„Ist das schon Lookismus oder kann ich es schreiben?“

Lookismus: Wenn das Aussehen oder die Äußerlichkeit einer Person so wichtig zur Beurteilung dieser Person wird, dass alle anderen Eigenschaften sich diesem unterordnen. Noch schlimmer, wenn die Haltung, Position, Meinung, Äußerung einer Person nicht mehr ohne dieses Aussehen bewertet wird.


In den letzten Wochen haben wir zwei Beispiele gehabt, wie Lookismus aussehen kann. Und ich finde, dass diese Beispiele geeignet sind, dass man an diesen lernen kann, was Lookismus ist, und was nicht.

Das erste Beispiel ist die junge Demonstrantin auf dem G20-Gipfel, die auf einem Panzer steht und mit Wasserwerfer und Pfefferspray angegriffen wird. Einerseits wird sie als „Heldin“ gefeiert, andererseits wehte schnell ein kräftiger Wind der Kritik gegen sie, oder noch besser: gegen diesen behaupteten Heldenstatus.

Ein Postergirl?

Ich muss zugeben, dass ich mich genauso daran beteiligt habe, diese Demonstrantin mit einem billigen Witz zu kommentieren, der auf ihre hübsche Figur abhob. Und ich bin meiner Filterblase sehr dankbar, dass sie sich diesem Trend des kollektiven „Sie ist doch keine Heldin, die ist doch nur ein Postergirl“ widersetzte. Das Wort „Lookismus“ fiel.

Das zweite Beispiel ist das jetzt schon mehrfach (zB bei Heinrich Schmitz und Oliver Rasche) diskutierte Bild von dem „dicken Nazi aus Themar“. Auf dessen T-shirt ist zu lesen: „Nationalstolz kann man nicht zerbrechen“.

Diese beiden Beispiele erlauben das Einnorden des Begriffes „Lookismus“ und der Frage: „Was ist noch ok, und was nicht“ in außerordentlich gutem Maße, weil sie beide schillernd sind, und nicht so einfach mit ja – Lookismus, oder nein – kein Lookismus beantwortet werden können.

Zum ersten Bild – die junge Frau mit roter Glitzerhose auf dem Panzer in Hamburg:

Niemand muss sie als Heldin sehen. Aber sie ist definitiv nicht nur einfach auf einen Panzer geklettert und hat das It-Girl in der Show gemimt. Egal, wie man zu ihren Ansichten und ihrem Umgang mit der Staatsgewalt steht, man kann feststellen: Sie hat in Kauf genommen, ernsthaft verletzt zu werden, und ist auch tatsächlich mit den von der Polizei eingesetzten Mitteln – Wasserwerfer und Pfefferspray – bekämpft worden. Das heißt, sie hat – nach ihrer anzunehmenden Sicht – sich für ein Ideal in Gefahr gebracht. Dass sie dabei eine rote Glitzerhose anhat, statt einer schwarzen Jeans und dass sie schlank ist und gängigem Schönheitsideal entspricht – ist dazu erst einmal unerheblich. Der diskussionswerte Punkt ist, warum sie da hochstieg, ob sie falsche Ansichten hat, ob sie naiv war. Da haben erst einmal Glitzerhose und gute Figur keinen Erkenntnis bringenden Aspekt zu bieten.

Bilder schaffen?

Andererseits darf man ruhig auch die Frage stellen, ob es nicht doch so ist, dass sich die junge Frau selbst in Szene setzen wollte, dass sie ihr hübsches Aussehen dafür einsetzte, um Bilder zu schaffen, die das Opfersein durch die Polizei in besonders ästhetischem Maße versinnbildlicht, so dass das Bild auch gute Verbreitung bekommt. Und dass die Ästhetik ausschlaggebend gewesen sein kann – das muss man tatsächlich nüchtern so sehen: Es ist nicht von der Hand zu weisen. Hier ist also unter Umständen eine Diskussion im Gange, ob das Aussehen der jungen Frau einen ausschlaggebenden Faktor ausmacht: Sowohl in der Entscheidung, gerade sie dahin zu stellen, oder sich stellen zu lassen, oder sich dazu animieren zu lassen, als auch in den Entscheidungen in den Redaktionsstuben, um sie „Heldin des Tages“ auszuwählen. Dass dabei das Outfit und das Aussehen keine Rolle gespielt haben soll – das ist doch wohl eine klar zu erkennende Illusion.

Insofern eröffnen sich hier ganze Themenreigen, in denen das eine gilt, das andere aber nicht, oder wo es sogar noch auf weitere Aspekte und den Kontext ankommt. Im extremen Fall, dass man Sprechen über das Aussehen eines anderen ablehnt, also überhaupt nicht mal in den Verdacht von Lookismus kommen will, selbst dann muss man, wenn man exemplarisch werden will, das Aussehen einer Person thematisieren. Deswegen ist es in einer Meta-Diskussion über das Aussehen von Menschen unerlässlich, das Aussehen von Menschen in den Blick zu nehmen. Also ja, man kann darüber sprechen, dass die junge Dame doch „zu hübsch ist, die hat man doch extra dahin gestellt“. Eine legitime Medienkritik.

Zu hübsch?

Schwieriger wird es, wenn ein Kommentar etwa so aussehen würde: die Frau sei „zu hübsch für eine echte Demonstrantin“. Hier werden zwei voneinander unabhängige Eigenschaften (hübschsein und Demonstrantin sein) in eine unlautere – negative – Abhängigkeit gestellt. Das heißt, es ist das alte Argument von: „Du bist doch hübsch, das hast du doch gar nicht nötig.“ Dass hier noch der gute alte Sexismus reinscheint – der bei Frauen eben besser funktioniert – ist nicht von ungefähr. Sexismus gegen Frauen speist sich in nicht geringem Maße daraus, was man über das Aussehen von Frauen sagt. Wo kann aber eine solche Bemerkung doch noch eine Gültigkeit bekommen? Vorstellbar ist, wenn es als Argument zur Erhärtung der These vorgebracht wird, dass hier das Aussehen der Dame eine Rolle gespielt hat, warum sie auf den Panzer stieg, oder dazu gebracht wurde. Dann klingt „Die ist zu hübsch für eine echte Demonstrantin“ zwar immer noch recht schief, aber es hat zumindest den Kontext nicht vollkommen verloren.

Das zweite Beispiel, das vom T-shirt-Träger in Themar fällt noch weiter in die Kategorie „Bodyshaming“.

Bodyshaming – wenn Körpermerkmale einer Person so dargestellt werden, dass sie einer behaupteten Norm nicht entsprechen und deswegen die Person öffentlich herabgesetzt wird.

Der dicke Mann von Themar

Der Mann, den man da in einer Gruppe anderer Menschen sieht, ist offensichtlich und ohne Zweifel fettleibig. Er ist auf einem Neo-Nazi-Konzert, das in den Schlagzeilen steht und er trägt ein T-shirt, worauf in Fraktur steht: „Nationalstolz kann man nicht zerbrechen.“ Dass bei dieser Leibesfülle „Zerbrechlichkeit“ eher nicht das ist, was einem einfällt, ist klar. Aber eine Menge an anderen „witzigen“ Adjektiven und Szenarien, die man mit seiner Statur in Verbindung bringt.

Die negativen Reaktionen auf das Bild in den sozialen Medien – zumindest in den eher nicht rechtsverdächtigen Foren – kann man grob in drei Kategorien einteilen:

  • „Der Mann ist so dick, dass …“
  • „Nazis sind so dick, dass …“
  • „Nazis hassen Andersartige, aber sind selber anders …“

Die zweite Kategorie zeigt auf, dass einige Menschen sich bei Nazis nicht wohl fühlen, und deren Umgang so stark ablehnen, dass sie dieses Bild als Ventil sehen. Sie bestrafen diesen – wahrscheinlichen – Nazi für das, was sie an Nazis nicht gut finden. Wahrscheinlich würden sie Dicke aus ihren Reihen nicht unbedingt bashen, aber bei den Nazis muss man wohl alles nehmen, was man nur bashen kann. Hier finden wir auch Bodyshaming, aber es ist vielleicht nicht das Ziel, es ist das Mittel (um sich von Nazis abzugrenzen).

Bei der ersten Kategorie können sich durchaus viele finden, die eigentlich der Motivation wie in der zweiten folgen, aber sie äußern sich dann doch losgelöst von der Prämisse „Nazi“. Und dann wieder finden sich auch genug Leute, die offensichtlich nur Dicke hassen, und sich sonst vielleicht zurückhalten. Aber hier können sie „ungestraft“, weil in dieser Gruppe positiv sanktioniert, einen Nazi bashen. In anderen Gruppen würden sie dicke Frauen, oder dicke Kinder oder dicke Nerds und so weiter herabsetzen. Das ist dann auch Bodyshaming in Reinform.

Naziparadoxon

Die dritte Gruppe hat das interessanteste, weil subtilste Argument. Nicht nur, dass hier die Prämisse „Nazi“ dabei ist, es geht präzise um die logische Verknüpfung, die sozusagen ihr Paradox mit sich rumträgt: Da Nazis andere ausgrenzen, weil sie anders sind, und dieser Nazi aber offensichtlich aus der Norm fällt (verschärft: nicht „arisch aussieht“), dann widerlegt sich an diesem einen Menschen wohl die Nazi-Ideologie als entweder nicht konsistent oder als nicht fähig zur Konsistenz. So ist das Argument. Insofern würde hier einen Meta-Diskurs über das Aussehen und nicht speziell dieser eine Nazi, sondern anhand dieses Nazi beispielhaft etwas gezeigt. Vergessen wir nicht, dass die Nazi-Ideologie mit ihrem Rassismus zu einem wichtigen Teil aus der Bewertung von Menschen über das Aussehen besteht, mithin die „Rassen-Merkmale“. Womöglich ist hier sogar eine Meta-Kritik zu finden, dass die Nazis selbst mit ihrer Rassen-Ideologie eine Unterkategorie von Bodyshaming und Lookismus – wenn man so will – betreiben, und sich deswegen nicht beschweren dürfen, wenn es mit ihnen geschieht.

Im Prinzip soll hier festgestellt werden, dass Lookismus nicht alleine darin besteht, dass eine Bemerkung über das Aussehen eines Menschen öffentlich gemacht wird. Und noch nicht einmal darin, dass das Aussehen eines Menschen zum Thema gemacht wird. Erst zu dem Zeitpunkt, bei dem das Aussehen eines Menschen zum Thema gemacht wird, obwohl der Betroffene es nicht selbst zum Thema gemacht hat, oder wenn das Aussehen zum eigentlichen Thema, zu dem die Person sich zur Disposition stellte, nichts beiträgt.

(Bodyshaming setzt dann noch eines drauf, wenn die Person aufgrund ihres öffentlich gemachten körperlichen Merkmals herabgesetzt wird.)

Vielleicht hilft die Probe: Ist mein Kommentar so, dass man daraus schließen kann, dass alle Dicke wohl Nazis sein müssen? Oder so, dass man daraus schließen kann, dass hübsche junge Frauen in Glitzerhosen keine Demonstranten sein können? Dann ist etwas schief gelaufen. Dann habe ich eine Verknüpfung hergestellt, die einen Lookismus ausmacht: „Alle Dicke …“, „alle jungen hübschen Frauen in Glitzerhosen“ – alles Merkmale des Aussehens.

Chris Kaiser

Chris Kaisers digitales Leben begann 1994, da entdeckte sie im CIP-Pool der Uni Erlangen das Internet und ein Jahr später das Chatten im damaligen IRC, was ihr ein aufregendes Leben 'in and out' des Digitalen bescherte. Nachdem sie bedingt durch Studium, Kinder und andere analoge Kleinigkeiten das alles erstmal auf Eis legte, tauchte sie erst 2011 wieder auf, diesmal auf Facebook, vor allem, weil sie ihren eigenen ersten Roman „Die Jagd“ veröffentlichen wollte. Der Roman ist noch immer auf „bald erscheint er“. Ihre Spezialität ist die „Ästhetik des Widersprüchlichen“, um mit „ja, aber“ allzu feste Meinungen etwas ins Wanken geraten zu lassen.

More Posts

Schreibe einen Kommentar zu Martin Rath Antworten abbrechen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert