La Republic Macron

Hellmut Lotz zur Wahl in Frankreich und den Reaktionen der deutschen Linken.


Die Dominanz Emmanuel Macrons La Republic en Marches im ersten Wahlgang zur französischen Nationalversammlung hat zu wütenden Reaktionen deutscher Linker in den sozialen Netzwerken geführt. Macron würde wie Tony Blair und Gerhard Schröder Arbeitnehmerrechte beschneiden, was zu Armut führen werde.

Die unangenehme Wahrheit

So wird es wohl kommen, aber diese Kritik sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht: die Finanzpolitik Frankreichs wird in Berlin gemacht. Das ist die unangenehme Wahrheit. Ein französischer Präsident kann sich den finanzpolitischen Machtverhältnissen nicht entziehen. Er kann sich nur in Angela Merkels und Wolfgang Schäubles System einfügen. Das galt für François Hollande, der etwas gänzlich Anderes versprach, und es nicht halten konnte. Es gilt für Emmanuel Macron. Im Zeitalter des Finanzkapitalismus entscheidet die Macht des Geldes. Staaten verfügen über Geldmacht entweder durch den Besitz der Reservewährung oder durch die Erwirtschaftung von Kapitalüberschüssen durch Exportüberschüsse. Die Reservewährung ist der US Dollar. Frankreich hat eine negative Handelsbilanz, Deutschland eine positive. Also entscheidet im Euroraum Berlin und nicht Paris. Die Franzosen können sich zur Zeit nur anpassen. Sie sind finanzpolitisch weitgehend machtlos. Somit ist es müssig sich über Macrons Arbeitsmarktpolitik aufzuregen. Die Verantwortung liegt nicht bei den französischen Wählerinnen und Wählern, die von deutschen Linken beschimpft werden, sondern bei deutschen, denen es nicht gelingt, sich zu organisieren, um wirksam eine Alternative zum Finanzkapitalismus zu fordern.

Talkshow-Heroes

Wir sollten uns insbesondere fragen, warum es Podemos, Bernie Sanders und Jeremy Corbyn gelingt, die Menschen hinter sich zu versammeln, trotz massiver Verleumdung durch die Medien, aber Gregor Gysi, Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht nicht. Sie gewinnen jede Talkshow, aber sind nicht in der Lage, zwei neue Stimmen für die Linke zu gewinnen. Die Partei stagniert, obwohl die SPD und die Grünen mehr Stimmen verlieren als Bäume Laub im Spätherbst. Vielleicht ist es dieses Jahr anders, und die Linke gewinnt drei, vier Prozent dazu, was proportional beachtlich wäre, aber den Erfolgen der angloamerikanischen Linken oder Jean-Luc Mélenchons und Emmanuel Macrons wird es nicht nahe kommen.

Zwei Chancen

Macron bietet uns zwei Chancen, die wir nutzen sollten. Erstens hat er das erste Mal in der Geschichte der EU eine europäische Volksbewegung in Frankreich angestossen und gebildet. Macron war der einzige Präsidentschaftskandidat, der für die Europäische Gemeinschaft ist, aber die europäische Bewegung in Frankreich geht weit über seine Anhängerschaft hinaus. Sowohl Linkssozialisten als auch Grüne veranstalten Kundgebungen für Europa, zum Beispiel im lothringischen Thionville, Hochburg der rechtsextremen Front Nationale. Gleichzeitig sehen wir Deutschland ähnliches. Die Menschen organisieren sich gegen den Brexit, Pegida und Trump und verlangen Fortschritt im Ausbau der europäischen Institutionen. Das erste Mal seit Kriegsende gibt es gleichzeitig in Frankreich und Deutschland europäische Bewegungen. Damit besteht die Chance, dass Berlin und Paris die Europäische Union neu ordnen. Unsere Aufgabe ist es auf eine demokratische Union zu dringen, eine Sozialunion und eine Verteidigungsunion.

Mehr Mut

Den Politikern fehlt es am Mut. Also müssen wir das machen, anstatt Französinnen und Franzosen für ihr Wahlverhalten zu beschimpfen. Zweitens, insbesondere Macrons Vorschlag eines europäischen Wirtschaftsministeriums unter Aufsicht eines demokratisch gewählten Parlaments ist eine Chance. Damit kann die Eurokrise gelöst werden, denn es ist der Staat, der dem Geld Wert gibt. Unsere europäische Währung ist instabil, weil es keinen europäischen Staat gibt. Den Missstand können wir jetzt abstellen, indem wir Macrons Vorschlag durchsetzen. Dass er von einem Wirtschaftsministerium spricht, aber die Funktionen des Finanzministeriums fordert, zeigt, dass er darüber hinaus gehen will, zumindest bis zu Strukturpolitik durch europäische Investitionsprogramme, vielleicht sogar bis zur Sozialunion. Letzteres können wir fordern. Durch die Schaffung eines gemeinsamen Finanzministeriums würden französische Wählerinnen und Wähler Einfluss über die Finanzpolitik gewinnen, gemeinsam mit den Bürgern der anderen Euroländer. Der Euro würde krisenfähig und endlich funktionieren. Das ist ein entscheidender Schritt vorwärts zu einem guten Staat und einer europäischen Demokratie.

Eine europäische Bewegung

Wählerschelte hat noch nie einen Wahlkampf gewonnen und noch nie ein Problem gelöst. Anstatt andere Menschen, die nach einer Chance suchen, zu beschimpfen, sollten wir die Bewegung, die in Europa dank Macrons entstanden ist, nutzen und mehr Gerechtigkeit fordern, die Union demokratisieren und den Euro richten. Das machen wir mit einer Botschaft, hinter der sich die Menschen sammeln können, so wie Podemos, Bernie Sanders und Jeremy Corbyn. Was die SPD, die Grünen und die Linke machen, funktioniert nicht. Also Schluss mit den arroganten Urteilen über französische Wähler. Selbst Macron macht besser Wahlkampf als die Linke. Das sollten wir genau analysieren und die sich daraus ergebenden Chancen nutzen

Hellmut Lotz

Hellmut Lotz, 51 Jahre, ist Politikwissenschaftler und Amerikanist. Er arbeitet als Wahlkampf- und Unternehmensberater und hat an der Universität des Saarlandes, der Brigham Young University und der University of Maryland studiert und in den USA als Honorarprofessor Politikwissenschaft unterrichtet. Unter anderem hat er in einem Landkreis 2008 Barack Obamas Wahlkampf geleitet.

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