Präsident Sysiphos

In Zeiten des Terrors wird Francois Hollande über die Grenzen hinweg für sein Krisenmanagement gelobt. Auch in der Europapolitik ist der Franzose eigentlich unverzichtbar. Allerdings könnte er sich mit einem Zickzackkurs in der Innenpolitik und privaten Eskapaden um eine zweite Amtszeit gebracht haben.


In den Zeiten des Terrors macht François Hollande keine Fehler. Im Gegenteil: Selbst Gegner zollen Frankreichs notorisch glücklosem Präsidenten Respekt für sein ebenso umsichtiges wie konsequentes Handeln. Das deutsche Wochenblatt „Die Zeit“ verglich seine Krisenpolitik nach den Anschlägen von Paris am 13. November vergangenen Jahres gar mit Helmut Schmidts Agieren im Deutschen Herbst 1977. Und die Hamburger müssen es wissen. Schließlich fungierte der große Kanzler jahrzehntelang als deren Herausgeber.

In der Tat: Ob im November, ob nach dem Angriff auf die Redaktion von Charlie Hebdo oder nach den jüngsten Anschlägen in Nizza oder Rouen. Stets war Hollande sofort vor Ort und fand mitfühlende Worte für die Angehörigen. Ohne zu dramatisieren kündigte er den Mordbrennern des so genannten „Islamischen Staates“ einen erbarmungslosen Kampf an. Ebenso appellierte er an den Geist der Republik und beschwor die Franzosen, sich nicht auseinanderdividieren zu lassen. Nachdem nun in der Nähe von Rouen ein katholischer Priester enthauptet wurde, lud der Staatschef zu einem Dialog der Religionen ein. Selbst wenn Schmidt noch leben würde, viel besser hätte er nicht reagieren können. Gäbe es ein europäisches Ranking für Krisenmanagement, Hollande gebührte klar der Spitzenplatz.

Der Helmut Schmidt Frankreichs

Dennoch gilt der Sozialist in unserem Nachbarland als Unglücksvogel mit Zustimmungsraten, die sich auf niedrigem Niveau zwischen zehn und 20 Prozent eingependelt haben. Müsste die Sozialistische Partei schon heute einen Kandidaten für die nächste Präsidentschaftswahl aufstellen, Hollande würde Probleme haben, sich gegen Premierminister Manuell Valls oder Wirtschaftsminister Emmanuel Macron durchzusetzen. Ganz ohne Chance wäre der Amtsinhaber gegen den konservativen Umfragefavoriten Alain Juppé und die Rechtspopulistin Marine Le Pen. Sogar sein sprunghafter Vorgänger Nicolas Sarkozy, der den Élysée-Palast in Folge mehrerer Skandale und Affären nach nur einer Periode verlassen musste, würde ihn ausstechen.

Bei aller Regierungskunst in Krisenzeiten, viele Franzosen sprechen Hollande mittlerweile das Format ab, das sie von einem Staatschef erwarten. Immer noch ist der Staatspräsident bei unseren westlichen Nachbarn, anders als hierzulande, eine Art Ersatzmonarch. Und königlich war vieles, was Hollande seit seinem Amtsantritt im Sommer 2012 auf die Beine gestellt hat, nicht. Was sowohl für seine politische Arbeit als auch für sein Privatleben gilt.

Private Eskapaden schaden Hollande

Politisch ließ es Hollande, der zuvor nie ein wichtiges Regierungsamt inne hatte, sondern nur Parteifunktionär war, lange an klarer Linie fehlen. Flügelkämpfe, die unter Parteichef Hollande bei den Sozialisten an der Tagesordnung waren, fanden in der Regierung nahtlos ihre Fortsetzung. Vor allem der linke Flügel ließ es nach Regierungsantritt zunächst mächtig krachen. Obwohl die französische Wirtschaft bereits unter hohen Abgaben und einem Übermaß an Bürokratie ächzte, wurde weiter an der Steuerschraube gedreht. Sinnbild für Hollandes Fehlstart wurde das Symbolprojekt der Reichensteuer in Höhe von 75 Prozent. Schauspieler Gerard Depardieu nahm deswegen demonstrativ die russische Staatsbürgerschaft an, der heutige Wirtschaftsminister Macron nannte die sozialistische Fiskalpolitik „Kuba ohne Sonne“.

Nach dem die Arbeitslosenzahlen weiter nach oben kletterten und der Wirtschaftsmotor absoff, sah sich Hollande zur Vollbremsung gezwungen. Zudem erwies sich die zunehmende Wachstumslücke gegenüber Deutschland als Gift fürs französische Selbstvertrauen.

Als die Sozialisten bei Kommunalwahlen nur noch dritte Kraft hinter den konservativen Republikanern und dem rechtspopulistischen Front National wurden, entsorgte der Präsident schließlich nach und nach linke Frontmänner. Unter anderem Industrieminister Arnaud Montebourg und Budgetminister Jerome Cahuzac, der über eine Affäre gestolpert war. Konservative Sozialdemokraten wie der neue Regierungschef Valls und eben Macron gaben nun den Ton an. Endlich rang sich Hollande auch zu dringend notwendigen Wirtschaftsreformen nach dem Vorbild von Gerhard Schröders Agenda 2010 durch. Nur, dass die französischen Ansätze weit hinter der deutschen Blaupause zurückblieben. Dennoch reichte dies, um nunmehr den linken sozialistischen Flügel gegen Hollande aufzubringen.

Mit dem Motorroller zur Mätresse

Mehr noch als der politische Wankelmut haben private Eskapaden dem Staatschef geschadet. Lange Jahre war Hollande mit Parteifreundin Segolene Royal liiert. Als ihm die Gefährtin 2007 die Präsidentschaftskandidatur vor der Nase wegschnappte, geriet die Beziehung in Turbulenzen. Sie endete, als Royal dahinter kam, dass ihr Freund ein Verhältnis mit der Fernsehjournalistin Valerie Trierweiler hatte. Obwohl aus ihrer Verbindung vier Kinder hervorgegangen waren, setzte die Beinahe-Präsidentin Hollande vor die Tür.

Auch dessen neue Liaison stand unter keinem guten Stern. Der Presse kam zu Ohren, dass Hollande ein Techtelmechtel mit dem Filmsternchen Julie Gayet eingegangen war. Wie ein Dieb schlich er sich nachts auf einem Motorroller vom Präsidentenpalast zur Filmbeauty. Bald konnte sich die ganze Nation an Fotos ergötzen, die Hollande mit dem Helm auf dem Kopf durch Paris fahrend zeigten.

Nicht, dass die Franzosen prüde wären und ihren Spitzenpolitikern keine Seitensprünge verzeihen. Im Gegenteil. Spätestens seit den Bourbonen gehören Mätressen zur Macht irgendwie dazu. Und bei Hollandes Vorvorgängern Francois Mitterand und Jacques Chirac waren deren Geliebte offene Geheimnisse. Doch ein Staatschef, der sich inkognito zu seinen Amouren schleicht, das empfand die Nation dann doch entwürdigend.

Ex-Freundin schrieb Enthüllungsbuch

Als dann Madame Trierweiler der Trennung ein Enthüllungsbuch folgen ließ, in dem sie gnadenlos mit Hollande und dessen vermeintlichen Charakterschwächen abrechnete, brachen dessen Popularitätswerte endgültig ein. Ein Staatspräsident als öffentliches Gespött, für viele Franzosen der worst case. Sie fingen an, sich für ihn zu schämen.

Bei aller Kritik sollte aber gewürdigt werden, dass Hollande in der Außenpolitik vieles richtig gemacht hat. Während andernorts nur Sonntagsreden über die Bekämpfung von Terror- und Fluchtursachen gehalten werden, hat der Franzose gehandelt. So intervenierte die französische Armee in Mali, um den Vormarsch der Islamisten zu stoppen. Auch in Syrien war unser westlicher Nachbar das einzige größere europäische Land, das sich zu einer begrenzten militärischen Operation bereit zeigte. Und in manchen der jüngsten innereuropäischen Konflikte war es Frankreich, das seine Partner am Ende zu pragmatischen Kompromisslösungen zwang, nachdem andere bis zum Ende auf heroischen Maximalvorstellungen oder nationalem Eigeninteresse beharrten.

Doch immer wenn die Franzosen anfangen, ihren Präsidenten für sein Geschick auf internationaler Bühne zu respektieren, taucht ein neues Fettnäpfchen auf. So zuletzt die monatliche Rechnung von Hollandes Friseur in Höhe von fast 10.000 Euro. Und die wird nicht aus der Privatschatulle des Politikers, sondern vom französischen Staat beglichen.

Europa braucht die „Grande Nation“

Angesichts der Herausforderungen, vor denen Europa aktuell steht, braucht es Frankreich mehr denn je als Führungsmacht. Das gilt umso mehr, da Großbritannien nach der Entscheidung für den Brexit erst einmal mit sich selbst beschäftigt ist. Wer sonst als die „Grande Nation“ könnte da nüchtern tragfähige Lösungsansätze für so dramatische Entwicklungen wie die Bürgerkriege vor Europas Haustür oder die Migrationskrise finden – und diese anschließend mit der nötigen Softpower von der Irischen See bis zum Schwarzen Meer mehrheitsfähig machen. Hollande, der krisenerprobte Taktiker, Kompromiss gestählt im Haifischbecken seiner sozialistischen Partei, wäre nicht der schlechteste Makler.

Daher könnte man schon versucht sein, vor der Präsidentschaftswahl im nächsten Jahr eine Kerze für Hollandes politische Wiederauferstehung anzuzünden. Ein möglicher Sieg der Rechtspopulisten Le Pen wäre nicht nur für Europafreunde ein Alptraum. Ein Kontinent könnte endgültig Maß und Mitte verlieren.

Andreas Kern

Der Diplom-Volkswirt und Journalist arbeitet seit mehreren Jahren in verschiedenen Funktionen im Bereich Öffentlichkeitsarbeit. Kern war unter anderem persönlicher Referent eines Ministers, Büroleiter des Präsidenten des Landtages von Sachsen-Anhalt sowie stellvertretender Pressesprecher des Landtages. Er hat nach einer journalistischen Ausbildung bei einer Tageszeitung im Rhein-Main-Gebiet als Wirtschaftsredakteur gearbeitet . Aufgrund familiärer Beziehungen hat er Politik und Gesellschaft Lateinamerikas besonders im Blick. Kern reist gerne auf eigene Faust durch Südamerika, Großbritannien und Südosteuropa.

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