Einfach mal einen kleinen, aber feinen Strauß beachtenswerter Cave-Songs binden. Und zwar weitgehend ohne die erwartbaren üblichen Verdächtigen wie „Mercy Seat“, „Where The Wild Roses Grow“ oder „The Weeping Song“. Die sind zwar wundervoll, verstellen indes mitunter ein wenig den Blick auf manch andere Großtat. Doch nun genug geschwafelt. Wir legen los.

Zu Beginn muss es natürlich ein echter Feger sein. Viele lieben seine „Murder Ballads“ aus den Jahr 1996. Nicht nur wegen des Duetts mit Kylie Minogue, „Where The Wild Roses Grow“. Eine der besten Mordgeschichten aus seiner Feder taucht leider gar nicht erst auf dem Album auf. „The Ballad Of Robert Moore & Betty Coltrane“ verheizt der Australier vollkommen unverständlich als B-Seite zur obigen Maxi. Befreien wir das Stück aus der Wahrnehmungsquarantäne!

Die Story bietet große Unterhaltung in bester Tarantino-Manier. Betty Coltrane nippt an ihrem Drink und kann gerade noch unbemerkt unter den Tisch springen, während nach und nach diverse Männer eintreffen, nach ihr fragen und auf einmal bemerken, dass sie einander allesamt Nebenbuhler sind. Das eifersüchtige Quartett metzelt sich gegenseitig nieder, und Betty erledigt den letzten von ihnen: Robert Moore. Lapidar zuckt sie mit den Schultern, schnippt ’nen Dollar für den Whiskey auf den Tresen und geht mit den Worten „I’m sorry Mr Barman to leave your place this way.“

Wollt ihr noch eine B-Seite dieser Qualität? Gern! „The Train Song“ gehört zu einem Zyklus aus dem 1990er Werk „The Good Son“. Es gibt dort den „Hammer Song“, den berühmten „Weeping Song“, den oft gecoverten „Ship Song“ und den „Witness Song“. Ausgerechnet der famose „Train Song“ findet kein Plätzchen auf der LP und landet als Stiefkind auf der Rückseite vom „Ship Song“. „Tell me, how long’s the train been gone? And was she there? And was she there?“ Diese sehnsuchtsvolle Romanze zum Piano hätten auch Cohen oder Waits nicht von der Bettkante of Song geworfen.

Ohnehin lohnt es sich ausnahmslos, Caves meist selbst gespieltem Piano erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken. Das Titelstück seiner 1986er Platte „Your Funeral My Trial“ ist eines dieser glanzvollen Schwarzlichter. Mit traubenschwerer Piano-Hookline und ebensolchen Zeilen kündet der Mann aus Warracknabeal (ich liebe den verschrobenen Namen seines Herkunftsorts) vom rabiaten Ende einer Liebschaft. Der Protagonist singt dieses Lied, während er sich auf den Weg zu seiner untreuen Geliebten macht. Sie wird die Nacht nicht enden sehen.

Doch Mr Cave ist nicht nur den finalen Kapiteln menschlicher Existenz verbunden. Er erweist sich ebenso als Chronist allen Anfangs. “The beast it cometh, cometh down!” Jede Menschwerdung ist unweigerlich ein Akt der Pein. Alles quält sich, alles schält sich unter Schmerzen heraus. Sogar die Natur gerät hier in zerberstenden Aufruhr. Gewitter, Sturm und reißende Güsse umwehen diese energetische Apokalypse. Das unheilschwangere, recht alttestamentarische Südstaaten-Szenario um die Geburt Elvis Presleys mauserte sich seit 1985 zum markerschütternden Kulttrack seiner Sets. Mit dieser brachialen Liveversion („Live Seeds“ 1993) des Studio-Originals von „The Firstborn’s Dead“ trotzt man jedem Unwetter. ”Oh mother, rock your little one slow, mother rock your baby. For the KING is born in Tupelo!”

Nach so viel Getöse kommen wir mit Nicholas Edward Cave zu den stilleren Momenten menschlicher Merkwürdigkeit. „Watching Alice“ ist eine seiner besten Balladen. Die Musik klingt romantisch. Doch der Gesang wirkt sinister, depressiv und ausgezehrt. Cave erzählt die Geschichte eines Voyeurs, der seine gegenüber wohnende Nachbarin jeden Tag heimlich beobachtet, wenn sie sich an- und auszieht. Der Anblick erregt ihn. Doch weit schwerer wiegt die unerfüllte Liebe zu ihr. Eine Zuneigung, die nie Gestalt annehmen wird. Denn er, der skurile und von Selbstzweifel zernagte Eigenbrötler wird sich niemals trauen, sie direkt anzusprechen. „Watching Alice dressing in her room…it’s so depressing, it is cruel.“

Zum Schluss geht es auf den Gipfel. Wer es hört, der liebt es: Caves Hommage gen John Milton, „Red Right Hand“! Egal ob Metaller, Goth, Jazzer, Popfan oder Indie-Head – dieser unwiderstehlich groovende Killer schlendert, mitunter leicht hinkend arrangiert, als elegantes Sahnehäubchen in die Ohrmuschel. Er verlässt diesen Ort nie wieder.

https://www.youtube.com/watch?v=EX8Kj1-Yk_c

Alles Gute zum 60. Geburtstag, Du niemals aufgebender, grandioser Künstler!

PS: Wer noch nicht genug hat, dem lege ich die Melenstein-Review auf laut.de zu „Let Love In“ ans Herz.

Let love in (in: laut.de)

Ulf Kubanke

Ehemaliger Anwalt; nun Publizist, Gesprächspartner und Biograph; u.a. für Deutschlands größtes Online-Musikmagazin laut.de.

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