Freunde ohne Feinde

Was Sitcoms der 90er über Trump und Co verraten könnten


Nach jedem rechtspopulistischen Wahlerfolg liest man in diesen Tagen, die (wahlweise linke oder liberale) Elite habe sich von den Sorgen des Volkes entfernt. Lebe im Elfenbeinturm. In Wolkenkuckucksheim. Sei somit Schuld am Auftsieg der Populisten.

Es folgen die Gegenreden: Mit solchen Sorgen muss man sich nicht beschäftigen. Allerdings beschäftige man sich doch schon längst! Und überhaupt, diese Entfernung von den einfachen Leuten sei selbst ein populistischer Mythos.

Sind „Linke Eliten“ schuld?

Nunja: Beides ist falsch. Wenn rechtspopulistische Parteien auf dem Vormarsch sind, Ex-Liberale und konservative Politiker geholfen haben, diese aufzubauen und Stimmen vor allem auch aus dem konservativen und marktliberalen Spektrum abgegriffen werden, dann müssen sich zuerst diese Leute fragen, wieso sie ihre Klientel verlieren. Kann es sein, dass es eben Berührungspunkte gibt zwischen dem gefeierten Kampf ums Dasein auf dem Markt und dem kanalisierten Kampf ums Dasein, dem sich nationalistische Bewegungen verschreiben?

Ebenso müsste eine Linke (die Partei), die doch mal Wege aus der Knechtschaft weisen sollte und nun unter Wagenknechtschaft ebenfalls massig Wähler zur AfD überlaufen sieht, mal gehörig in sich gehen. Damit haben standhaft gebliebene linke oder liberale „Eliten“ wenig zu tun.

Dass an der Elitenentfremdung dennoch einiges dran ist, erlebe ich immer dann, wenn ich als Kleinstädter mit großstädtischen linken/liberalen Bekannten kommuniziere. Wie kann es sein, dass du mit Leuten von der CDU auf guten Fuß stehst? Mit FDP-Mitgliedern verkehrst? Freunde unter diesen inkonsequenten Ökos der Grünen hast? Mit den bösen Kommunisten von der Linkspartei sprichst? Usw, usf. Und das sind noch die kleineren Dinge. In der Kleinstadt haben die „Intellektuellen“ egal welcher Prägung kaum Raum, abzuheben, die Echokammer fehlt. Natürlich kann das auch verdammt nervig sein. Doch was mir an Asten- und Arbeitskreiszoff dagegen aus Unistädten zugetragen wird, befremdet zunehmend.

Freunde ohne Feinde

Doch könnte man das mittlerweile (ich werde immerhin 33) auch gut als Generationenproblem abtun. Dass der gesellschaftliche Riss aber nicht nur eine größere Sache, sondern auch deutlich älter sein dürfte als das offensichtliche Populismuproblem kam mir dann über Weihnachten, als ich mir mal wieder einige alte Sitcoms der 90er und frühen 00er ansah.

Tatsächlich kommt in den großen Erfolgen dieser Zeit die gesellschaftliche Strömung, aus der sich Tea Party und Trump-Wähler dann rekrutierten, immerhin heute knapp 50 % der Wähler, praktisch nicht vor. Nicht nur unter den weltoffenen, sympathischen Hauptcharakteren. Auch (vermeintliche) Bösewichter wie Dr. Kelso oder der Hausmeister (Scrubs) und verdeckte Republikaner teilen, mögen sie auch manchmal sprachlich davon abweichen, im Herzen durchgängig das weltoffene egalitäre Weltbild, von dem man damals womöglich hoffen konnte, dass es sich zum allgemeinen weltweiten Leitbild aufschwingen würde.

Aber konnte man das? Oder war diese Hoffnung nicht schon Teil der Verdrängungsleistung? Apropos Verdrängung: Auch in DEM Serienhit der 90er sind ernsthaft konservative Charaktere jeglicher Prägung eklatant abwesend. Vom Hippie über den treudoofen Schauspieler und die Familienorientierte kinderlose Übermutter bis hin zum studierten Paleontologen und seiner verwöhnten WASP-Geliebten gibt es praktisch keine Misstöne innerhalb des progressiven Zeitgeistes (Misstöne die, wie u.a. Eine Schrecklich Nette Familie zeigte, man durchaus komisch inszenieren kann ohne sie zu glorifizieren).

Keine Brüche. Auch nicht von Links

Übrigens auch keinen Linken. Weder liebäugelt Joey jemals wie noch Kramer in Seinfeld mit radikalen Alternativen zum Kapitalismus, noch käme „Hippie“ Phoebe je auf die Idee, dass der Kampf ums Dasein, den bereits der Titelsong bittersüß ausmalt, je etwas anderes sein könne als eine manchmal nervige, doch oft auch schöne und unter Freunden ertragbare Notwendigkeit. Alle menschlichen Ängste und Sorgen werden radikal entkontextualisiert, individualisiert, privatisiert. In den Nachfolgehits HIMYM und Big Bang Theory gestaltet es sich ähnlich. Überhaupt tilgte die neue Sitcom-Generation aus den Erfolgmodellen der späten 80er jede echte Widerspenstigkeit, selbst noch die meist Unpolitische des Anarchen, der durch seine bloße Existenz die spießbürgerliche Gemütlichkeit aufmischt (Kramer in Seinfeld, Alf, Sophia in Golden Girls, zu einem gewissen Grad Al Bundy).

Nun ist es natürlich gute Tradition, sogar geradezu zum Begriff der Traumfabrik gehörig, dass über den anstrengenden Alltag ein Zuckerguss gezogen wird. Und keineswegs soll hier für „rechtere“ Comedy geworben werden. Dezidiert politische Comedy ist, nebenbei, sowieso, wenn überhaupt meist als unfreiwillige Selbstdemontage komisch – siehe: Deutsches Kabarett. Aber wenn in den großen Erzählungen für die Massen unserer Zeit letztlich nur 6 Varianten des je selben verkrüppelten Traumes vom Kämpfen und immer wieder auf die Füße fallen ausgebreitet werden, dann ist das bezeichnend.

Nicht als Auslöser, doch als Abbild und früher Seismograph einer gesellschaftlichen Plattenverschiebung, die sich heute zum veritablen Beben ausgeweitet hat, und die in der mittlerweile halb ängstlichen halb freudig apokalyptischen Feier des Menschen als des Menschen Wolf auch in der Populärkultur wohl ihrerseits bereits wieder ihren Spiegel findet.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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