Mit „Spirit“ gegen den dunklen Zeitgeist! – Ein Essay über Depeche Mode und ihr neues Album
In seiner Hörmal-Kolumne spricht Ulf Kubanke dieses Mal über das neue Depeche Mode-Album „Spirit“ und erörtert die besten Platten der Band.
März 2017: Depeche Mode sind längst und vollkommen zu Recht im Musikolymp angekommen. Popkulturell haben sie einige Großtaten vollbracht. Die Etablierung von Martin Gores stets etwas beladen wirkender SM-Ästhetik, das Öffnen des Pop-Publikums für dunkle Sounds aus der Industrial-Ecke sowie der ehedem zum Exzess neigende Frontman Dave Gahan mit seiner charismatischen Stimme lebten so ziemlich alles, was in der Welt als subserviv gilt, ganz selbstverständlich nach aussen.
Mäandern durch dystopische Gegenwart
„Spirit“ heißt das neue, mittlerweile 14. Studioalbum in fast vier Dekaden Bandgeschichte.
Wir haben keinen Respekt. Wir verloren die Kontrolle. Wir verloren unsere Seelen. Wir gehen rückwarts und fühlen nichts im Inneren.
schmettert Gahan zum Einstieg. Die Scheibe beginnt beklommen. Schwebend und doch schwer mäandert „Spirit“ durch unsere auf einmal so dystopische Gegenwart des noch jungen 21. Jahrhunderts. Im Gegensatz zur letzten ebenfalls sehr guten CD „Delta Machines“ spielen sie diesmal nicht den Blues sondern haben ihn (Ausnahme: „Poorman“). Ein melancholisches Dutzend Lieder künden von Verheerungen und Endzeit. Ihr Ergebnis ist realistische Bestandsaufnahme, große Unterhaltung und vor allem ein flammender Weckruf an alle, die noch was merken.
„Ihr Junkies des Patriotismus!„
„This is the last time!“ So drängt sich auf den ersten Blick der Vergleich zum ebenfalls recht abgründigen „Black Celebration“ auf. Bei zweiten Hinschauen deutet der höchst unterschiedliche Kontext jedoch auf eine höchstens weit entfernte Verwandtschaft hin. Während „Black Celebration“ eher nach gleißendes Schwarzlicht im hedonistischen Darkroom klang, sind auf dem apokalyptischen „Spirit“ bereits fast alle Fackeln erloschen. „Wer fält eure Entscheidungen? Ihr oder eure Religion? Oder eure Regierungen und Länder? Ihr Junkies des Patriotismus!“ So fordern sie auf „Where’s The Revolution?“ eine Revolution durch Empathie und Humanismus. Gut gebrüllt, ihr drei englischen Löwen! Wer Gahan, Gore und Fletcher kennt, der weiß: Vieles im Klangbild hängt von der Wahl des jeweils aktuellen Produzenten ab. So kompromisslos sie ihre Full Artistic Controll leben, so wenig Spaß haben Depeche Mode an devoten Verrichtungsgehilfen. Mithin ist es keine Überraschung, dass sie sich mit James Ford einen selbstbewussten, deutlich jüngeren Sidekick angeln. „It’s Aviation, Baby!“ Denn Ford ist u.A. Gründungsmitglied der Last Shadow Puppets und produziert hippe Qualitätskapellen wie Arctic Monkeys oder Mumford & Sons. Auf „Spirit“ gelingt ihm die sprichwörtliche Quadratur des Kreises. Einerseits gönnt er dem DM-Sound ein zeitgemäßes Lifting. Andererseits tastet er den originären Klang der Legende in dessen individueller Substanz nicht an.
Schöne Details
Auf ihrem gemeinsamen Musikpfad gibt es manch schönes Detail zu entdecken. „You Move“ wartet zwischendurch mit einem fast schon zu niedlichen Einschub auf, der als Hommage unverkennbar nach Kraftwerks Karl Bartos klingt. Im requiemhaften „Eternal“ besingt Gore ebenso fatalistisch wie romantisch die Liebe zu seiner Tochter im Angesicht post-atomarer Strahlung. Starker Tobak! Mein besonderer Liebling ist das intensive „Cover Me“. Eine nächtlich dräuende Hymne an die Zweisamkeit Liebender, deren Zusammenhalt nicht einmal Barbarei und Horror zu spalten vermögen.
We appeared with the northern lights. The air is so cold here. It’s so hard to breath. We better take cover. Will you cover me?
Dezent und langsam, doch nicht aufhaltbar steigt der Pegel des Soundteppichs wie die Flut. Schon beim ersten Hören kann man sich der hypnotischen Kraft dieses Kleinods nicht entziehen.
Doch was hat Depeche Modes Katalog sonst noch zu bieten? Erfolgreich war jedes einzelne Album; gelungen die meisten. Gleichwohl kristallisieren sich vier Depeche Mode-Werke als zeitlose Meilensteine für die Ewigkeit heraus. Die grandios dunkle „Black Celebration“ markiert ihren endgültigen Übertritt von überwiegender Pop-Ästhetik ins Reich exquisiter Finsternis. Die Hinwendung zu düsteren Klangfargen gebiert solch großartige Stücke wie Gores versteinerten Triebstau „Question Of Lust“ oder den Elektro-Dämon „Black Celebration“. Von letzterem existiert auf späteren Veröffentlichungen eine nicht minder empfehlenswerte Akustikversion namens „Black Day“. Dieser gewagte Schritt ist für DMs Musik künstlerisch mindestens genauso bedeutsam, wie ihre spätere Entdeckung des Blues.
Lehrmeister Gareth Jones
Als besonders wichtiger Lehrmeister für die zu diesem Zeitpunkt noch sehr junge Band, entpuppt sich Co-Producer Gareth Jones, der im Genre unter Anderem bereits John Foxx „Metamatic“ veredelte und auch bei Alben der Einstürzenden Neubauten oder Nick Cave Hand anlegte. „Music For The Masses“ behält hernach die Sepia-Stimmung des Vorgängers tendenziell bei, geht aber den entscheidend cleveren Schritt in Richtung Catchyness. Der Lohn: Aufstieg zur Stadionband und Durchbruch in Amerika. Auf der zugehörigen Tour treten sie erstmals in Ostberlin vor frenetischem Publikum auf und legten einen denkwürdigen Gig aufs Parkett. Besonders sympathisch: Da die Gage gleich null war und lediglich wenige tausend Ostmark betrug, finanzerten Depeche Mode das Konzert aus eigener Tasche und beglichen die fünfstelligen Kosten. Real Love statt „Strangelove“! Der „Violator“ erweist sich 1990 als ihr ewiger musikalischer Zenit. Songwriting, Sound und Arrangements sind von A bis Z Weltklasse ohne auch nur den geringsten künstlerischen Kompromiss ein zu gehen. Im Gegenteil: In Teilen findet sogar eine aus damaliger Sicht riskante Neuerfindung statt. Denn die Synthikönige flirrten erstmals so richtig ausgiebig mit Sechssaitern. Besonders Edel-Produzent Mark Ellis a.k.a. Flood ermutigt sie bei dieser Idee entscheidend. Die instrumentale Vermählung gelingt wunderbar und fördert grobkörnige Perlen wie „Policy Of Truth“ (elektrisch) oder „Personal Jesus“ (akustisch) zutage. Letztere wurde etwa von Placebo oder Marilyn Manson nett gecovert und von Johnny Cash brilant erobert. Für alle damals irritierten klassischem DM-Freunde machten sie den perfekten Popsong „Enjoy The Silence“ klar.
Der Gipfel ist erklommen! Doch was tun auf der Bergspitze? Kann es von hier nur noch bergab gehen? Vorerst nicht! Einen weiteren höchst treffsicheren Pfeil haben sie noch im Köcher: „Songs Of Faith and Devotion“! Zwar war die Stimmung in der Band untereinander auf dem Tiefpunkt und Gahans Suchtprobleme auf einem lebensgefährlichen Höhepunkt. Doch das ganze Testosteron der Angepisstheit voneinander kreiert ihre extrovertierteste Rockstarplatte. Als Anspieltipps ragen das mackerhaft knallende „I Feel You“, der elegische Gegenpol „Judas“ und der sündige Gospel „Condemnation“ heraus.
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