Jeder Doof darf wählen
Alexander Wallaschs Kolumne „Ab 60 freiwillig auf Wahlrecht verzichten“ war eine Provokation. Und wie jede gute Provokation ein Grund, sich mit den Kernaussagen auseinanderzusetzen.
Alexander Wallasch empfiehlt den Alten, auf ihr Wahlrecht zu verzichten. Was für ein Quatsch.
Die Stimme der Alten hat Gewicht.
Na klar hat die Gewicht. Nach unserer Verfassung hat jede Stimme das gleiche Gewicht zu haben. Das hat zwar mit keinem der bisherigen Wahlgesetze so ganz richtig funktioniert und deshalb musste das Bundesverfassungsgericht auch ein Wahlgesetz nach dem anderen als verfassungswidrig kassieren, aber im Prinzip zählt jede Stimme gleich viel. So steht das im Grundgesetz.
Artikel 38
(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.
(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.
(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.
Als Altersgruppe haben die über 60-jährigen mittlerweile eine Stärke von knapp 30% der Bevölkerung, sie waren bei der letzten Bundestagswahl mit rund 34% wahlberechtigt und mit rund 36,5% auch tatsächlich wahlbeteiligt. Die meisten Alten machen von ihrem Wahlrecht tatsächlich noch rege Gebrauch. Aber sie sind, genau wie die Jungen, keine homogene Gruppe, die ihre Wahlentscheidung ausschließlich an altersabhängigen Themen orientiert. Alte gibt es in allen Parteien, die meisten wohl bei den Linken.
Kein Recht auf Weisheit
Der Kollege Wallasch meint: „Wo generatives Wissen vakant, wo Überlieferungen wertlos und ein irgendwie geartetes gesellschaftliches Wachstum über Generationen hinweg anachronistisch geworden ist, sollte man auch nicht mehr auf irgendein Recht auf Weisheit pochen, indem man der Zukunft der Jüngeren eine Richtung geben will.“
Das ist zwar ein schöner Satz, bezogen auf das Wahlrecht der Alten aber doppelt falsch.
Weisheit ist entbehrlich
Alter mit Weisheit gleichzusetzen, ist schon mal ziemlicher Unfug. Lesen Sie zwei Tage lang Wagner in der Bild und Sie wissen, dass Weisheit nicht zwangsläufig mit dem Alter kommt. Häufiger kommen Demenz und Altersschwachsinn. Bei den meisten Menschen geht es irgendwann bergab. That’s life. Für das Wahlrecht aber gänzlich irrelevant.
Das Wahlrecht der Bürger stützt sich weder auf Weisheit noch auf besondere andere Fähigkeiten. Und auch das gilt für alle Generationen. Der Bürger darf wählen, wen er will. Er muss sich auch weder mit den Programmen der Parteien auseinandersetzen, noch ein bestimmtes Motiv für seine Wahl angeben. Er muss nicht einmal wissen, was die lustigen Abkürzungen auf dem Wahlzettel bedeuten. Und selbst wenn er glaubt, das C stehe für etwas Christliches und das S für etwas Soziales, ist das sein gutes Recht. Und auch wenn er meint, das C stehe für Chaos und das S für Siggi, ist das ganz egal. Die Blödheit verteilt sich vermutlich gleichmäßig über alle Parteien und schadet daher der Wahlentscheidung eher nicht.
Von der Wahl gesetzlich ausgeschlossen und damit weg vom Wahl-Fenster sind nur ganz wenige Bürger. So sind auch Menschen, die unter Betreuung stehen, nur dann von der Wahl ausgeschlossen, wenn die Betreuung alle Lebensbereiche umfasst, also nicht wenn nur einzelne Teilbereiche wie die Vermögenssorge betroffen sind. Selbstverständlich dürfen auch sogenannte „geistig Behinderte“ an der Wahl teilnehmen.
Bei bestimmten Straftaten kann auch ein Strafgericht das Wahlrecht vorübergehend entziehen, aber das sind dann in aller Regel schon krasse Sachen, wie die Vorbereitung eines Angriffskriegs, Landesverrat und ähnliches. Allerdings auch erstaunlicherweise die Verunglimpfung des Bundespräsidenten. Warum jemand nicht wählen soll, der den Bundespräsidenten verunglimpft, erschließt sich mir nicht wirklich. Aber dass jemand deshalb tatsächlich ausgeschlossen worden wäre, ist mir auch nicht bekannt.
Das Wahlrecht setzt weder Intelligenz noch politisches Interesse voraus. Jeder Doof darf wählen, jeder Intelligente auch. Womöglich wählen die sogar dasselbe. Nicht nur in der letzten Urne sind alle gleich, auch vor der Wahlurne. Und ob nun jemand der ultimativen Urne näher ist als der andere, spielt schon gar keine Rolle. Wenn wir mal ehrlich sind, wissen wir gar nicht, welcher Wähler letztlich eine persönliche Zukunft hat.
Der normale Alte hat gegenüber den Erst- und Jungwählern nur einen unschätzbaren Vorteil, nämlich eine gewisse Erfahrung mit Wahlen. Kein Alt-Wähler wird noch auf die Idee kommen, die Wahlkampfaussagen von Parteien sonderlich ernst zu nehmen. Oder neuen populistischen Bewegungen abzunehmen, sie seine eine echte Alternative. Und trotzdem scheint den Alten die Ausübung des Wahlrechts wichtiger zu sein, als den Jungen. Mag sein, dass sie die Demokratie mehr schätzen, weil sie noch Erinnerungen an vordemokratische Zustände haben.
Die Zukunft der Jüngeren bestimmen
Dass nun von den Alten jemand unbedingt „der Zukunft der Jüngeren eine Richtung“ geben will, halte ich für wenig wahrscheinlich, es ist für das Wahlrecht aber auch völlig wurscht. Gerade die Alten haben sich bisher für Generationenparteien wie die Grauen oder auch neue populistische Parteien nicht wirklich erwärmen können. Die wissen vielleicht warum. Es ist also gerade nicht so, dass die Alten mit ihrer, in den kommenden Jahren zwangsläufig zunehmenden Wählermacht, Schindluder zu Lasten der Jungen trieben. Oder dass das zu befürchten wäre.
Außerdem ist es ja gerade der unschätzbare Vorteil der repräsentativen Demokratie, dass die Wähler eben nur ihre Repräsentanten und nicht etwa ganz konkrete politische Entscheidungen wählen. Wählen kann man eh nur eine ganz grobe „Richtung“, letztlich schleift sich jede politische Linie einer Partei in Koalitionsverhandlungen wieder ab.
Wenn sich nun die Alten bei der Wahl für eine der etablierten Parteien entscheiden
– wie sie das bisher überwiegend immer getan haben – dann wählen sie ja keine anderen Kandidaten, als es die Jungen tun. Der 35-jährige Wahlkreiskandidat altert und ergraut ja nicht schlagartig, weil er seine Mehrheit von den über 60-jährigen bekommt. Die Zusammensetzung des Parlaments ist damit ebenfalls nicht von der Altersstruktur der Wähler abhängig. Der jüngste Abgeordnete im Bundestag ist Mahmut Özdemir (Jahrgang 1987), gewählt im Wahlkreis Duisburg II für die SPD. Da haben also die traditionellen SPD-Wähler, also die Alten, einen ganz Jungen gewählt.
Wenn man – wozu auch immer – gerne das Durchschnittsalter der Abgeordneten senken möchte, muss man etwas an der parteiinternen Aufstellung der Kandidaten ändern. Da hatte der Kollege Hasso Mansfeld schon ein paar vernünftige Ideen geäußert.
Die Alten zum Wahlverzicht zu animieren, ist aber kein Jungbrunnen für Kandidaten.
Wahlbeteiligung der Jungen
„Es kann doch nicht angehen, dass beispielsweise bei den Bundestagswahlen 2009 zwar 80 % der 60-70-Jährigen über die Zukunft Deutschlands abgestimmt haben, aber nur 60% der bis 30-Jährigen, jene Wahlberechtigten, die ganz real noch eine Zukunft haben.“
Aber sicher kann das angehen. Bisher haben wir lediglich ein Wahlrecht und keine Wahlpflicht. Niemand muss wählen und gerade die Feststellung, dass die jungen Wähler deutlich weniger wählen gehen als die alten, zeigt doch, dass die ihrem Wahlrecht – aus was für Gründen auch immer – in großen Teilen entsagen. Niemand hindert die Jungen daran zu wählen oder sich wählen zu lassen und niemand sollte auf die Idee kommen, die Alten daran hindern zu wollen. Wenn die Jungen keinen Sinn darin sehen, wählen zu gehen, dann liegt das sicher nicht daran, dass die Alten ihrerseits wählen. Auch das wäre eine notwendige Diskussion innerhalb der Parteien, warum sich immer mehr junge Menschen von der Parteipolitik abwenden, obwohl sie durchaus politisch interessiert sind und sich auch anderweitig an der Diskussion beteiligen. Aber auch das kann man den Alten nicht vorhalten.
Wenn Alexander Wallasch nur noch einmal wählen möchte, dann mag er das halten, wie er will. Ich werde, solange ich den Stift noch halten kann, meine Kreuzchen machen, wie es mir beliebt. Dass meine Wahlentscheidung nicht gerade die Zukunft meiner Kinder und hoffentlich einmal meiner Enkelkinder im Auge haben würde, kann ich mir gar nicht vorstellen. Und den meisten Alten gilt der Zukunft ihrer Nachkommen das Hauptinteresse. Ganz sicher auch bei Alexander Wallasch.
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