Das Aiwanger-Dilemma

Der Parteichef der Freien Wähler in Bayern und im Bund, Hubert Aiwanger, hat möglicherweise ein Problem. Allerdings kein rechtliches. Eine Kolumne von Heinrich Schmitz.


Bild von Alexa auf Pixabay

Hubert Aiwanger steht unter Druck. Als 17-Jähriger soll ein reichlich ekelhafte Flugblatt, das nach eigenem Bekunden aus der Feder seines Bruders Helmut stammte, in seiner Schultasche gefunden worden sein. Es gab eine Sanktion durch die Schule. Aiwanger sollte ein Referat halten. Danach wurde die Sache wohl unter den Teppich gekehrt. Auf Initiative eines früheren Lehrers wurde das nun nach Berichten der Süddeutschen Zeitung zum Thema. Und das ein paar Wochen vor der Landtagswahl in Bayern.

Damals

Warum damals, im Schuljahr 1987/88, von der Schule keine Anzeige erstattet wurde, weiß ich nicht. Das in den Medien veröffentlichte Flugblatt hätte jedenfalls dazu Anlass gegeben. Und nach einem Jugendstrafverfahren würde Herr Aiwanger sich wohl heute besser fühlen. Als damals Jugendlicher hätten ihm vielleicht eine Verwarnung und ein paar Sozialstunden gedroht. Dann wäre die Sache vom Tisch gewesen und heute für ihn kein Problem mehr.

Jedoch ist das aber häufig so, dass Dinge die unter den Teppich geraten sind, irgendwann mal wieder auftauchen. Jetzt ist zwar strafrechtlich – auch das wäre dann jugendstrafrechtlich, weil es um den Zeitpunkt der Tat ginge – der Zug lange schon abgefahren, politisch allerdings nicht.

Und das liegt jetzt weniger an der bösen Süddeutschen Zeitung, die von weniger Wohlmeinenden auch Alpenprawda genannt wird, sondern an dem geradezu dummdreisten Verhalten Aiwangers nach Bekanntwerden der ganzen Sache. In den sozialen Medien beschweren sich Verteidiger des bayrischen Wirtschaftsministers – ja, das ist er auch noch – darüber, dass dieser nun mit Dreck beworfen würde. Ja, er wird mit Dreck beworfen, es ist allerdings der Dreck, der vorher in seiner Schultasche steckte.

Bruderliebe

Die Urheberschaft für das Schreiben hat schnell der Bruder Helmut Aiwanger übernommen, der das üble Pamphlet, das angeblich von ihm verfasst wurde, als Provokation und überspitzte Satire bezeichnete. Die habe er verfasst, weil er sich über eine Nichtversetzung geärgert habe. Kennt man ja von den hunderttausenden, den Holocaust verharmlosenden Flugblättern, die jedes Mal nach der Zeugnisvergabe von wütenden Sitzenbleibern verfasst werden. Warum nun ein oder mehrere dieser Drecksblätter sich in Bruder Huberts Schultasche wiederfanden, weiß der gute Helmut auch nicht zu sagen. Vielleicht, ja vielleicht hat der Hubert die nur wieder eingesammelt, um böse Folgen für den armen Helmut zu verhindern. So geht wahre Bruderliebe.  Wie gut, dass sich das kein Strafrichter mehr anhören muss. Die Wahrscheinlichkeit, dass einem so eine Story geglaubt wird, dürfte verschwindend gering sein.

Kein Strafverfahren

Aber wie gesagt, es gibt kein Strafverfahren. Wir müssen nicht die Unschuldsvermutung bemühen, um festzustellen, dass die Brüder Aiwanger keine strafrechtliche Sanktion zu erwarten haben.

Dennoch, nun jammert  der Aiwanger Hubert, er sei das Ziel einer politischen Kampagne. Auch das ist selbstverständlich sein gutes Recht und mag sogar stimmen. Ob ihm das letztlich schadet, wage ich nicht zu prognostizieren. Wenn ich mir anschaue, wie die Reaktionen in den sozialen Netzwerken so ausfallen, stelle ich dort eine große Verteidigungsbereitschaft fest. Und diese Leute werden kein Problem damit haben, ihren (Maul-) Helden auch bei der nächsten Wahl wiederzuwählen.

Unreifes Früchtchen

Die Verteidigungslinie läuft in etwa so. Das Ganze sei ja nun 35 Jahre her, der Aiwanger Hubert sei damals zarte 17 gewesen. In diesem Alter sei man ja noch völlig unreif und mache so manchen Blödsinn. Stimmt. Jugendlich begehen jedes Jahr eine ganze Menge von Straftaten. Die Altersgruppe der 14 – 18-Jährigen kam im Jahr 2022 auf insgesamt 189.149 Straftaten.

Wenn Sie sich allerdings mal die einzelnen Taten anschauen, was Sie hier können, stellen Sie fest, dass Volksverhetzung und ähnliche Taten  eher nicht dort auftauchen. Ob das heute auch alles von den Schulen verheimlicht wird, glaube ich nicht.

Diejenigen, die meinen, ein 17-Jähriger habe ja noch gar nicht gewusst, was er da tut, sind nicht selten dieselben, die für 17-jährige Klimaaktivisten mindestens gleich einmal Haftstrafen verlangen und die einer Senkung des Strafmündigkeitsalters auf 12 Jahre positiv gegenüber stehen.

Ob nun die weiteren Anschuldigungen früherer Mitschüler zutreffen, Hubert Aiwanger habe häufiger bei Betreten der Klasse den Arm zum Gruß gehoben, eklige Judenwitze erzählt, Schwule Schwuchteln genannt und einen Hefter mit der Aufschrift „Schwarzbraun ist die Negersau“ mit sich geführt, weiß ich nicht. Es ist die Gnade der frühen Geburt, dass zu Schulzeiten Aiwangers noch nicht jeder Sepp ein Handy dabei hatte, um die Großtaten des Klassenführers gleich zu posten oder auch nur zu filmen. Andererseits wüsste ich auch nicht, aus welchem Grund frühere Mitschüler so etwas erfinden sollten. Es sei denn, sie hätten noch andere Probleme mit ihm gehabt.

Demenz

Nun denn, Aiwanger scholzt da etwas arg und beruft sich darauf, keine diesbezüglichen Erinnerungen zu haben. Das ist zwar etwas ungewöhnlich, denn an die Oberstufenzeit erinnere ich mich zum Beispiel deutlich besser als an manches, was danach geschehen ist. Schon alleine, weil in dieser Zeit so viele Dinge zum ersten Mal geschehen. Aber gut. Was weiß ich, in welchem Tran Herr Aiwanger durch die Schulzeit gegangen ist oder ob er nun an einem politisch-demenziellen Syndrom leidet.

Immerhin hat Herr Aiwanger nach einigen Tagen und einer Extraportion Druck so etwas wie den Versuch einer Entschuldigung unternommen. So sagte er:

In den vergangenen Tagen hat es zahlreiche Vorwürfe gegen mich gegeben. Es geht um ein abscheuliches Pamphlet, das vor 36 Jahren in meiner Schultasche gefunden wurde. Und es sind Aussagen aufgetaucht, die den Eindruck vermitteln, ich wäre als Jugendlicher auf einen menschenfeindlichen Weg geraten. Ich habe als Jugendlicher auch Fehler gemacht.

Aha. Da wurde also ein abscheuliches Pamphlet in seiner Schultasche gefunden. Wo das wohl herkam? Keine Ahnung. Kennt man ja von Polizeikontrollen. Ich habe keine Ahnung, wie die Drogen in meine Tasche gekommen sind. Die muss mir jemand untergeschoben haben, um mir zu schaden. Das wird in 35 Jahren garantiert von so einer roten Socke gegen mich verwendet werden. Verdammt.

Ich bereue zutiefst, wenn ich durch mein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet oder weitere Vorwürfe gegen mich aus der Jugendzeit Gefühle verletzt habe. Meine aufrichtige Entschuldigung gilt zuvorderst allen Opfern des NS-Regimes, deren Hinterbliebenen und allen Beteiligten und der wertvollen Erinnerungsarbeit.

Ei, was kann er denn dafür, wenn durch sein Verhalten in Bezug auf das in Rede stehende Pamphlet – so geschwollen würde ich nicht mal besoffen reden und der Mann wird für seinen „Klartext“ gerühmt – oder Vorwürfe gegen ihn aus der Jugendzeit, Gefühle verletzt wurden? Kann mir mal jemand sagen, wofür sich der Mann da nun genau entschuldigt, wenn er die selbsternannte Unschuld vom Lande ist?

Die genannten Vorwürfe liegen 36 Jahre zurück. Ich betone nochmals: Ich habe das Pamphlet nicht verfasst. Ich distanziere mich in jeder Form von dem ekelhaften Inhalt. Ich war nie ein Antisemit. Ich war nie ein Menschenfeind.

Ja, sag ich doch, er hat eigentlich gar nichts damit zu tun. Und er war nie Antisemit und/oder Menschenfeind. Warum er dann allerdings an anderer Stelle erklärt:

„seit dem Erwachsenenalter, die letzten Jahrzehnte: Kein Antisemit, kein Extremist, sondern ein Menschenfreund.“

kann ich mir auch nicht erklären. Denn wenn ich betone, dass ich seit dem Erwachsenenalter kein Antisemit, Extremist, sondern ein Menschenfreund bin, dann beinhaltet das sprachlich zumindest außerhalb Bayerns, dass ich das vorher sehr wohl gewesen sein könnte, host mi?

Die Vorwürfe haben mich erschreckt. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Hitlergruß gezeigt zu haben. Ich habe keine Hitler-Reden vor dem Spiegel einstudiert. Weitere Vorwürfe wie menschenfeindliche Witze kann ich aus meiner Erinnerung weder vollständig dementieren noch bestätigen. Sollte dies geschehen sein, so entschuldige ich mich dafür in aller Form.

Herrlich, er kann weitere Vorwürfe wie menschenfeindliche Witze aus seiner Erinnerung weder vollständig dementieren noch bestätigen, schließt die aber immerhin nicht aus und entschuldigt sich vorsichtshalber schon mal dafür. So geht wahre, von tiefer Einsicht getragene Reue. Ich habe zwar keine Ahnung, was ich alles gemacht habe, entschuldige mich aber sicherheitshalber schon mal für alles, was ich möglicherweise gemacht habe. Oder wie man hier scherzhaft so sagt: Entschuldigen Sie, dass ich geboren bin.

Es ist jedoch nicht akzeptabel, dass diese Verfehlungen jetzt in einer politischen Kampagne gegen mich und meine Partei instrumentalisiert werden. Ich habe den Eindruck, ich soll politisch und persönlich fertig gemacht werden. Es ist ein negatives Bild von mir in den letzten Tagen gezeichnet worden. Das bin nicht ich. Das ist nicht Hubert Aiwanger.“

Welche Verfehlungen meint er denn jetzt? Die Tatsache, dass ein Pamphlet in seiner Tasche gefunden wurde? Wieso mag jemand auf die Idee gekommen sein, dass sich so etwas überhaupt in seiner Tasche befinden könnte? Wenn ich mir das im Netz kursierende Klassenfoto so ansehe, das wohl echt zu sein scheint, hätte ich da eine ganz verwegene These. Aber man soll ja nicht spekulieren. Also Hitler-Reden hat er nicht vor dem Spiegel einstudiert, was nicht ausschließt, dass er sie ganz einfach ohne Spiegel geübt hat. Dass er mit „Mein Kampf“ in der Schultasche herumlief, hat er meines Wissens bisher nicht mal bestritten. Muss er aber auch gar nicht. Es ist weder verboten, das Buch zu besitzen, noch zu lesen oder spazieren zu führen. Ich habe das auch gelesen. Man muss ja schließlich wissen, was die Hitlerfans an dem grauenhaften Schinken und dessen noch grauenvollerem Autor so geil fanden und wohl zunehmend noch finden.

Ich denke, das ist das eigentliche Problem von Aiwanger: Nicht seine irgendwie geartete Beteiligung an dem Drecksflugblatt. Sondern sein aktueller eigener, selten dummer  Umgang mit diesen Vorwürfen. Das AI in Aiwanger steht defintiv nicht für artifizielle Intelligenz. Hätte er auf die erste Anfrage der SZ, die ja schon einige Zeit her ist, gleich gesagt, dass eine andere ihm bekannte Person, die nicht in der Öffentlichkeit steht, aber damals über dieselbe Schreibmaschine verfügte wie er selbst, das Blatt geschrieben hat, hätte er gesagt, dass alles tue ihm von Herzen leid und er sei halt früher ein unreifer reaktionärer  Arsch gewesen, sei aber – und dann hätten ein paar gute Gründe genannt werden können, warum er heute kein Arsch mehr ist, so was wie bei Saulus z.B., sofern das so ist – seit Jahrzehnten geläutert, stehe aber zu dem, was er damals gemacht hätte, und das täte ihm von Herzen leid, weil es so falsch war;  ja, dann wäre das Ding nach zwei Tagen abgeräumt gewesen.

So aber darf man nun auch an Aiwangers Darstellung zweifeln. Und so werden die Medien auch ihrem Auftrag weiter nachgehen, und manch ein Mitschüler oder eine Mitschülerin besitzen vielleicht noch ein paar Fotos oder sonstige Beweismittel, die ihm dann immer wieder neuen Ärger machen.

Zur Rolle des Lehrers, der den Stein ins Rollen brachte: Mag sein, dass er eine ehrenwerte Motivation hat, die “braune Socke zu stoppen“. Das kann ich nicht beurteilen. Ich weiß aber nicht, warum er 35 Jahre lang auf einem Kompromat herumhockt und nicht gleich aktiv geworden ist. Kann es ein, dass er als SPD-Mann fürchtete, seine Karriere im „Land der Bayern,deutsche Erde, Vaterland“ mit dem Outing eines rechtsradikalen Schülers zu beenden. Ich weiß es nicht. So sieht es jedenfalls nach einer ziemlich miesen Aktion aus.

Andererseits besteht natürlich auch und gerade vor einer Wahl ein öffentliches Interesse daran, wie so ein Kandidat eigentlich gestrickt ist und was seine ideologischen Hintergründe und der Werdegang sind. Und wie er mit seiner Vergangenheit umgeht.

Ich bin gespannt, ob und wie der Aiwanger Hubert nun die an ihn herangetragenen Fragen beantworten wird und wie sich der ganze Zirkus auf die Landtagswahl auswirken wird. Vielleicht nimmt er ja sogar der AfD noch ein paar Antisemiten ab. Wer weiß das schon.

 

Heinrich Schmitz

Heinrich Schmitz ist Rechtsanwalt, Strafverteidiger und Blogger. In seiner Kolumne "Recht klar" erklärt er rechtlich interessante Sachverhalte allgemeinverständlich und unterhaltsam. Außerdem kommentiert er Bücher, TV-Sendungen und alles was ihn interessiert- und das ist so einiges. Nach einer mit seinen Freital/Heidenau-Kolumnen zusammenhängenden Swatting-Attacke gegen ihn und seine Familie hat er im August 2015 eine Kapitulationserklärung abgegeben, die auf bundesweites Medienecho stieß. Seit dem schreibt er keine explizit politische Kolumnen gegen Rechtsextreme mehr. Sein Hauptthema ist das Grundgesetz, die Menschenrechte und deren Gefährdung aus verschiedenen Richtungen.

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