Frankie Goes To Hollywood und die Subversivität der Liebe
Die Hörmal-Kolumne Ulf Kubankes beschäftigt sich dieses Mal mit den 80ern. Frankie Goes To Hollywood stehen wie kaum eine andere Band des Jahrzehnts für sexuelle Befreiung und gehobene Popmusik. Doch unser bremer Musicman hat noch viel mehr über die Liverpooler zu erzählen. Lest selbst:
London den 11. Januar 1984: „Diese Scheibe ist absolut öbszön!“ Mike Read, beliebter Radio-DJ der BBC bekommt während seiner Top-Ten-Sendung einen derben Wutanfall on Air. „Relax“ von Frankie Goes To Hollywood steht auf Platz 6 der Charts. „Hey Leute, ich habe gerade einen Blick auf das Cover geworfen. Ich denke, es ist obszön. Wisst ihr, ich werde diese Platte nicht spielen. Danke und tschüss!“ Einen größeren Gefallen hätte der angesehene Moderator den angesagten Newcomern nicht machen können. Seine Skandalisierung machte das schlüpfrige Lied erst recht zur lockend verbotenen Frucht. Trotz Bann und Boykott von BBC und anderen schoss der Dance-Orgasmus ungebremst weltweit – „When you wanna come!“ – auf die Pole Position und gilt heute als ultimative Visitenkarte typischen Hi-NRG-Sounds der 80er.
Schillernder kann eine Weltkarriere kaum starten. Holly Johnson und Co machen mit „Relax“ alles richtig, damit die Rakete so richtig abhebt. Ihr Trick: Einerseits punkten sie in der LGBT-Szene und haben dort bis heute einen Ruf wie rosa Donnerhall. Andererseits sammelt der universell-erotische Text auch alle anderen ein und lässt niemand am Wegesrand zurück. Am Ende ist es vollkommen egal, ob Hete, Homo oder Loretta. Ein jeder erliegt der Nummer mit ihrem unwiderstehlichen Beat, den aus der Zeit heraus hochmodernen Effekten und Johnsons angesextem Timbre.
Doch Frankie goes to Hollywood haben weit mehr musikhistorische Bedeutsamkeit im Gepäck als etwa „Relax“, die kurze Zeitspanne ihres Bestehens oder die lediglich zwei Alben und sieben Maxis vermuten lassen. Ihr Einfluss auf die weltweite Enwickung der Pop- und Tanzmusik der Achtziger ist enorm. FGTH gehören – neben Yello und wenigen anderen – zu jener Avantgarde, die mit Klang und Image das Zeitalter ‚Discomusik‘ beendet und die Ära ‚Clubmusic‘ einläutet. Nebenbei verwirren sie die gesamte zeitgenössische Medienlandschaft mit einer bis dato einmaligen Mischung aus Nihilismus, Hedonismus und Politslogans. „It is of course Frankie and Frankie only!“
Kunstprodukt oder echte Band?
Die Rolle des Strippenziehers Trevor Horn.
Seit Dekaden scheiden sich die Geister an der Frage ob Frankie Goes To Hollywood überhaupt eine echte Band waren oder doch kaum mehr als ein cleveres Marketingvehikel. Schlüssel hierzu ist die dominante, höchst kreative Rolle des Hintermanns, Vordenkers und Produzenten Trevor Horn. Doch die Truppe ist weit mehr als reine Horn-Haut. Die Beleuchtung von Horns Karriere weist selbigen nicht als Rädchen, sondern als echtes Steuerrad der Musikgeschichte aus. Man könnte problemlos ein Buch über seine Einflüsse auf verschiedene Genres und Künstler von Weltgeltung schreiben.
Als einer der beiden Buggles eröffnet er das MTV-Zeitalter mit „Video Killed The Radio Star“. Für Frankie Goes To Hollywood ist er Mädchen für alles, erfindet ohne sie den wegweisenden Sound und mit ihnen das Konzept. Zu Beginn macht er selbst, mit Studiomusikern und Johnson an den Mikros fast alles ohne die restlichen Bandmitglieder. Und in der Tat scheinen Paul Rutherdoerd etc. musikalisch – trotz Songwritercredits für FGTH das zu sein, was Andrew Ridgeley für Wham war: Künstlerisch eher entbehrlich.
Holly Johnson hingegen – um beim obigen Vergleich zu bleiben – ist der George Michael der Truppe. Bereits in jungen Jahren zählt er in Liverpool zum Urgestein der britischen Punk- und New Wave-Szene. Die Band Big In Japan – mit Holly am Bass – erweist sich in den späten 70ern zwar als Rohrkrepierer. Dennoch ist sie essentieller Grundstein für alle Beteiligten. Jayne Casey wird kurz darauf mit Pink Industry selbst zur Postpunk-Legende. Ian Broudie kennt man heute als Mr.Lightning Seeds. Und Bill Drummond verkörpert 50% von The KLF.
Schon allein vor diesem Hintergrund wäre es verfehlt, dem beliebten Irrtum zu erliegen, wonach FGTH quasi zu 100% Horns Gewächs sei. Es ist vielmehr ein perfekt erdachtes Zusammenspiel aller Beteiligten, was gemeinsam epochale Kunst erschuf.
Horn selbst startete hernach so richtig durch. Kaum jemandem gehört die Dekade so sehr wie ihm. Für Yes, deren Frontman er 1980 auch kurzzeitig war („Drama“) produzierte er u.A. das Erfolgsalbum „90125“ mit („Owner Of A Lonely Heart“). Die großartigen Art Of Noise wären ohne ihn nicht enfernt denkbar. Grace Jones machte er zum „Slave To The Rhythm“. Propagandas „Dr Mabuse“ oder „P.Machinery“ profitierten deutlich von seinem Knöpfchendrehen. Schlussendlich hat er mit Bob Geldof das gesamte Band Aid-Projekt („Do They Know It’s Christmas“) gestemmt. Das alles sind noch nicht einmal 10% seiner erfolgreichen Verdienste in der Populärmusik. Kein Zweifel: Die Musikwelt war seine Auster!
Willkommen in der Lustkuppel!
Das Debütalbum als Meilenstein
„Welcome To The Pleasuredome“ ist als Gesamtkunstwerk nichts weniger als eine einzige, große Erektion. Nicht wenige Kritiker monieren damals wie heute: Leider sei es auch nicht mehr als das. Den einen nur heiße Luft, den anderen heiße Lust öffnet die Scheibe ihnen die Tür zur popkulturellen Unsterblickeit. Die Dekadenz des Titelstücks steht nur scheinbar im krassem Widerspruch zum idealistischen Antikriegslied „Two Tribes“. Live gibt besonders Johnson gern den Agent Provokateur und lässt den Rockstar-Berserker raushängen. Auch im deutschen Fernsehen gehen sie in dieser Rolle auf und gelten anno 1986 im Blätterwald fortan als „Rüpel-Popper“. In den Staaten ecken sie mit ihrer „Born To Run“-Version an, die man dort vorwiegend als Springsteenschändung begreift.
Massiven medialen Gegenwind erhielt die Platte auch deshalb, weil sie etlichen Kritikern zu fragmntarisch war und kaum mehr als die aufgeblähte Version aller Stücke ihrer ersten drei Maxis. Letzteres Gegenargument funktioniert heutzutage nicht mehr. Denn wen sollte es nach mehr als drei Dekaden noch interessieren, ob die Singles oder die LP zuerst erschienen? Von diesem Vorwurf hat die Scheibe sich längst erfolgreich emanzipiert und steht ganz für sich allein.
Vorreiter des Extended-Mix:
Freilich gab es bereits vor den Frankies Maxis und verlängerte Varianten. Doch niemand hat das Format vorher so exzessiv gepusht, so perfekt genutzt und so kreativ als eigenständige Kunstform etabliert wie FGTH samt Trevor Horn. Ganz persönlich halte ich dieses klangfarbenfrohe Pioniertum für ihre eigentliche musikhistorische Leistung. Jedem Einsteiger empfehle ich zum Kennenlernen die Entdeckung ihrer 12-Inches samt den ausnahmslos hervorragenden B-Seiten. Folgende fünf Extensions sind – neben „Relax“ – im Frankie-Sortiment unerlässlich:
1. „Two Tribes“
Ihr treffender Friedensappell funktioniert vor allem im achtminütigen „Carnage-Mix“ hervorragend. Besonders die herrlich eingebrachte Gitarre verleiht dem Track hier eine passende Rockdynamik, die den Dance-Appeal des Liedes gelungen begleitet. „Mine is the last voice that you will ever hear. Don’t be alarmed!“
2. „Welcome To The Pleasuredome“
Mit zehnminütiger Laufzeit ist die Maxi kürzer als die viertelstündige LP-Version. Gleichwohl bleibt sie klarer Punktsieger. Das liegt auch an der ebenso mystischen wie augenzwinkernd großspurigen Erzählerstimme in der Einleitung. „I have forgotten how to walk and speak. I feel myself a god. I am no longer an artist. I have become a work of art…..Welcome to the pleasuredome!“ Dramaturgisch hochklassisch gezirkelt setzt von hier aus der Song ein. Das große „Huha“ erneut im ästhetischen Dialog zwischen E-Gitarre und Beats. Der Mackertext geht dreifachbödig ebenso als Referenz an Samuel Taylor Cooleridges „Kubla Khan“-Gedicht durch, wie auch als Orgie in der Lustgrotte und fungiert schlussendlich als Metapher gen Frankies kometenhaften Aufstieg in den Pop-Olymp. „Shooting Stars never stop, even when they reach the top.“
3. „Rage Hard“
Die erneut über zehnminütige Version der ersten Auskopplung aus „Liverpool“ ist eine echter Charmebolzen. Sie beginnt mit einer Dozentin die den Hörer analog Benjamin Brittens „Young Person’s Guide To Orchestra“ in „die wundervolle Welt der 12-Inches“ einführt. Eine Glanzleistung sondergleichen! Vordergründig kommt die Vorlesung als knuffige Erstlektion in Sachen extended Mixing aus der Deckung. Wer genauer achtet, kann jedoch die phallische Anspielung und diverse weitere Konnotationen – vom Orgasmus bis hin zur S&M-Referenz – kaum überhören. Der Songtext des eigentlichen Liedes inszeniert sich hingegen als literarischer Kniefall vor Dylan Thomas‘ „Do Not Go Gentle Into That Good Night“. Auf der B-Seite bringen sie eine launige Variation von Bowies „Suffragette City“, die ihnen deutlich besser zu Gesicht steht als das obig erwähnte Springsteen-Cover.
4. Warriors Of The Wasteland“
Ausgerechnet dieser tolle Rocksong konnte auf kurzer Distanz nicht komplett an die Erfolge seiner Vorgänger anknüpfen, obwohl es immerhin in Deutschland Platz 7 erreichte. In der langen Strecke machte das Stück diesen Boden jedoch gut und gilt vielen rückblickend als musikalisch womöglich stärkste Nummer neben „The Power Of Love“. Auch für mich war und ist dieses Lehrstück in Dynamik ein ewiger Favorit. Dass Arrangement ist hervorragend gealtert und war seiner Zeit als echter ‚Pop trifft Metal‘-Hybrid weit voraus. Die Grobheit in Rhythmus und Sound unterstreicht das dystopische Endzeitfeeling dieser Krieger des verheerten Landes vortrefflich. Für den kongenialen Text ließ Johnson sich sowohl von Mel Gibson als auch von T.S. Eliots „The Waste Land“ inspirieren. Totale Offensive, total aufs Maul, total Mad Max, total gut!
5. The Power Of Love
„I protect you from the hooded claw, keep the vampires from your door…..“ Knapp 10 Minuten lang erstrahlt eine der schönsten Balladen aller Zeiten in ihrer ganzen empathischen Pracht. Akustische Gitarren umspülen ihre stolze Melodie, bevor mächtige Streicher die Wall of Sound konsequent komplettieren. Die spöttisch nachgestellte Wutrede Mike Reads samt Stimmenimitation eines Vaterunser betenden Ronald Reagan verspotten beide Gegner als von FGTH entlarvte Feinde der Liebe. Eleganter kann man den sarkastischen Eulenspiegel kaum platzieren. Very british, meine Herren! Holly Johnson gelingt die mit Abstand ergreifendste Gesangsperformance seiner Karriere. Es ist der eine gaslichterne Moment, in dem romantische Zweisamkeit, philanthrope Weltunarmung und die Absage an alles Zerstörende einen – wenn auch nur Minuten währenden – Sieg des Lichts über die Schatten verkünden. Das Piano zwischendurch macht den Sack richtig zu. Nach Ende dieses perfekten Nachtliedes muss ein jeder wieder selbst dafür kämpfen, dass diese Kräfte obsiegen. „Make Love your Goal!“
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