Polizei-Kameras? Ja, bitte!

Deutsche Polizisten hätten gern Körperkameras wie Internationale Kollegen. Aber bitte ohne Dauereinsatz und unabhängige Auswertung. So sind die Dinger nutzlos. Selbst bei Gewalt GEGEN Polizisten!


Ein junger Gastdozent aus Nordirland legte sich für uns sehr ins Zeug. Um uns richtig tief in den nordirischen Friedensprozess einsteigen zu lassen, interviewte er hochrangige Mitglieder von Sinn Féin und Ex-IRA-Offiziere, sprach mit Leuten an der Basis und suchte so regelmäßig den Kontakt mit Menschen die womöglich Morde und die berüchtigten Kneecappings befohlen und ausgeführt hatten. Doch auch bei der britischen Polizei spürte er Skandalen nach. All das aus Idealismus und für die bekanntermaßen lächerliche Aufwandsentschädigung wissenschaftlicher Lehrbeauftragter.

Ombudsmänner und Überwachung

Eines Nachts überquerte der Dozent in Mainz eine Straße nahe einer roten Ampel. Er wurde gestoppt und musste zehn Euro zahlen. Wo man denn da Beschwerde einlegen könne, fragte er uns am nächsten Tag. Na bei der Polizei. Ernsthaft? In Nordirland hatte man aufgrund der historischen Erfahrungen längst ein System von Polizei-Ombudsleuten eingerichtet, das verhindern soll (und dabei wohl relativ erfolgreich ist), dass Polizei notwendig befangener Weise gegen sich selbst ermittelt. Vor diesem Hintergrund scheint das deutsche System geradezu absurd. Man weiß, welche Erfolgsaussichten Anzeigen gegen Polizisten hier haben.

Es überrascht entsprechend wenig, dass Nordirland auch im Bereich der Bodycams (Körperkameras) für Polizisten ein europäischer Vorreiter ist. So berichtet die Zeit:

Die Forscher der Eliteuni Cambridge werteten 1,5 Millionen Videostunden von 4.000 Einsätzen aus. Das Material stammt aus Städten in Kalifornien und Großbritannien. In beiden Ländern gehören die Kameras teilweise schon zum Berufsalltag. Die Ergebnisse: In den zwölf Monaten vor der Studie zählten die Statistiker insgesamt 1,2 Beschwerden aus der Bevölkerung pro Polizist. Nach einem Jahr Videobeobachtung fiel dieser Wert auf 0,08 Beschwerden – ein Rückgang um 93 Prozentpunkte. Die Forscher sehen ihre Hypothese bestätigt: Polizisten, die damit rechnen müssen, überwacht und zur Rechenschaft gezogen zu werden, gehen rücksichtsvoller mit den Bürgern um. Die danken es und beschweren sich weniger über das Auftreten der Beamten.

Einschüchtern ohne Verantwortung?

Teile des britischen Experimentes wurden dabei, naheliegend, in Nordirland durchgeführt. Auch aus den Reihen der deutschen Polizei werden immer einmal wieder solche Bodycams gefordert. Und ebenfalls aus den Reihen dieser Polizei: Vehement abgelehnt. Kameras brauche man dem Vernehmen nach, weil die Gewalt gegen Polizisten immer mehr zunehme (wobei es sich oft um verbale Gewalt handelt, aber nett ist das ja auch nicht, gell?). Man wolle sie nicht, weil es nicht angehen könne, die Polizei in ihrer Arbeit misstrauisch zu überwachen.

Es ist egal, warum die Dinger kommen, Hauptsache sie kommen. Die Wirksamkeit auch gerade, was die Hoffnung auf weniger Gewalt gegen Polizei betrifft, ist hinlänglich erwiesen. Allein: die Wirkung kann sich nur entfalten, wenn kein deutscher Sonderweg gegangen wird. Getestet werden Bodycams in Deutschland nämlich durchaus, allerdings: Nach Belieben an- und abschaltbar.

Die Idee dahinter: Wir nutzen den Einschüchterungseffekt gegen Polizeigewalt, wollen uns aber nicht der Überwachung der eigenen Arbeit aussetzen. Eine Milchmädchenrechnung. Denn es ist unwahrscheinlich, dass das Gefälle zwischen Kameranutzer und Gefilmtem den gewalteindämmenden Effekt hervorruft. Das Machtgefälle – zwischen Bewaffnetem und Unbewaffnetem, zwischen Gepanzertem und Ungepanzertem – ist jetzt schon groß genug. Aller Erfahrung nach wird aber dort mehr Gewalt gegen Polizisten ausgeübt, wo diese einschüchternder Auftreten. Eine nach belieben einsetzbare Kamera dreht den Regler in die falsche Richtung.

Kameras ohne Ausschalter!

Dagegen: Das Wissen, dass fortan auch die Handlungen der Polizei transparenter und damit kritisier- und nachverfolgbarer werden, dürfte zur Entspannung der Situation zwischen Bürger und Polizei beitragen. Wo ich nicht, ob zu Recht oder Unrecht, ständig Willkür fürchte, trete ich entspannter auf. Eskalationsspiralen, zu denen es gar keine bösen Absichten der Beteiligten braucht, werden weniger leicht in Gang gesetzt.

Also Bodycams? Bitte. Aber ohne Ausschalter. Es lohnt sich von Staaten zu lernen, die seit Jahrzehnen Erfahrungen mit dem zerütteten Verhältnis von Polizei und Bürger sammeln, das seit geraumer Zeit auch hier beklagt wird. Das nordirische Ombudsmannsystem könnte man bei der Gelegenheit gleich auch importieren. Obwohl unser Gastdozent im obigen Fall wahrscheinlich selbst dort am Ende unterlegen wäre. Was Ampeln betrifft verstehen Deutsche keinen Spaß.

Sören Heim

Sören Heim ist Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er ist Träger des kosovarischen Preises für moderne Dichtung „Pena e Anton Pashkut“ (Stift des Anton Pashku) und des Sonderpreises „Favorit von Daniel Glattauer“ der art.experience 2014. In HeimSpiel schreibt Sören Heim mit Heimvorteil zu den Schnittpunkten von Kunst, Kultur und Gesellschaftspolitik. Er beleuchtet die unerwartete Bedeutung ästhetischer Fragestellungen für zeitgenössische Debatten, die mit Kunst auf den ersten Blick kaum Berührungspunkte haben. Und wo immer, sei es in der Politik, sei es in der Ökonomie, sei es gar im Sport, er auf geballten Unsinn und Unverstand trifft, wagt der Kolumnist auch das ein oder andere Auswärtsspiel. Bisher erschien die Kolumne HeimSpiel im Online-Debattenmagazin The European. Daneben veröffentlicht Heim in mehreren Literaturzeitschriften vornehmlich Lyrik und dichte Kurzprosa, und bloggt auf der eigenen Homepage aus seinem Zettelkasten. Monographien: Kleinstadtminiaturen: Ein Roman in 24 Bildern. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154181.Cover nur Front Gewogene Worte: Nachdichtungen aus dem Chinesischen. edition maya: 2016 – ISBN: 978-3930758463.cover kathaStrophen. Experimente in Rhythmus und Melodie. Chiliverlag: 2017 -ISBN: 978-3943292541.FrontCover 2_bleu Algenhumor: Gedichte für das dritte Jahrtausend. Girgis Verlag: 2016 – ISBN: 978-3939154228.algen Audio-Exklusiv: La vie! La jeunesse! – Hörmordkartell 2017

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