Medien in der Vertrauenskrise: der Stammtisch beherrscht den Diskurs.
Das NDR-Medienmagazin Zapp beschäftigte sich vergangene Woche mit der Vertrauenskrise der Medien. Unter der Überschrift „Was zu tun ist“ kamen zahlreiche Medienmacher zu Wort. In seiner Kolumne befasst sich Hasso Mansfeld noch einmal mit dem Thema der Sendung und erklärt: Die Prinzipien des Stammtisches haben sich auf die gesamte Gesellschaft ausgeweitet.
Es könnte ein Befreiungsschlag sein. Der halbstündige Zapp-Beitrag unter dem Titel Medien in der Vertrauenskrise: Was zu tun ist“ mit Anja Reschke ist ein Novum.
Es wurde glaubwürdig thematisiert, dass Leitmedien sich über den Vertrauensverlust, mit dem sie nun immer offensichtlicher zu kämpfen haben, ernsthaft Gedanken machen.
Und es ist von großer Bedeutung, dass die eigene Rolle als eher gebildete, unter sich bleibende, meist links von der Mitte stehende Elite von Journalisten selbst thematisiert wird. Doch die vorbildlichste Aufarbeitung eigener Fehler wird nicht ausreichen, der anhaltenden Presseschelte den Wind aus den Segeln zu nehmen, geschweige denn die verhärteten Fronten aufzubrechen. Denn die Medienkrise ist eine Vertrauenskrise.
Medienkrise ist Vertrauenskrise
Sie ist nämlich Ursache zahlreicher Konflikte, weil wir in einer Zeit leben, in der offiziellen Meldungen grundsätzlich misstraut wird. Wir befinden uns in einer Phase tiefen Misstrauens, einer sich verselbstständigenden, alles zerreißen wollenden Skepsis.
Sagen wir es so drastisch: Die Medienkrise tritt in einer Gesellschaft auf, in der sich die Prinzipien des Stammtischs auf den Medienkonsum und das Gespräch über Medien im Gesamten ausgeweitet haben. Via Social Web verortet man sich im Privaten, unter seines gleichen. Man beschwert sich über die da oben und misstraut ihnen, weil sie ja eh nur „ihre Interessen“ verfolgten. Genau deshalb werden selbst die fraglosesten Informationen angezweifelt. Die vermeintliche „Medienkrise“ ist daher eigentlich eine Störung des gesellschaftlichen Vertrauens insgesamt.
Wie konnte es dazu kommen?
Ganze Milieus unserer Gesellschaft grenzen sich von anderen Milieus auch dadurch ab, dass sie sich benachteiligt sehen. In diesem Klima der Aus- und Abgrenzung ist der gesellschaftliche Zusammenhalt erschüttert. Das hat meines Erachtens viel mit der Opferrolle zu tun, die Politik und andere Interessengruppen, seit vielen Jahren bewusst in der Bevölkerung pflegen. Insbesondere linke Parteien, aber auch solche, die das Adjektiv christlich im Namen tragen, kultivieren eine Unmündigkeit, indem sie sich die Abschaffung immer neuer Missstände auf die Fahne schreiben, die sie teils selbst erst produzieren. „Dir MUSS geholfen werden“, sagt der Staat, und das Opfer, seiner Hoffnung an die menschlichen Fähigkeiten beraubt, glaubt, sich aus der Umklammerung nicht befreien zu können. Ob „Kapitalismus“, „Imperialismus“, „Patriarchat“, wo Täterkollektive verortet werden, muss es auch Opfer geben. Und wo Opfer sind, muss es Helfer geben. Die Co-Abhängigkeit zwischen Opfer und Helfer hat sich zum vielleicht prägenden Phänomen politischer Verhältnisse im späten 20. und 21. Jahrhundert entwickelt. Der ursprüngliche Gedanke dahinter könnte der folgende gewesen sein: Die Hand, die füttert, wird nicht gebissen. Und ein Heer abhängiger, unmündiger Opfer gibt ein gefügigeres Wahlvolk ab als kritische, mündige Bürger, so das mögliche Kalkül.
Der Stammtisch-Held und sein Siegeszug
Doch Pustekuchen. Die Opferrolle hat ihre Grenze, wo sich das menschliche Bedürfnis nach Anerkennung durchsetzt. Die politisch verursachte Entmündigung bricht sich dann im Wüten gegen „die da oben“, im Netz, wie einst schon am klassischen Stammtisch, ihre Bahn.
Der Stammtisch-Held wähnt sich unter Seinesgleichen, er kann endlich mal sagen „was Sache ist“, er brilliert ohne viel Mühe als Entertainer, der seine Parolen in die Runde schmettert und dafür die Bestätigung im Auditorium bekommt. Oder er steigert sich eben noch rein in die gelernte Opferattitüde und kultiviert dabei das ebenso platte Infragestellen von allem und jedem.
Die Anderen sind schuld! Wir werden immer nur belogen! Die Politik! Die Wissenschaft! Die Presse! Wer in vergangenen Jahrzehnten einmal vom hohen Ross gestiegen ist und sich in die einst noch verrauchten kleineren Kneipen verirrt hat, dem dürfte das heutige Klima nur all zu bekannt vorkommen. Doch das Internet und besonders die sozialen Medien haben dem Stammtisch-Helden, der vielleicht in einem jeden von uns steckt, erstmals eine so breite Vernetzung ermöglicht, dass der Stammtisch tatsächlich mehr und mehr beginnt den Diskurs zu bestimmen.
Das zersetzende Hinterfragen all dessen, was aus offiziellen Quellen kommt, wird dabei flankiert von einem umso bereitwilligeren Annehmen noch der krudesten Verschwörungstheorie, die von so genannten „alternativen“ Medien lanciert wird. Auch das verwundert nicht: Man hat den Bürger ja von der Pike gelehrt schwach und beeinflussbar zu sein und zu denen aufzuschauen, die es schon besser wissen werden. Nun sucht der Bürger sich eben neue Autoritäten. FAZ Online Chef Mathias Müller von Blumencron beschreibt das Phänomen der Generalisierung des Stammtisches in der Online-Community treffend. Indes: nicht das Internet ist schuld, viel mehr sind die Verwerfungen im Netz Symptom einer Gesellschaft, die ich als Gesellschaft ohne Vertrauen bezeichnen möchte.
Gesellschaft ohne Vertrauen
Die Basis unseres Zusammenlebens ist das Vertrauen. Wenn das abhanden kommt, ist Kommunikation, auf der eine funktionierende moderne Gesellschaft basiert, und zumal unsere Wirtschaftsform, nicht möglich. Man stelle sich nur vor, jeder Friseur versicherte sich vor dem Haareschneiden erst der Solvenz des Kunden. Und der Kunde zuckt bei jedem Schnitt zusammen, aus Angst der Friseur habe es auf sein Leben abgesehen. Wir nähern uns, scheint mir, solch überspitzten Szenarien mehr und mehr. Mit dem Soziologen Niklas Luhman könnte man sagen, das Systemvertrauen erodiere: Das Vertrauen auf „die Verlässlichkeit historisch entwickelter sozialer Interaktionsmuster und Konventionen“ das „den sozialen Zusammenhalt in komplexen Systemen“ stabilisiert.
Übertriebener Skeptizismus führt ebenso zur Zersetzung der Gesellschaft wie übertriebene Gutgläubigkeit. Ja: Beide sind wohl zwei Seiten einer Medaille.
Nun haben die Medien ihren Beitrag zur Lösung der großen Vertrauenskrise zu leisten.
Das sollte in etwa geschehen wie im Zapp-Beitrag beschrieben:
- Beiträge nicht nach der eigenen politischen Haltung filtern.
- Fehler nicht heimlich ausbessern, sondern offen eingestehen.
- In Redaktionskonferenzen über Inhalte und nicht über Positionen reden.
- Populistische Parteien genauso behandeln wie die anderen.
- Auf die Kritiker hören.
- Nichts weglassen was das Gesamtbild verzerrt.
- Nicht Haltung vermitteln, sondern berichten. Meinung gehört in den klar gekennzeichneten Kommentar.
Hierbei darf man aber nicht undifferenzierter, wutgeleiteter Skepsis beugen. Abgrenzung und Souveränität sind das Gebot der Stunde. Schwer genug: Lasse ich die Kritik an mir abprallen, gehöre ich zur Lügenpresse. Gestehe ich Fehler ein, bestätige ich wohlmöglich, dass ich schon immer zur Lügenpresse gehört habe. Zwischen diesen Polen erfolgreich zu manövrieren dürfte eine höchstdiffizile Gratwanderung werden.
Der Text erschien zuerst auf dem Medienportal Meedia.
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