Von Kolumnisten und Pferdewetten – Kapitel 5

Hank meint, dass die Kolumnisten gratis arbeiten, sei in Kalifornien ein triftiger Grund, sie psychologisch untersuchen zu lassen. Da mag er Recht haben.


»Wie geht die Geschichte mit Javier weiter?«, frage ich, »Hast du ihn abblitzen lassen, oder war sein Werben erfolgreich?«

»Er hat mich ins Tokyo Hibachi eingeladen.«

»Ist das ein guter Laden? Habe keine Ahnung. Bin nicht so oft in L.A.«

»Ein überteuerter Schuppen für Vorstadtzuhälter und Touristen aus der Provinz, die Fischstäbchen mit Sushi verwechseln«, ätzt Hank, während er eine Flasche Wein entkorkt.

»War bestimmt nicht billig«, sage ich. »Konnte Javier denn die Rechnung bezahlen?«

»Natürlich! Er war ja durchaus wohlhabend. Fuhr mit einem niegelnagelneuen Ford Shelby vor.«

»Du hast also erstmal keinen Verdacht geschöpft?«

»Ich war zu Anfang, als ich ihn im Fahrstuhl kennenlernte, zugegebenermaßen misstrauisch. Wer ist das nicht bei einem Mexikaner? Aber er sprach nahezu akzentfreies Englisch, immer elegant gekleidet, auf Hochglanz polierte Schuhe, weiße Zähne, gepflegte Hände, tadellose Manieren. Ging drei Mal mit mir aus, bevor wir nach dem Besuch von High School zum ersten Mal bei ihm auf dem Sofa landeten, wo wir harmlos wie Teenager ein bisschen aneinander rumfummelten.«

»High School?«

»Ein superdämliches Musical. Von allen Musicals, die ich kenne, das dämlichste. Mir unbegreiflich, dass ich mich mit einer Frau, die auf solch einen musikalischen Dreck abfährt, einmal die Woche in meiner Wohnung treffe.« Hank schüttelt seinen riesigen Kopf wild hin und her, spielt den Entrüsteten.

»Typ Gentleman der alten Schule«, sage ich.

»Typ elender Schmierlappen«. Hank wieder.

»Ja, ich habe mich blenden lassen. Ich war damals so naiv.«

»Du warst nie naiv«, sagt Hank, »hattest vielmehr gehofft, du würdest dir einen solvent-potenten Latino-Millionario angeln. Berechnend nennt man so ein Verhalten da, wo ich herkomme.«

»Er sah wirklich hollywoodmäßig aus«, seufzt Betsy. »Wie hätte ich ahnen können, dass sich hinter Javiers hoher, kluger Stirn dieses ungeheure Ausmaß an Verkommenheit verbirgt?«

»Du warst damals schon das dumme Landhuhn aus Iowa, das du immer noch bist. Allerdings jünger und knackiger. Nicht so eine aufgetakelte, dicke Henne wie heute.«

»Hank, lass das. Du siehst doch, wie sehr ihr die Geschichte mit Javier noch an die Nieren geht.« Ich habe Null Bock auf Zoff zwischen Buk und seiner Mittwochabendbraut.

»Er ist eifersüchtig auf Javier«, sagt Betsy.

»Ich bin was? Mach dich nicht lächerlich.«

»Doch, eifersüchtig bist du, weil Javier im Gegensatz zu dir charmant und ein hervorragender Liebhaber war.«

»Warum bist du dann nicht bei ihm geblieben? Das hätte dir und mir eine Menge Kopfschmerzen erspart.«

»Wird Betsy uns gleich erzählen.« Ich versuche, den Druck im Kessel, der beim Thema Javier langsam aber stetig ansteigt, gering zu halten. »Einen Job und gültige Papiere hatte er?«

»Ja«, antwortet Betsy, »habe ich mir alles zeigen lassen.«

»Was machte er?«

»Key Account Manager bei einem großen Versicherungsmakler. Schwerpunkt: Brandschutz für Gewerbeimmobilien. Er kümmerte sich um den Vertrieb in Lateinamerika.«

»Klingt nicht schlecht«, sage ich.

»Riecht nach Betrug und Brandstiftung«, ergänzt Hank.

»Was von beiden trifft zu, Betsy?«, frage ich. »Javier war ein Ehrenmann, der dir das Herz gebrochen hat oder ein Hochstapler à la Felix Krull?«

»???«

»Eine Figur aus einem Roman von Thomas Mann. Warum bist du nur so unglaublich ungebildet? … ein Kerl wie Raymond Fernandez in Lonely Heart Killers. Den kennst du, oder?« Jetzt bin ich erstaunt, dass Bukowski Filme mit John Travolta anschaut.

»Javier hat doch keine Frauen umgebracht.«

Bevor Betsy mit ihrer Geschichte fortfahren kann, werden wir durch ein Klopfen unterbrochen. »Jemand da?«, ruft eine männliche Stimme vom Flur aus in Hanks Apartment hinein.

»Klar, bin ich da. Sonst stünde die Tür ja nicht sperrangelweit offen.«

»Ich bringe euch die Burritos.« Joey taucht plötzlich im Wohnzimmer auf. Klein und gedrungen, reicht mir kaum über die Schultern. Wirkte hinter der Theke in seinem Kiosk größer, geht es mir durch den Kopf.

»Der Chef persönlich liefert abends das Junkfood aus.« Hank will aufstehen, schafft es nicht, bleibt sitzen. »Hat dein pakistanischer Hilfskoch Schiss gekriegt, als er meinen Namen hörte?«

»Wir haben heute alle Hände voll zu tun. Die ganze Stadt ordert Burritos. Kamal kommt nicht weg vom Telefon.«

»Die ganze Stadt will DEINE Burritos? Mach dich nicht lächerlich. Die schmecken bestenfalls mittelmäßig, häufig sogar richtig mies. Hast du an den Tequila gedacht?«

»Welchen Tequila? Steht nichts von auf dem Bestellzettel.«

»Joey, mach uns beide nicht unglücklich. Die Burritos kannst du sofort im Klo runterspülen, wenn du den Schnaps nicht dabei hast.« Hank stützt sich mit beiden Armen auf die Tischplatte, stemmt seine hundert Kilo nach oben, schwankt ein bisschen, bleibt aber aufrecht, geht auf Joey zu, baut sich vor dem auf.

»Ist doch nur ein Scherz, Hank. Klar habe ich an den Tequila gedacht.« Joey packt in die große Plastikbox, die er in der rechten Hand trägt und fingert die Burritos und den Schnaps heraus.

»Die Hausmarke, du Gauner?«

»Natürlich. Eine andere trinkst du doch nicht.«

»Jose, Jose, für einen kurzen Augenblick dachte ich, du willst unsere Freundschaft aufs Spiel setzen.« Hank öffnet den Drehverschluss und genehmigt sich einen kräftigen Schluck direkt aus der Flasche.

»Joey heißt Jose?«, frage ich.

»Joey ist sein amerikanisierter Name.«

»Auch Mexikaner?«

»Mexikaner, Nicaraguaner, Kolumbianer, San Salvadorianer wie alle in dieser Straße. Die einzigen Nicht-Latinos in gesamt East-Hollywood sind Betsy, ich und der alte Bob, der den Schuhladen an der Romaine, Ecke Mariposa betreibt. Der ganze Rest mittlerweile Tacos. America quo vadis?«

»Hank, du übertreibst mal wieder«, sagt Betsy, während sie ihren Burrito mit Messer und Gabel in kleine Teile zerlegt.

»Natürlich übertreibe ich. Aber nur durch diese Zuspitzung wird Henning die Dramatik der aktuellen Situation verstehen. Diese verdammten europäischen Liberalen leugnen doch, dass überhaupt ein Migrationsproblem besteht. Und wenn sie damit konfrontiert werden, erzählen sie was von größeren Anstrengungen, die die einheimische Bevölkerung unternehmen muss, um all die Fremden hier zu integrieren. Dabei wollen die meisten von euch doch gar nicht so sein wie wir, oder Joey?«

»Joey wahrscheinlich schon. Sonst würde er sich nicht Joey nennen«, sage ich.

»Okay, Joey ist ein schlechtes Beispiel. Aber Kamal , seine pakistanische Allzweckwaffe, der trabt, wenn er mit dem Job fertig ist, den er ja nun mal ausüben muss, um seine riesige, sich im Neun-Monats-Rhythmus reproduzierende Familie durchzufüttern, sofort nach Hause, erstmal seine Alte verprügeln und dann in die Moschee, um dort mit seinen Kumpels einen Terroranschlag auszubaldowern.«

»Kamal ist ein nicht praktizierender Hindu aus der Kaste der Unberührbaren und SEHR liebevoller Ehemann und Familienvater. Das weißt du, Hank.« Joey redet mit sanfter Stimme, nahezu liebevoll auf Bukowski ein. Ich empfinde mit einem Mal Sympathie für den amerikanisierten Mexikaner.

»Wollen Sie sich einen Moment zu uns gesellen, Jose?«, frage ich ihn.

»Bin heute Abend wirklich superbusy. Sind noch ein Dutzend Bestellungen in der Pipeline, die ich ausliefern muss. Ein anderes Mal gerne.«

»Die Burritos haben Zeit. Taugen eh bloß als Futter für rumstreunende Köter. Los, setz dich zu uns!« Hank drückt Joey runter auf einen Stuhl. »Mein Freund Henning ist ein berühmter Journalist, der in Deutschland für die Kolumnisten schreibt.«

»Was sind Kolumnisten? Irgendeine extreme politische Sekte? Damit möchte ich nichts zu tun haben. Ich bin Demokrat.« Jose schaut mich skeptisch von der Seite an.

»Ähnlich wie Zeitungskommentatoren, aber schlauer«, antwortet Hank. »Und sie arbeiten gratis, was bei uns in Kalifornien ein triftiger Grund wäre, sie psychologisch untersuchen zu lassen.«

»Gratis?« Joeys Augen weiten sich, er starrt mich jetzt an wie einen armen Irren.

»Alles halb so wild«, sage ich. »Wir betreiben das als Hobby. So wie Hank zum Pferderennen geht. Soll Spaß machen.«

»Pferdewetten sind kein Spaß, sondern ein todernstes Geschäft«, brummt Hank.

»Dann eben kein Pferdewettenvergleich. Ist doch jetzt auch völlig egal. Ich würde mich auf jeden Fall sehr freuen, Jose, wenn Sie mir aus erster Hand über Ihre Erfahrungen mit der Integration hier berichteten. Dauert auch nicht lange. In einer Stunde bin ich durch mit meinen Fragen. Dann entlassen wir Sie in die Freiheit, zurück zu Ihren Burritos.«

»Was habe ich davon? Wir können uns nicht alle ein zeitaufwändiges Hobby wie Sie leisten.«

»Die amerikanische Geschäftstüchtigkeit haben Sie ja schon prima verinnerlicht. Ich biete Ihnen an, dass ich Sie an prominenter Stelle zitiere und ein Foto von Ihnen in Ihrem Laden mitten im Text platziere.«

»Wie hoch ist die Auflage?«

»Ist eine Online-Publikation. Kann also weltweit gelesen werden.«

»Auch in East-Hollywood?«

»Klar. Speziell in East-Hollywood. Werbeeffekt für Joeys Tacodienst dürfte groß sein. Und das alles für sechzig Minuten, die Sie investieren.«

»Okay, ich mach’s. Aber bitte sagen Sie „du“ zu mir.«

»Kein Problem. Lass uns zum „du“ wechseln. Das lockert unser Frage-Antwort-Spiel sofort auf … Jose, ich darf dich doch bei dem Namen nennen, auf den du getauft wurdest, oder? Jose, du bist erste oder zweite Generation?«

»Erste. Aber schon als Kind in die USA gekommen. Mitte der 70er Jahre.«

»Joey gehört noch der Generation an, die nachts durch den Rio Grande geschwommen ist, um ins gelobte Land zu gelangen«, unterbricht Hank. »Heute werden sie in LKW-Ladungen angekarrt. Jede Stunde überqueren hunderte Bohnenfresser die Grenze. So schnell kannst du die gar nicht einfangen und zurückbefördern, wie sie hinter deinem Rücken wieder reinschleichen.«

»Du bist also ein Befürworter der großen Mauer?«, frage ich.

»Ach die Mauer ist ein Riesenhaufen Scheiße. Ausgeheckt von einem Bauunternehmer, der nun unser Präsident ist, um ein Megakonjunkturprogramm aufzulegen. Nützt einzig und alleine der Bauindustrie. Wird aber das eigentliche Problem Nullkommanull lösen.«

»Warum?«

»Weil die Mexikaner und ihre Schleuser, die sie korrekterweise als Kojoten bezeichnen, denn nichts anderes sind diese Menschenhändler: armselige Kojoten, clever agieren. Sie werden drüber wegfliegen, in Massen an Fallschirmen abspringen wie damals unsere Jungs in der Normandie, Tunnel drunter durch buddeln, mit Schiffen an den Stränden landen, uns überfluten und in nicht allzu ferner Zukunft mit ihrer schieren Masse erdrücken. Sie sind so erfindungsreich, wenn es darum geht, ihr von Drogenkrieg und Korruption zerfressenes Land zu verlassen, dass ich manchmal glaube, es ist vernünftiger, die Schlagbäume komplett hochzuziehen und abzuwarten, was dann passiert, als sich jeden Tag aufs Neue über diesen Wahnsinn aufzuregen.«

»Wie kommt Hackfleisch in meinen Burrito? Ich hatte ausdrücklich einen Vegetariano bestellt. Das kann ich nicht essen. Mir wird es speiübel«, kreischt plötzlich Betsy.

 

Im nächsten Teil wird die Geschichte mit Javier endlich aufgelöst, und Jose stellt uns seinen Cousinen vor

 

Henning Hirsch

Betriebswirt und Politologe, Comicleser, Filmjunkie, Bukowski- und FC- (es gibt nur einen FC: nämlich den aus Köln) Fan, trockener Alkoholiker. In die Abstinenz startete er mit einem Roman: Saufdruck. Seitdem tippt er abends Kurzgeschichten und Gedichte. Da die Schreiberei alleine nicht satt macht, verdient er tagsüber seine Kaltmiete und die Kühlschrankfüllung mit Marketing & Orga. Henning Hirsch lebt im Bonner Süden und ist Vater von drei Kindern ... Wer mehr von ihm lesen möchte: www.saufdruck.de

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