Der Nobelpreis für Bob Dylan ist verdammt verdient.
Anlässlich etlicher kritischer Stimmen – etwa auch Sören Heims Artikel – die sich über die Nobel-Preisverleihung grämen, stellt Ulf Kubanke sich per Gegenrede auf die Seite des Komitees und des Geehrten.
An alle nölenden Kritiker: Der Nobelpreis für Bob Dylan ist verdammt verdient. Und das sogar in doppelter Hinsicht – strukturell wie konkret! Etwaige Gegenargumente vermögen nicht zu überzeugen und zeigen nur umso deutlicher, wie sehr die Nobel-Pharisäer eines literarischen Elfenbeinturms bislang im eigenen Saft ihres angestaubten Formalismus und Reformstaus versanken.
1. „Dylan und Co haben die Sprache nicht entscheidend weiterentwickelt, sondern recyclen alten Stil als Wiederaufbereitungsanlage für die moderne Gegenwart.“
Vielleicht „ja“, vielleicht „nein“. Erheblich ist es nicht. Es zeigt nur jenes verknöcherte Grundversäumnis, welches vollkommen verkennt: Ein Text taugt entweder viel oder wenig, berührt oder lässt kalt. Ob das nun Cohen ist oder Reed, Cave oder Waits, Brel oder Tupac – ist nicht von Belang. Wichtig ist jedoch, ihnen allen die Pforten der Wahrnehmung zu öffnen.
Warum?
Ganz einfach: Wer ein brillanter Storyteller oder ausdruckstarker Poet ist, wer Menschheit und Welt sinnlich wie intellektuell entlarvend den Eulenspiegel vorhält, wer mit einem nur scheinbar läppischen „Bebop-A-Lula“ oder „See Ya later, alligator!“ Mauern zerbirst, verdient genau dieselbe Anerkennung wie ein Goethe oder Thomas Mann. Diesen Gedanken zu Ende gedacht, wird es Zeit für diesen Preis, auch mal bei Stephen King, John Grisham usw anzuklopfen und den überfälligen Kotau zu leisten. Keine Chauvi-grenze zwischen Bach und Beatles hie oder Schiller und Tolkien dort.
Dies führt zum nächsten Scheinargument.
2. „Der Preis ist bzgl. seiner Kriterien dafür nicht ausgerichtet.“
Na und? Dies ist lediglich ein Problem der quasi vereinsinternen Satzung und Ausdruck des dekadenlangen Versäumnisses, hier entsprechende Kategorien zu schaffen. Das im Innenverhältnis schmälert im Außenverhältnis zur Welt nicht den Mut und die Leistung der diesjährigen Jury. Endlch hat man begriffen, dass „konservativ/oldschool“ etwas ganz anderes ist als „hängengeblieben“.
Ein Grund zur Freude!
Endlich begreift man dort anscheinend, dass es sinnlos ist, in einer Landschaft voller Elefanten weiterhin stur auf „Mammut“ zu pochen.
Endlich brechen Krusten auf!
Insofern könnte man dem Komitee lediglich den Vorwurf machen, hier pragmatisch zu handeln, bevor man die Satzung änderte. Aber wen sollte so ein Vorwurf interesieren? Relevant ist er für die Öffentlichkeit nicht ein bisschen.
Zuletzt wird gern entgegnet:
3. „Songtexte sind Teil einer mit Musik verbundenen Kunstform. Literatur muss ohne Schmiermittel funktionieren.“
Doppel-Fail! Zum einen könnte man jederzeit die Kategorien erweitern. Zum anderen ist es schlichtweg unzutreffend. Etliche Dylan-Lyrics, Reed-Texte, Brel-Zeilen, Public Enemy-Raps etc. funktionieren auch ohne den musikalischen Mantel ebenso hervorragend wie eigenständig.
Tom Waits Texte zu „Swordfishtrombones“/“Rain Dogs“/“Frank’s Wild Years“ etwa erschien als Sammelband ohne den Klangkörper. Wer sie liest, ohne die Lieder zu kennen, wird keinen Unterschied zu reinen Lyrik/Prosa-Sammlungen erkennen.
Noch deutlicher ist es bei Leonard Cohen. Dieser hat sowohl lupenreine Gedichtbände herausgegeben als auch Songtexte. Beides überschneidet sich mitunter sogar. Manches Juwel erblickte erst das Licht der Welt als Poem, um später ein Lied zu werden. Mit welcher Logik – die nicht hirnrissig wäre – würde man also „Suzanne“ und Co als Teil einer Lyriksammlung nominieren dürfen, als Teil eines Songbooks jedoch nicht?
Genau diesen unsäglichen Widerspruch hat man mit der Preisverleihung an seine Bobheit aufgehoben. Zumindest einen Spalt breit ist die Tür zur Schnittstelle Kultur=Popkultur nunmehr offen. Zwar ist es noch kein Scheunentor. Doch schließen wird man sie nicht mehr können.
Das ist gut.
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