Adios, Diktator

Fidel Castro ließ niemand kalt. Man hat ihn als Revolutionär und Freiheitskämpfer verehrt oder als ewigen kalten Krieger und Diktator abgelehnt. Wie immer man über den Verstorbenen denken mag. Der bei den Kubanern weitverbreitete Wunsch, ihr heruntergewirtschaftetes Land zu verlassen, zeigt, dass der Caudillo seinem regierenden Bruder Raul ein schweres Erbe hinterlässt.


Über Tote soll man nicht schlecht reden. Aus diesem Grund hatte ich vor, nichts zum Tode von Fidel Castro zu schreiben. Die Kollegen Heiko Heinisch und Alexander Wallasch überzeugten mich, es doch zu tun. Aller Pietät und Barmherzigkeit zum Trotz komme ich um wahre Worte, die bekanntlich nicht schön sind, nicht umhin. Castro, war eben nicht nur Charismatiker, Volkstribun und Revolutionär, der ein korruptes Regime hinweg gefegt hat. Er war auch Diktator, Unterdrücker, Zensor und Verwalter sozialistischen Mangels. Homosexuelle ließ der Caudillo brutal verfolgen (zu sehen unter anderem in dem Film „Bevor es Nacht wird“). Und er hat die Welt während der Kubakrise an den Rand eines atomaren Armageddons gebracht. Als sich der damalige Kremlchef Nikita Chrustschow schließlich mit den USA auf den Abzug, der auf Kuba stationierten Raketen einigte, warf Castro dem Sowjetherrscher vor, er habe keine „Cojones“ (auf die Übersetzung verzichten wir an dieser Stelle). Gottseidank hatten weder Chrustschow noch US-Präsident John F. Kennedy genug „Cojones“, um die Welt wirklich in den Abgrund zu stürzen, sollte man lieber sagen.

In Kuba herrscht allerorten Mangel

Gewiss, in Kuba gibt es auf dem Papier Bildung und medizinische Versorgung für alle. Und anders als in anderen Ländern Lateinamerikas herrscht in Kuba kein Riesengefälle zwischen arm und reich. Abgesehen von der Nomenklatura der kommunistischen Partei sind dort alle gleich arm. Aber auch den Mythos von der vorbildlichen kubanischen Medizin kann man schnell ins Wanken bringen. In der Tat gibt es auf Kuba viele und gut ausgebildete Ärzte. Was ihnen fehlt, das sind Arzneimittel und moderne medizinische Gerätschaften. Wenn ein Diego Maradona nach Kuba reist, um sich gegen seine Drogensucht behandeln zu lassen, dann bringt er die entsprechenden Devisen für Medizin und Verpflegung selbst mit. Pablo oder Lucia Normalkubaner dagegen müssen mit dem Mangel auskommen, den das System ihnen übrig lässt. Und das ist oft so wenig, dass es selbst studierte Mediziner vorziehen, im eigenen Land als Fremdenführer oder Taxifahrer zu arbeiten, um immerhin ein paar Dollar Devisen einzustreichen. Oder sie versuchen, ganz wegzukommen von der Insel des Mangels. Hin zum Klassenfeind in die Vereinigten Staaten, nach Europa oder in andere Länder Lateinamerikas.

In Chile, wo der Kapitalismus so kapitalistisch ist, dass es manchmal wehtut, habe ich einige Kubaner kennengelernt. Studierte Ärzte, Krankenpfleger oder Lehrer. Sie kellnerten dort in Restaurants, legten in Clubs CDs auf oder brühten bei Starbucks und der kolumbianischen (!) Konkurrenz Cafe Juan Valdez Latte macchiato. Und in Deutschland wurden meine Zähne jahrelang von einer Arzthelferin gereinigt, die in Kuba als ausgebildete Ärztin aktiv war. Was all diese Menschen über ihre Heimat, den Mangel, die Unterdrückung und die Perspektivlosigkeit berichteten, hätte mich niemals dazu angeregt, eine Jubelarie auf einen Mann zu verfassen, der bis zum Schluss im Gedankengefängnis des Kalten Krieges und seiner sozialistischen Ideologie lebte. Wer diesen Menschen nicht glaubt, möge sich bitte an die Bilder der Bootsflüchtlinge erinnern, die sich in den 90er Jahren in Nussschalen setzten und ihr Leben in Gefahr brachten, nur um an die Küste des Erzfeindes, nach Florida, zu gelangen.

Lieber Kaffee brühen bei Starbucks

Loblieder auf Castros Kuba, das sangen zu Lebzeiten vor allem diejenigen, die in Havanna dafür bezahlt wurden oder Menschen, die nie in Kuba leben mussten. Wie etwa Bernd Riexinger, der Vorsitzende der deutschen Linkspartei, ein früherer Betriebsrat der Leonberger Bausparkasse. Der Politprofi aus dem Wohlstandsländle twitterte anlässlich Castros Tod: „Mit Castro ist ein großer Revolutionär gestorben. Unsere Solidarität mit Kuba lebt weiter.“ Toten eine Ehre zu erweisen, ist das eine. Allerdings sendeten Vertreter der Linkspartei, aber nicht nur sie, schon zu Castros Lebzeiten äußerst freundliche Botschaften an den Maximo Lider von der Zuckerinsel. Wer so etwas tut, wirkt mehr als unglaubwürdig, wenn er aktuell die Herren Putin, Erdogan oder gar Trump (der bislang nur geredet oder getwittert hat) wegen deren Politik ins Visier nimmt. Wer das eine tut, sollte das andere nicht unbedingt lassen. Dass in Castros Kuba zeitweise gefoltert, verhaftet und zensiert wurde oder noch wird, dürfte sich bis in die schwäbische Provinz herumgesprochen haben.

Die kubanische Bloggerin und Menschenrechtsaktivistin Yoani Sánchez kommt mit ihrem Statement bei Twitter der Wahrheit wohl näher: „Das Vermächtnis von Castro ist eine Nation in Trümmern und ein Land, dass die Jungen verlassen wollen.“ Allerdings: Staaten wie El Salvador oder Honduras sind nicht sozialistisch. Auch dort herrscht Armut, dazu unfassbare Gewalt; auch dort sitzt ein Teil des Volkes auf gepackten Koffern.

Castros schwierige Erbe verwaltet nun sein – pragmatischerer – Bruder Raúl. Hoffentlich bekommt er mehr Handlungsspielraum für echte Reformen.

Schweres Erbe für Bruder Raúl

Zum Abschluss allerdings doch noch etwas christliche Barmherzigkeit. Castro selbst hat über sich gesagt: „Die Geschichte wird ihr Urteil über mich fällen.“ Das wird so sein. Allerdings wird dieses Urteil unterschiedlich ausfallen, je nach dem wie der lokale oder aktuelle Zeitgeist gerade weht. Was man Castro indes ohne Zweifel zu Gute halten muss, ist, dass auch er ein Produkt seiner Zeit und seiner Umwelt war. Die Ruchlosigkeit des Batista-Regime, der Zynismus, den Mächtige und Reiche in Lateinamerika bis heute an den Tag legen, haben den Jesuitenschüler mit Sicherheit mit zu dem Revolutionär und Freiheitsfeind gemacht, der er letzten Endes wurde. Die CIA und andere dürften mit ihren Umsturzversuchen Castro zusätzlich in die Arme der Sowjetunion und des kommunistischen Blocks getrieben haben. Und man muss zugestehen, dass die Castros in Kuba kein apokalyptisches Gewaltlabor errichtet haben wie im Venezuela des Hugo Chávez, wo trotz reichster Ölvorkommen alles am Boden liegt, selbst die öffentliche sozialistische Ordnung. Nicht zuletzt unter dem Einfluss des bodenständigeren Raúl wurden zuletzt Reformen angestoßen, die den Alltag etwas aufhellen.

Es könnte das größte Verdienst des scheidenden US-Präsidenten Barack Obamas bleiben, einen historischen Fehler, die bedingungslose Konfrontation seines Landes mit Kuba, korrigieren zu wollen. Eine weitblickendere Politik Washingtons zu früheren Zeiten hätte dem amerikanischen Kontinent eventuell einige von Castros Regime mitangezettelte Bürgerkriege erspart und gleichzeitig dem kubanischen Volk eine bessere, freiere Zukunft ermöglicht. Über das Lebenswerk des Caudillo könnte nun milder geurteilt werden.

Wenn Castro indes in seinem Innern der gläubige Katholik geblieben ist, für den ich ihn halte (immerhin hat er sich mit drei Päpsten getroffen, alle sprachen respektvoll von ihm), wird nun zunächst ein nichtweltlicher Richter sein Urteil fällen. Und dieser Richter ist wirklich barmherzig und gnädig. Gnädiger als dies ein Kolumnist sein kann. In diesem Sinne: Adios, Diktator! Möge es Dir gut ergehen auf Deiner letzten Reise!

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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