Nazis im Nebel? Deutscher Herbstspaziergang
Flüchtlingskrise. Terror. Die Stimmung schlage um, las man in den vergangenen Monaten häufig. Nun schlägt auch das Wetter um. Sören Heim begibt sich auf einen kleinen literarischen Herbstspaziergang durch das eigene und fremde Gemüter.
O, dieses Grau…
Oder es ist einfach das Grau. Diese Novembertrübe. Die sich nun, spät, aber doch, über die Dörfer legt und in die städtischen Straßen dringt. Und die die beiden Schachspieler, die den Sommer und Frühherbst über im Park anzutreffen waren nun endlich vertrieben hat. Die bunte Blätter von den Zweigen fegte und nur die kahlen Gerippe der Bäume übrig ließ. Oder es ist, weil man hört, dass es im Freihen rauher werde. Und dass sich doch endlich mal jemand um die Obdachlosen kümmern solle, diese Anderen nähmen denen ja das ganze Mitleid weg. Oder es ist, weil in der Obdachlosenherberge doch wieder nur die alten Bekannten das Essen ausgeben. Als wollten die neuen Freunde des Deutschen Nichtsesshaften dann doch nicht allzu eng auf Tuchfühlung mit den Pennern gehen – könnte ja ansteckend sein.
… und der Nachbar leider kein Nazi…
Vielleicht ist es auch, dass der Nachbar kein Nazi ist. Der Sohn einer Familie, genauer gesagt, die in der Nachbarschaft lebt. Und das kann Angst machen. Er ist weder Mitglied einer Kameradschaft, noch hat er jemals eine rechte Partei gewählt. Und die Nachbarn sind aufgeschlossene Menschen, grüßen manchmal beinah zu überschwänglich, die Mutter hört den ganzen Tag bei offenem Fenster alte Motown-Disco-Nummern. Manchmal singen sie und der Sohn sogar aus vollem Halse mit. Wenn nicht, sagt der Sohn gern Sachen wie: „Die! Die da. Die müssen noch nichma freundlich sein, und bekommen das Geld in den Hintern geschoben.“ oder „Wusstest du? Ausländer bekommen auch mehr Trinkgeld als deutsche Kellner!“ Und oft schwingt sich dann die Rede zum Tremollo auf, und es ergießen sich kaum noch zu entwirrende Gewaltfantasien, bis die Stimme bricht. Ja. Vielleicht ist es, weil der Nachbar kein Nazi ist.
… und Sorge allüberall …
Oder es ist wegen der Sorge. „Ihr Schwestern, ihr könnt nicht und dürft nicht hinein / Die Sorge, sie schleicht sich durchs Schlüsselloch ein.“ So lässt Goethe im Faust die Sorge zu Mangel, Not und Schuld sprechen. Wegen der Sorge, die, wie schon einmal bemerkt, so schrecklich nach Wut, ja Hass, manchmal tatsächlich auch nach Angst aussieht. Wegen der allgegenwärtigen Sorge, die sich noch durch jede Ritze drückt und in jede Spalte, in jede Zeile die aus den Federn der Meinungsmacher tropft. Diese Sorge, die selten mit sich allein bleiben will, die seltener noch postiv auf Um-, vielleicht gar auf Fürsorge zu zielen scheint, als auf die gute deutsche Tradition zu Vorsorge zu verweisen. Bis hin zum manchmal erträumten Präventivschlag.
Oder ist es wegen der neuerlichen Anschläge von Paris? Aber nein – diese Sorge haben wir fleißig zu ritualisieren gelernt, und der Hass entflammt wieder nur bei den alten Bekannten .
… und wieder: dies Grau
Am Ende ist es doch nur das Grau. Diese Novembertrübe. Die sich um Köpfe und Herzen zu legen beginnt wie eiskalter kriechender Nebel. Die freundliche Gedanken erstickt und den neidischen, missgünstigen, Nährboden bereitet. Wie ja im November in stickigen Unterkünften, wo allzu viele Menschen zu eng aufeinander hocken es vielleicht auch zu wuchern und grünen beginnt, ohne dass sich damit schon ein neuer Frühling ankündigte.
Die Novembertrübe. So will ichs mir einreden. Das wird es sein.
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