Fantastische Reise I – Der Hexer
Vergangenen Sommer kritisierte Kolumnist Sören Heim im European Fantasyliteratur ob ihres oft fehlenden literarischen Anspruch. Von Lesern angestoßen begibt er sich nun auf eine Reise durch hochgelobte Bestseller und Geheimtipps des Genres.
Vergangenen Sommer habe ich im European die Fantasyserie Game of Thrones und den Hype, der generell in den letzten Jahren um so genannten düsteren Realismus in der Fantastik gemacht wird mit relativ harschen Worten kritisiert. Der Düsternis-Fetisch geht mittlerweile soweit, dass das Adjektiv „grimdark“ einen eigenen Eintrag in der englischen Wikipedia bekommen hat. Gute Fantastik, das ist die Perspektive an deren öffentlicher Durchsetzung vor allem Game of Thrones einen nicht zu unterschätzen Anteil hatte, zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass sie aufzeigt wie grausam und hoffnungslos die Realität in mittelalterlichen Welten sei, wie sinnlos der Krieg, wie geknechtet die Frau. All das soll natürlich auch immer mit kritischem Blick auf unsere Gegenwart gelesen werden. Felix Bartels spricht von Naturalismus in der Fantastik, und was widersprüchlich klingt, scheint derzeit „State of the Art“. Auswege aus dieser literarischen Misere scheint es nicht zu geben:
„Das hängt heute in erster Linie damit zusammen, dass Ernsthaftigkeit mit Hinblick auf die etablierten Erwartungshaltungen eines in relativ festen Bahnen eingefahrenen Fandoms diskutiert wird. Als wertvoll gilt ein Text, wenn er in postmoderner Manier besonders viele Erwartungen dieses Fandoms, etwa Geschlechterklischees, Vorstellungen über „Rassen“, eben etablierte Topoi der modernen fantastischen Literatur, bricht (…) Was wie eine Debatte über die literarischen Qualitäten fantastischer Literatur daherkommt, ist oft genug tatsächlich die selbstkritische Nabelschau eines den Kinderschuhen noch nicht wirklich entwachsenen Fandoms, das sich selbst die reaktionären Dämonen auszutreiben sucht.“
Dem stellte und stelle ich entgegen: Gute Literatur ist gute Literatur egal in welchem Genre sie angesiedelt ist, und auch wenn sich schwer rein allgemeine Kriterien dafür formulieren lassen gute Literatur zu erkennen, lassen sie sich jeweils am Text erarbeiten. Auf den Artikel hin bekam ich einige Zuschriften mit Buchempfehlungen, die ich nun in lockerer Folge auf einer fantastischen „Rezensionsreise“ abarbeiten möchte. Nicht jeder Vorschlag kann dabei gelesen und rezensiert werden, es wird eine Vorauswahl getroffen, gleichzeitig sind neue Vorschläge jederzeit erwünscht.
Hexer – Klischees und bemühte Brüche
Nicht sonderlich überzeugt hat mich der derzeit wohl meistgelobte (und in den Kommentaren meistempfohlene) Titel auf der Liste, Der Hexer von Andrzej Sapkowski. Gewiss, der erste Teil der Romanreihe (es gibt noch Bände mit Kurzgeschichten), Das Blut der Elfen, ist kurzweilig erzählt und ein spannend zu lesender Abenteuerroman. Doch in seiner Betonung von Sex, Gewalt und der beinahe Ununterscheidbarkeit von Gut und Böse fällt er genau in jene Kategorie von Texten, derer berühmtestes Exponat A Song of Ice and Fire, die Romanvorlage zu Game of Thrones ist.
Mit einer martialischen Schlachtszene wirft uns Sapkowski in die Handlung. Die war – Vorsicht, Anfängerklischee – nur ein Traum, allerdings – ui, psychologische Tiefe – Traum auf Basis einers Traumas! Es folgt ein Ortswechsel, ein Barde erzählt die Geschichte der träumenden Ciri, und innerhalb eines relativ generischen Fantasy-Settings diskutieren Zwerg, Elfen und Menschen den Sinn von Heroismus und Fragen wie die, ob eine Kampfhandlung nun eine Schlacht oder ein Massaker gewesen sei – Mindblow: Beides, je nach Perspektive!
In der Folge setzt sich fort, was im Anfang angelegt wurde – die klassische Fantasy-Welt wird auf ambivalent getrimmt, auch die scheinbar guten „verführen“ Kinder für ihre Zwecke und führen dubiose Experimente durch. Die Sprache ist hart, knapp, ein strahlender Held nicht in Sicht (allerdings mit Ciri bei allen Brüchen doch eine recht typische Auserwähltenfigur). Wie gesagt, lesbar, und sicherlich tausendmal besser als manches andre, wofür sich im Englischen der Begriff Young-Adult-Fiction etabliert hat. Aber eben auch nichts Neues, kompositorisch gar durchaus altbacken, und auch von der für zeitgenössische Fantastik ungewohnten Kürze sollte man sich nicht täuschen lassen. Das Blut der Elfen ist kaum als eigenständiger Roman zu lesen, in Gänze kommt der Zyklus dann doch wieder auf die im Genre etablierten weit mehr als 1000 Seiten.
Stereotype im freien Raum brechen ist billig
Nein, liebe Autorinnen und Autoren, so wird das nichts. Einfach ein High-Fantasy-Setting aufzubauen und dann durchzudeklinieren, dass Elfen auch eine „düstere“ Psyche haben können, dass edle Magier/Innen und Ritter gern wild vögeln und dass Frauen mehr sind als „Love-Interests“, ist in etwa so einfallsreich wie ein Roman, der immer wieder betont, dass nicht alle Native Americans stolze Krieger sind. Ein plumper, wiewohl berechtigter Einspruch gegen plumpe Vorurteile, ja, aber literarisch weit entfernt von den Erzählungen Momadays oder Erdrichs.
Gewiss lebt Fantasy vom Wiedererkennungswert, der durch Stereotype geschaffen werden kann und oft wird. Aber das Brechen von Stereotypen die a) als erfundene ziemlich frei im Raum schweben und b) als solche nur von einem (ich denke kleinen) Teil der Fangemeinde wirklich vehement verteidigt werden, mag zwar recht sein – es ist vor allem billig.
Lesen Sie weitere Kolumnen von Sören Heim. Weitere Vorschläge lesenswerter fantastischer Literatur sind willkommen.
Fortschritt der Fantastischen Reise:
rezensiert:
Andrzej Sapkowski – Der Hexer
nächster Text:
China Miéville – Perdido Street Station
ausstehend:
Joy Chant – Der Mond der Brennenden Bäume
Viktor Pelewin – Das 5. Imperium
Esther Rochon – Der Träumer in der Zitadelle
Neil Gaiman – American Gods
Walter Moers – Die 13½ Leben des Käpt’n Blaubär
Samit Basu – GameWorld trilogy
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