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Die Bundesregierung möchte wieder einmal den internationalen Terror bekämpfen. Das ist auch ihre Aufgabe. Das sogenannte Anti-Terror-Gesetz enthält dazu nur bedingt brauchbare Ideen.
Foto: Thomas_de_Maizière-Gemeinfrei-Wikimedia-Flickr Bearbeitung : HS
Ja, der Thomas de Maizière hat immer wieder neue Ideen, wie er Deutschland und Europa besser vor Terroranschlägen schützen kann. Die nennt er dann immer Anti-Terror-Gesetz. Das klingt gewichtig. Wer vom Geschlechtsverkehr kein Baby bekomme möchte, nimmt die Antibabypille, wer beim Bremsen nicht schleudern will, hat ein Anti-Blockiersystem, wen Bakterien quälen, der bekommt Antibiotika und gegen Faschisten gibt es Anti-Faschisten. All diese Antis wirken mehr oder weniger zuverlässig.
Bei de Maizières Anti-Terror-Gesetzen kann man aber nicht davon ausgehen, dass eine positive Wirkung, falls es überhaupt eine gäbe, besonders groß wäre.
Wir wollen den Terroristen machtvoll entgegentreten
sagte de Maizière im ARD-Morgenmagazin.
Das klingt vielversprechend. Machtvoll. Ein Wort wie Donnerhall. Man sieht den Minister auf seinem schwarzen Rappen in silbern-glitzernder Rüstung mit der Bundesflagge an der Lanze den Horden des schwarzbeflaggten IS entgegenreiten.
Wenn man aber die einzelnen geplanten Vorschläge betrachtet, dann sind die eher hilflos und wenig durchdacht – und wieder einmal eine neue Gefahrenquelle für die Freiheitsrechte der Bürger.
Die Begründung klingt noch halbwegs logisch:
Wir haben nach den Terroranschlägen von Istanbul und Brüssel in Berlin noch einmal genau überlegt, was ist zu tun. Einer der Hauptkritikpunkte war: Die Terroristen sind international vernetzt, wir aber nicht als Sicherheitsbehörden. Und das hat jetzt zu dieser Konsequenz geführt. Datenaustausch ist das eine, auch von Polizei. Jetzt wollen wir die Möglichkeit schaffen, dass Nachrichtendienste sich mit anderen europäischen Nato-Staaten sich bei erheblichen Sicherheitsinteressen darauf verständigen können, eine gemeinsame Datei zu führen. Das ist noch einmal ein Schritt mehr. Dabei muss es ein ausreichendes Datenschutzniveau geben. Aber wir wollen machtvoll den Terroristen entgegentreten. Wissen ist Macht. Und wenn die sich vernetzen, müssen wir das erst recht tun.
De Maizières Antworten auf die Herausforderungen des internationalen Terrorismus sind erneut geeignet, die Bevölkerung zu verunsichern. Das macht er wohl gerne.
Wissen ist Macht
Ja. Ausgerechnet „Wissen ist Macht“, sagt er. Kommen Sie jetzt bitte nicht auf die naheliegende Idee, dass de Maizière ein Anhänger Bacons wäre, dem es um die Aufklärung und Bildung der Bürger ginge, um Freiheit durch Wissenschaft. Das meint er damit nicht. Er meint eher, je mehr die Behörden über die Bürger wissen, am besten natürlich alles, umso besser ist die Macht des Staates und der Regierung abgesichert. Da hat er völlig recht. Das sehen Erdogan, Kim Jong-un und Putin bestimmt auch so. Das stimmt ja auch. Aber das hat nichts mit der Sicherheit der Bürger zu tun.
Ist das denn wirklich eine so tolle Idee, wenn alle europäischen Nato-Staaten eine gemeinsame Datei über Terrorverdächtige führen sollen? Was soll das überhaupt bedeuten? Können da alle Daten einstellen und alle können die abrufen? Ist z.B. die Türkei ein europäischer Nato-Staat? Muss man wohl so sehen? Und möchte ich, dass die Türkei jeden den sie für terrorverdächtig hält – also z.B. eine ganze Reihe türkischer Abgeordneter oder vielleicht gar Jan Böhmermann oder auch mich – in diese Datei einspeist und die dann auch in Frankreich oder Portugal als potentielle Terroristen verdächtigt werden? Ich möchte das lieber nicht.
Ich möchte auch nicht, dass Daten, die in Deutschland nach hoffentlich datenschutzrechtlich unbedenklichen Kriterien erhoben werden, einem Herrn Orban zur Verfügung stehen. Zu welchem Zweck sollen die Daten von wem abgerufen werden können und wer stellt sicher, dass kein fieser Möpp diese Daten zu anderen Zwecke verwendet als ursprünglich mal vorgesehen? Hat man in Berlin aus der NSA-Geschichte nichts gelernt? Oder war die damalige Empörung doch nur gespielt. Abhören unter Freunden geht gar nicht, aber Abhören der Bürger geht immer? Wenn der Innenminister von einem „ausreichenden“ Datenschutzniveau spricht, dann ist mir das nicht geheuer. Wer will schon nur ein ausreichend auf dem Zeugnis. Ich möchte da lieber ein „sehr gut“ sehen.
Nadel im Heuhaufen
Was wussten die Behörden in Brüssel oder Paris eigentlich über die Täter nicht bereits vor den Anschlägen? Hatten sie nicht genügend Daten? Oder war es nicht vielmehr so, dass sie die wichtigen Daten in der Riesenmenge der bereits gesammelten Daten mangels qualifizierten Personals nicht richtig finden und gewichten konnten? Je riesiger der Heuhaufen ist, um so schwerer wird es, die Nadel zu finden. Was wusste man denn nicht über den Aufenthalt der NSU-Uwes?
Wie sollen unsere Datenschutzrichtlinien, die ja immerhin auf dem Papier ganz gut aussehen, eingehalten werden, wenn hier ein Zugriff anderer Dienste eröffnet werden soll? Ist es wirklich so gut, wenn Polizei und Dienste sich allzu sehr austauschen? Die Vermischung aus Geheimdienst und Polizei ist aus historischen Gründen in Deutschland keine gute Idee. Wir benötigen weder eine geheime Staatspolizei noch eine Stasi reloaded, auch nicht zur Terrorabwehr. Mit der bisherigen Trennung ist Deutschland ganz gut gefahren. Was geschieht, wenn in einem Land das demokratische System kippt und plötzlich ganz andere Figuren auf die Daten zugreifen können? Ist doch egal? Wenn es Ihnen egal sein sollte, mir ist es nicht egal.
Nun. De Maizière hat ja noch mehr Ideen, um dem Terror machtvoll entgegenzutreten:
Sie könnten irgendwo im Supermarkt ein Prepaid-Handy kaufen mit dem Namen Donald Duck oder mit einem Phantasie-Namen aus dem Telefonbuch. Das ist inakzeptabel. Es ist nicht zu viel verlangt, dass man weiß: Wer benutzt eigentlich ein Handy, damit man Straftaten rückverfolgen kann? Und darum geht es hier. Wir wollen die Technik offen gestalten – 18 Monate Übergangszeit. Wir werden mit den Unternehmen das besprechen.
Wusstemalwiederkeiner. Der Terror hängt bei ALDI, LIDL usw. an der Kasse. Das Böse ist halt überall. Selbst beim Discounter. Und damit ist nicht die billige Milch gemeint. SIM-Karten sind die Ausgeburt des Satans.
Vermutlich hat der Innenminister selbst noch nie eine SIM-Karte im Supermarkt gekauft. Die hängen da oder auch an der Tankstelle so rum, man legt sie auf’s Band und zahlt. Damit hat am aber noch nicht viel gewonnen. Die muss nämlich erst freigeschaltet werden, bevor man damit den geschätzen Terrorkollegen anrufen kann. Kann man per Internet, per Telefon oder per Fax machen. Wenn Ausweisdaten gefordert würden, dann gibt man eben welche ein. Ob das die eigenen sind oder die von einem fremden Ausweis, kann der Provider nicht erkennen. Er kann auch nicht erkennen, ob ein Ausweis echt ist. Da müsste dann der Provider Zugriff auf die Daten der Passbehörden bekommen. Will ich nicht. Oder was ist z.B. mit einem Ausweis aus Äthiopien? Ich mal einen gesehen, da konnte ich beim besten Willen weder feststellen, ob der echt ist oder nicht. Oder sollen Ausländer hier gar keine Karten kaufen können? Nehmen uns die Flüchtlinge nicht nur die blonden Frauen, sondern auch die SIM-Karten weg?
Der neue Carlos
Nun könnte man natürlich theoretisch das Ding gleich an der Kasse registrieren. Man stelle sich vor, der Ausweis müsse direkt bei ALDI an der Kasse vorgezeigt werden. Die nachfolgenden Kunden müssten dann eben etwas länger warten. Wer Gefriergut gekauft hat, kann das dann gleich in die Tonnen werfen. Das wird lustig. Und was dann, soll dann die Kassiererin eine Kopie des Ausweises machen? Ich möchte nicht, dass eine wildfremde Frau meinen Personalausweis kopiert. Woher soll ich wissen, was sonst noch mit den Daten von der Kopie angestellt wird. Vielleicht werden dann mit meinen Ausweisdaten 100 weitere SIM-Karten freigeschaltet und Herr de Maizière hält mich plötzlich nicht mehr nur für einen lästigen Kolumnisten, sondern für einen neuen Carlos, der von 100 Orten gleichzeitig mit sich selbst telefonieren kann. Da wäre ich dann schnell unter Verdacht und würde womöglich morgens früh um 5 Uhr von einem SEK geweckt. Mein Kardiologe hat mir solche Aufregungen verboten. Und mein Hund möchte auch nicht grundlos erschossen werden, glaub ich.
Es dürfte – wie bereits jetzt von Profis praktiziert – auch künftig kein Problem sein, wenn ein bedürftiger Drogenabhängiger oder ein Obdachloser mit seinem Ausweis ein paar Karten gegen einen kleinen Obolus freischaltet und dann an den terroristischen Endverbraucher bzw. einen Zwischenhändler weiter gibt. Ich habe das auch schon im Zusammenhang mit großangelegtem Kreditbetrug erlebt, wo ein Obdachloser zum Frisör geschickt und schick gemacht wurde, einen teuren Anzug bekam und dann mit einer Bargeldmenge, die knapp unter der Geldwäschemenge lag, ein Konto eröffnete. Den Anzug durfte er behalten und 500.– € in kleinen Scheinen gab es obendrauf. Wer könnte da widerstehen. Wie will man solche Verfahren verhindern? Und wie will man verhindern, dass jemand ein paar hundert oder tausend freigeschaltete SIM-Karten aus dem Ausland besorgt. Kann man ausschließen, dass Terroristen beim Provider sitzen und dort Karten freischalten oder vervielfältigen? Oder dass es gleich ein Provider ist, der mit dem IS kooperiert? Erfasst würde wieder einmal nur die ganz normalen Bürger, der eben kein gefährlicher Verbrecher ist. Terroristen, insbesondere organisierte sind mit solch einem lästigen Mumpitz nicht zu schnappen.
Dass es andere und bessere Kommunikationsmöglichkeiten gibt, als ein Prepaid-Handy, scheint der Minister nicht auf dem Schirm zu haben. Möchte die Bundesregierung nicht gerade was für offene WLANs tun?
Lustig übrigens, dass dieser Unfug das Ergebnis des „Nachdenkens“ nach den Terroranschlägen von Istanbul und Brüssel sein soll. Diese Form von Nachdenken gibt ein schwaches Bild ab. In Belgien und Frankreich musste man seinen Ausweis bereits vor den Anschlägen vorlegen. Zur Verhinderung der Anschläge hat das nicht wirklich etwas beigetragen, wie die erfolgreichen Anschläge beweisen.
Der Satz
Sicherheit ist nicht unwichtiger als Bequemlichkeit.
ist zweifellos richtig. Aber daraus zu machen, dass Unbequemlichkeit zu mehr Sicherheit führt, wäre auch Käse. Zu meinen, die Welt würde etwas sicherer, wenn man nur den Freiheitsrahmen immer weiter einengt, ist selten blöde. Das kann ein halbwegs intelligenter Mensch gar nicht denken.
All diese hektische Betriebsamkeit, all dieses permanente Schrauben am Datenschutz, all dieser sinnlose, durchschaubare Aktionismus ist nur Augenwischerei, die nicht mal für einen anständigen Wahlkampf taugt. Das ist so durchsichtig, dass es schon wehtut, wenn jemand diesen Quatsch mit besorgter Miene und tief vibrierendem Timbre als Terrorabwehrmaßnahme verkaufen will. Dass mit den Vorschlägen neue Gefahren des Datenmissbrauchs geschaffen werden, ohne das tatsächlich Gefahren beseitigt würden, kommt dem Innenminister nicht einmal in den Sinn.
Big-Data-Wahn
Und dass echte Polizeiarbeit, ohne den ganzen Big-Data-Wahn, mehr wert ist als alle Datensammelei, beweist die Verhinderung eines mutmaßlich geplanten Anschlages in der Düsseldorfer Altstadt. Einer der Verdächtigen saß nämlich bereits in Frankreich in Untersuchungshaft, nachdem er nach den Anschlägen von Brüssel nach Frankreich fuhr und dort die Pläne der Terrorzelle offen legte. „Französische Behörden informierten danach ihre deutschen Kollegen, die den Mann im Anschluss vernahmen und seine Angaben für so glaubhaft hielten, dass sie jetzt zuschlugen.“
Was nützt die ganze Prepaidkartensammelei, wenn es Reportern gelingt, mit mehreren Ketchupflaschen zu einem Spiel der französischen Nationalmannschaft ins Stadion zu kommen? Macht es da Sinn, den Erwerb von Ketchup nur noch per Personalausweis zu erlauben oder macht es nicht mehr Sinn, durch ausreichendes und qualifiziertes Sicherheitspersonal jeden Besucher gründlich zu durchsuchen?
Auch wenn ich mich wiederhole. Was eventuell Terroranschläge verhindern kann, ist eine gute Arbeit der zuständigen Behörden. Wenn die – wie zum Beispiel bei dem Anschlag auf den Sikh-Tempel – konkrete Hinweise aus der Bevölkerung nicht verfolgen und/oder nicht weitergeben, dann ist das eine Katastrophe. Ob da nun im konkreten Fall den NRW-Innenminister eine Verantwortung trifft, kann ich noch nicht sagen. Dass es gerade in NRW in seinem Verantwortungsbereich deutlich mehr Pannen – klingt auch irgendwie verharmlosend, nicht wahr? – gegeben hat, als erträglich ist, muss der Jäger sich aber sagen lassen. Wieso heißt das eigentlich Verantwortungsbereich, wenn letztlich der Minister nicht zur Verantwortung gezogen wird?
Wir brauchen dringend so viele Polizisten, wie erforderlich sind, um solchen Hinweisen zielstrebig nachzugehen. Es hilft nichts, wenn wir unsere Polizeibeamten Überstunden kloppen lassen, bis sie kaum noch aus den Augen gucken können. Es hilft auch nicht, wenn „just for the show“ die ein oder andere Großrazzia durchgeführt wird, um den Eindruck zu erwecken, man kümmere sich um Sicherheit der Bürger.
Wir brauchen auch keine im Schnellkochtopf gegarten Hilfs- oder Wachpolizisten, die im Ernstfall wenig hilfreich sein können und ebenfalls eher eine Gefahr für den Bürger darstellen. Noch weniger brauchen wir größenwahnsinnige Bürgerwehren oder gar Kommunalpolitiker, die mit Kabelbindern durch die Gegend ziehen und kranke Menschen an Bäumen festbinden.
Wir benötigen mehr Geld für die Polizei, für die Staatsanwaltschaften und die Gerichte. Nur so kann ein erhöhtes Maß an Sicherheit produziert werden. Gut ausgebildete, entspannte und demokratisch gesinnte Polizeibeamte, die anständig bezahlt werden, Polizeibeamte, die nicht als missmutige, überforderte Zombies durch die Gegend rennen und ihren Frust an Bürgern auslassen, sondern richtig gute Polizisten, die der Bürger tatsächlich als Freund und Helfer und nicht als Bulle ansehen kann.
Das kostet Geld, aber das bringt was. Dieser unqualifizierte Anti-Terror-Vorschlag bringt wie die meisten „neuen“ Gesetze dagegen nichts als weitere Gefahren für den Bürger. Der kann weg.
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